Projekt SlowMotion HighSpeed / Slow Motion, 2018
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Eisenerz

Clemens Luser, Musger Motion Blur

©: Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark - KIÖR

August Musger, Eisenerz und die Erfindung der Zeitlupentechnologie

Was ist Zeit, gibt es sie oder konstruieren wir sie, wie nehmen wir sie wahr, kann man sie erfassen oder sichtbar machen, ist sie dehn- oder komprimierbar? Technisch gesehen hat Zeit als einzige physikalische Größenart eine eindeutige, unumkehrbare Richtung und beschreibt das Fortschreiten der Gegenwart aus der Vergangenheit in die Zukunft und wird vom menschlichen Bewusstsein als Form der Veränderung oder der Abfolge von Ereignissen verstanden. In Verbindung mit Raum bildet sie gemäß der Relativitätstheorie die vierte Dimension in der Raumzeit.
Tatsächlich gibt es Zeit aber nicht. Die Problematik der Frage nach der Existenz von Zeit resultiert aus jener, ob unser Bewusstsein sie erschaffen habe oder ob sie grundsätzlich bestehe. Wahrnehmung, Denkprozesse, Erinnerung, Zeitgefühl und Bewusstsein sind, belegt durch die Hirnforschung, nämlich engstens miteinander verknüpft und können im Erleben selbst nicht getrennt werden. Jahrtausende lang beschäftigten sich Philosophie, Theologie und Mystik mit dieser Frage:
So waren für Platon nur die ewigen Ideen das eigentlich Seiende und Zeit nur ein Abbild dieses Seins, bei Aristoteles hingegen ist der Zeitbegriff untrennbar an Veränderung gebunden. Er betrachtet sie als Maßeinheit der Bewegung und vice versa. In seiner Annahme, dass Zeit sich in unendlich viele Intervalle einteilen ließe, vertrat er den Begriff des Raum-Zeit-Kontinuums. In den Confessiones von Augustinus wiederum sind Vergangenheit und Zukunft Erinnerung und Erwartung in die Gegenwart. Dabei unterscheidet er erstmals zwischen einer physikalisch messbaren und einer psychologisch-erlebnisbezogenen Zeit.
Von hier aus setzen sich Physik, Astronomie, Neurologie, Chronopsychologie und –biologie mit dem Phänomen Zeit auseinander. Vom Erfassen der Zeit als Chronos, als permanent Vergehendem oder Kairos, dem richtigen Zeitpunkt, zeugen früheste Kultbauten ebenso wie Höhlenmalereien in der Kunst.
Beschleunigung und Zerlegung erfuhr Zeit mechanisch während und seit der Ersten industriellen Revolution. Arbeitsabläufe wurden rationalisiert, Entfernungsüberbrückungen verkürzt, Bewegung real beschleunigt. Zeitlich, räumlich, akustisch und visuell wahrnehmbare Faktoren und Zusammenhänge wurden, durch technische Erkenntnisse und Entwicklungen sozial, wirtschaftlich und politisch genutzt, in Wissenschaft und Kunst thematisiert, zerlegt und neu formuliert.
Eine dieser Entwicklungen stellt die scheinbar reale Wiedergabe zeitlicher Abläufe durch Aneinanderreihung einzelner Bilder in beschleunigter Form dar. Diese Täuschung des Auges wurde weitergetrieben und in Form des Zeitraffers verkürzt sowie verlangsamt und als Zeitlupe erlebbar.
 
Die Technik der Zeitlupe geht auf den 1868 in Eisenerz geborenen Priester und Physiker August Musger zurück. In seiner Doppelbeschäftigung als Theologe und Naturwissenschafter setzte er sich mit allen angesprochenen Themen auseinander. Anlässlich seines 150. Geburtstages und des 70. Jahrestages der Stadtgemeinde Eisenerz wir hier seiner gedacht:
Hervorgegangen aus einem Wettbewerb entstand die Skulptur SlowMotion HighSpeed von Clemens Luser. Ein, der heutigen Technologie und damit dem Interesse Musgers entsprechender, 3D-Druck der Büste des Erfinders wird auf einen Sockel unter Glassturz positioniert und empfängt uns als autonomes Kunstwerk mit Denkmalcharakter, den es gleichzeitig unterwandert bzw. neu auslotet. Denn in regelmäßigen Abständen wird die Büste so weit beschleunigt, dass die Figur nur mehr in Konturen, nicht mehr identifizierbar und anonymisiert wahrnehmbar wird. Damit wird sie zum variablen Denkmal der Geschwindigkeit. Über Slo-Mo-Funktion via Smartphone, Tablets oder digitaler Kameras kann die Rotation nun auf Zeitlupe verlangsamt werden, die Figur wird erkennbar. Unterschiedliche Zeitwahrnehmung, räumliche und zeitliche Veränderung werden hier ebenso bewusst, wie unsere Möglichkeit zur Beschleunigung oder Reduzierung von Abläufen und damit Zeit.
Das reflektieren unserer Wahrnehmung von Zeit und Raum wird in der Komposition von Wolfgang Mitterer, einem der wichtigsten österreichischen Komponisten und Pionier auf dem Gebiet der elektroakustischen Musik, der im Bereich der kollektiven Improvisationsmusik arbeitet, um den Faktor Klang erweitert. Mitterer ist Organist, schreibt Klanginstallationen, elektronische Collagen, Kammermusik, szenische Werke und Opern. In einem seiner Schwerpunkte, dem Interesse an Raumbezogenheit bindet er auch traditionelle Klangkörper ein. Organisiert und umgesetzt von der Musikschule Eisenerz und gespielt von annähernd hundert MusikerInnen aus der Region Eisenerz, von Blas- und Bergmusikkapellen, einem Kinder- und Jugendchor, SchlagzeugerInnen, TrompeterInnen, PosaunistInnen, Tubistinnen, SaxofonistInnen, KlarinettistInnen und FlötistInnen auf Wegen und aus Fenstern umliegender Häuser wird Slow Motion in einer einmaligen und einzigartigen Aufführung auf einer weiteren Ebene unmittelbar erlebbar.
(Elisabeth Fiedler)

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