Architektur im Ringturm
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Wien

Der Slowakische Rundfunk

©: Š. Svetko, Š. Ďurkovič und B. Kissling, Slovakei

Die neue Ausstellung der Reihe Architektur im Ringturm des Wiener Städtischen Versicherungsvereins beleuchtet die spätmoderne Architektur der Slowakei.
Im 20. Jahrhundert entstand die slowakische Architektur vorrangig unter nichtdemokratischen Regimes und stand daher oft im Spannungsfeld zwischen Moderne und Totalitarismus. Im europäischen Kontext ist dies kein Einzelfall: Ähnliche Umstände bestimmten das architektonische Schaffen in einer Reihe weiterer Staaten wie beispielsweise Deutschland, Italien und Spanien, kurzzeitig auch Österreich sowie Nationen des ehemaligen sowjetischen Einflussbereiches.
Das Verhältnis zwischen Moderne und Totalitarismus sowie deren Widerspiegelung in der Architektur waren das Thema zweier aktueller Forschungsarbeiten an der Technischen Universität von Bratislava und Basis dieser Schau.

Das Verhältnis zwischen Moderne und Totalitarismus im Spiegel der Architektur
Im Fall der Slowakei waren totalitäre Regimes nur während kurzer Perioden und mit begrenzter Reichweite „erfolgreich“. Dies war zu wenig, um eine einheitliche ästhetische Ausrichtung festzuschreiben, die noch dazu meist ein Echo entfernter ausländischer Vorbilder darstellte. Die Machtstrukturen waren nie in der Lage, ihre eigenen Ideen von Architektur zu formulieren und deshalb war es dem Berufsstand möglich, ohne große Unterbrechung Beziehungen zur internationalen Architekturdiskussion zu entwickeln.
Nicht einmal in der strengsten Implementierung totalitärer Herrschaft gab es in der Slowakei annähernd restriktive Bedingungen wie z.B. in den Diktaturen Nazi-Deutschlands oder Stalins Sowjetunion. Die von der politischen Denkerin Hannah Arendt definierte Idee von Totalitarismus entspricht auch nur teilweise den Verhältnissen im „Slowakischen Staat“ in der Zeit von 1939-1945 sowie der Diktatur der Tschechoslowakischen Kommunistischen Partei von 1948-1953.
Andererseits sollte aber auch der wertende Maßstab heutiger Architekturkritik mit dem Ziel angesprochen werden, Aufmerksamkeit für die Bauten vor dem Hintergrund damaliger Trends und der heute bereits historischen Architekturdebatten zu wecken. Die Prinzipien der Moderne formten – da sie in der Slowakei bereits zu Beginn der 1920er-Jahre in Erscheinung zu treten begannen – in größerem oder breiterem Ausmaß als anderenorts. Während der gesamten Dauer des20. Jahrhunderts prägten diese Prinzipien landesweit das architektonische Schaffen.
Darüber hinaus könnten die zunehmenden Reformen des Regimes in der sozialistischen Tschechoslowakei auch als „autoritär“, „autoritiv“ oder sogar als „post-totalitär“ bezeichnet werden, da dieses System sich „als Totalitarismus wesentlich von klassischen totalitären Diktaturen unterschied“, wie es der Dissident und spätere Staatspräsident Václav Havel im Jahr 1978 formulierte.
Exemplarisch für Projekte in diesem politischen Spannungsfeld sind der ideologisch und formal konsistente Bau des Repräsentationshauses in Žilina, die sozialistische Modell-Stadt Nová Dubnica oder das einzigartige Phänomen des Freiheitsplatzes in Bratislava. Analog dazu repräsentiert das Rundfunkgebäude eine Reihe der am meisten diskutierten öffentlichen Gebäude der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, so wie auch die Slowakische Nationalgalerie, das Hotel Kyjev, das Kaufhaus Prior und das Haus der Kultur ROH in Bratislava sowie das Denkmal des Slowakischen Nationalaufstandes in Banska Bystrica. Arbeiten an der Grenze zwischen Architektur und Infrastruktur wie zum Beispiel der Fernsehturm in Bratislava oder das FIS Sport Zentrum in Strbské Pleso werden hier durch die SNP-Brücke repräsentiert.

Petržalka: Symbol des öffentlichen Wohnungsbaus
Es gibt nur wenige städtebauliche Ensembles oder Stadtteile, die im slowakischen Umfeld so bekannt wären wie Petržalka. So wurde Petržalka zum Begriff für sogenannte Plattenbauviertel und zum Symbol des öffentlichen Wohnungsbaus in der Slowakei in der Zeit des Sozialismus. Das Basiskonzept dieser Wohnsiedlung für 150.000 Menschen stammt von den beiden slowakischen Architekten Jozef Chovanec und Stanislav Talaš. In nicht ganz 30 Jahren wurden in Petržalka rund 50.000 Wohnungen gebaut, in denen gegenwärtig rund 112.000 Menschen wohnen. Trotz der Vielzahl negativer Konnotationen ist Petržalka in vielerlei Hinsicht bis heute noch eine unübertroffene städtebaulich-architektonische Realisierung in der ehemaligen Tschechoslowakei sowie ein außergewöhnliches Beispiel für den öffentlichen Wohnungsbau im internationalen Kontext.
Der Aufbau von Petržalka begann im April 1973. Nach den Empfehlungen der Jury des wohl wichtigsten Wettbewerbs in der Slowakei mit internationaler Beteiligung (u.a. nahmen auch Roland Rainer und sieben weitere Büros aus Österreich daran teil) erhielten Jozef Chovanec und Stanislav Talaš den Zuschlag für die Planung von Petržalka. Chovanec und Talaš setzten auch Konzeptionen durch, die von der Jury ausdrücklich kritisiert worden waren. Das war vor allem die zentrale Achse – ein städtischer Boulevard, der von den beiden Architekten als wichtigstes tragendes Grundgerüst des gesamten Stadtviertels vorgeschlagen wurde. Hier sollte sich das Arbeits-, Gesellschafts- und Kulturleben abspielen. Das Projekt Petržalka als exemplarisches Beispiel für den Aufbau des „realen Sozialismus“ wurde nicht nur in Fachzeitschriften veröffentlicht, sondern fand auch Anklang in anderen Zeitungen und im Fernsehen.
Im Einklang mit der damaligen etappenweisen Planung der gesamten gesellschaftlichen Entwicklung sollte auch das Vorhaben eines Boulevards schrittweise in Angriff genommen werden, so wie es die technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten des Landes erlaubten. Eine Studie, aufbauend auf den technischen Bericht, warf die Frage auf, inwieweit diese Pläne als sachlich realisierbares Vorhaben im Sinne der visionären Moderne verstanden wurden oder inwieweit sie zu Propagandazwecken zur Stärkung der Ideologie beim Aufbau der sozialistischen Gesellschaft benutzt wurden.
Trotz einiger offensichtlicher Mängel, wie beispielsweise die fehlende Varietät der Wohnhäuser oder das nicht verwirklichte, aber oft proklamierte Prinzip des Komplexen Wohnungsbaus, übertrifft Petržalka vor allem im Bereich Schulen und Vorschuleinrichtungen den Standard des heutigen Siedlungsbaus. Die gegenwärtige „Unfertigkeit“ von Petržalka wird zu einer immer stärkeren Verlockung für Investoren. Die großzügige Struktur bietet Potential für neue Vorhaben, aber auch für die Wiederbelebung der ursprünglichen Idee des Boulevards.

Der Slowakische Rundfunk: Meisterwerk des späten Modernismus
Das Gebäude des Slowakischen Rundfunks gehört zu den Spitzenbauten des späten Modernismus in der Slowakei. Die Konzeption entstand in der damals für die Tschechoslowakei bereits gesellschaftlich gelockerten Atmosphäre der 1960er-Jahre. Zur Verwirklichung schritt man erst Ende der 60er-Jahre, Anfang der 70er-Jahre.
Aus dem architektonischen Wettbewerb zum Bau des Gebäudes ging der Architekt Miloš Chorvát als Sieger hervor. Es wurde dennoch beschlossen, das Konzept der Planer Ďurkovič, Svetko und Talaš zu verwirklichen, das von Anfang an durch ein betrieblich konzentriertes und in der Masse unkonventionell konzipiertes Gebäude charakterisiert war. Nach Überwindung der ersten Entwicklungsphasen des Konzepts kam es zu einer ganzheitlichen städtebaulichen Struktur des Rundfunkgeländes, bestehend aus einem ausgedehnten Sockel mit den Studios, über den das dynamische Element des Sender-Betriebsgebäudes in der Form einer umgedrehten vierseitigen Pyramide dominiert.
Das Rundfunkgebäude steht auf einem mächtigen Sockel, der die wichtigsten Aufnahmestudios und Betriebsräume beherbergt (Produktionsteil), und ist gründlich gegen jede Art von Schall isoliert. Die Flachdächer sind mit mehreren Ebenen ausgestattet und dienen als großflächige Terrassen. Auf dem Sockel steht auf neun mächtigen Kreuzpfeilern der Redaktions- und Sendeteil. Hinter dem Netz der diagonalen Stahlbinder, die die Sichtstruktur der Fassade bilden, befinden sich die Redaktionsräume. In der Mitte liegt der Kommunikationskern, zwischen ihm und der Außenwand erweitert sich die Innenhalle nach oben. Sie steigt über fünf Stockwerke und ist ein ungewöhnlicher Raumfluss.
Der sich nach oben hin erweiternde Korb überragt in jedem Geschoss das vorherige um 330 cm – so wird bei einer minimalen Geschosszahl die erforderliche Fläche horizontal angeordneter Redaktionsräume erreicht. Zugleich entsteht Schutz vor übermäßiger Sonneneinstrahlung und der Kühlbedarf wird minimiert. Das nach außen hin wachsende Volumen der Pyramide schafft den Innenraum, wo die empfindlichsten Teile des Rundfunks und die schallgeschützten Räume wie Phonotheken und Sender untergebracht sind. Die Räume sind am oberen Teil des Stahlbetonkerns als Stahlkonstruktion, die die äußere Form wiederholt, angehängt. Der herausragende Abschluss des vertikalen Kerns integriert in sich die Belüftungstechnik-Maschinenräume für die Senderäume und Phonotheken im oberen Teil der umgekehrten Pyramide.

Zweigstelle der Tschechoslowakischen Nationalbank: Zeitlose Qualität
In der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre beschloss die Tschechoslowakische Nationalbank, in Bratislava eine Filiale zu errichten und schrieb 1936 zu deren Gestaltung einen Architekturwettbewerb aus. Der slowakische Architekt Emil Belluš ging als Sieger der Ausschreibung hervor. Als Standort der zu errichtenden Filiale wies man der Nationalbank den Anfang der Štúr-Straße zu, die vom ehemaligen Laurenz-Tor zur Donaubrücke führt.
Es ist zu erkennen, dass das Gebäude zwar noch unter demokratischen Verhältnissen entsteht, aber auch schon von anderen Kräften geformt wird. Bei einem Gebäude von solch großer Bedeutung wie die Nationalbank entscheidet das Äußere mit, denn es stellt zugleich Stärke und Macht dar. Das Aussehen wird nicht nur durch die ernsthafte staatliche Funktion, sondern auch vom Vorboten des nahenden Krieges geprägt. Das Objekt ist vollständig mit Travertin verkleidet, dieser ist aber nicht glatt, sondern weist einige Typen gröberer Bearbeitung und Kannelierung auf. Die Fassaden wirken abgeschlossen. Die Fenster verlieren ihre horizontale Großzügigkeit und kehren zur traditionellen Vertikale zurück – betont durch die Gruppierung der Rahmen über die zwei Geschosse des Parterres. Die Fenster nehmen nach oben hin an Größe ab und sind im obersten Geschoss besonders klein. Dadurch schottet sich das Haus ab.
Aus der im Jahr 1939 fertig gestellten Bank wurde die Slowakische Nationalbank. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde hier die Filiale der Tschechoslowakischen Staatsbank untergebracht. Nachdem die Nationalbank der Slowakei 2002 in ein neues Gebäude übersiedelte, bezog die Generalstaatsanwaltschaft das Objekt. Das Gebäude zeichnet sich durch die unglaubliche Qualität der Ausführung aus. Denn außer der natürlichen Patina des Travertins sind keine Zeichen der Zeit am Bau zu erkennen.

Ausstellung
Der Wiener Städtische Versicherungsverein präsentiert in Schau und begleitender Publikation die spätmoderne Architektur in der Slowakei im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Moderne und Totalitarismus. In sieben Fallstudien wird versucht, dieses zu beleuchten. Katalogtexte begleiten die Ausstellung vertiefend und geben die Ergebnisse zweier aktueller Forschungsarbeiten wieder. Bebildert wird die Ausstellung durch zeitgenössische Fotos der wichtigsten Fotografen der Zeit aus mehreren bedeutenden Archiven und Sammlungen der Slowakei. Dazu gehören Rajmund Müller, Štefan Petraš, Vlastimir Petraš, Peter Šimončik und Karol Kállay – dessen Sohn, der Architekt Karol Kállay, mehrfach für die Kooperativa tätig war.Die Fotos aus jüngster Zeit entstammen dem künstlerischen Farbfoto-Essay von Olja Triaška Stefanivič aus den Jahren 2012 und 2013.

Katalog
Architektur im Ringturm XXXV, Spätmoderne Slowakei – Gebaute Ideologie. Adolph Stiller (Hg.), 180 Seiten, deutsch. Mit Beiträgen von Henrieta Moravčíková, Peter Szalay, Matuš Dulla, Mária Topolčanská, Marián Potočar, Katarína Haberlandová mit zahlreichen Abbildungen. Preis: 26 Euro.

Spätmoderne Slowakei - Gebaute Ideologie
Kuratoren: Prof. Adolph Stiller, Dr. Henrieta Moravčíková

Ausstellungseröffnung
Montag, 10. Februar 2014, 18:30 Uhr

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