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Dornbirn

FRAC Nord-Pas de Calais, Dunkerque (F), 2013 – 15

©: Philippe Ruault

Pleasure and Luxury for Everyone

Die Architekt|innen Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal gehören zu den international wichtigsten Vertreter|innen einer „pragmatischen“, zugleich sozialen Architektur, die sowohl die ökonomischen als auch ökologischen Grundlagen des Bauens hinterfragen. Freiräume sowie „luxuriöse“ Lebensräume zu planen, sehen sie als eine Hauptaufgabe ihrer Architektur. Dank einfacher und industrieller Materialien gelingt es ihnen, günstigen und gleichzeitig architektonisch hochwertigen Wohnraum zu schaffen.
Bereits in ihrem ersten Projekt, dem Einfamilienhaus Latapie von 1993, formulieren sie die Grundzüge ihres weiteren Schaffens. Eine adaptierte Gewächshauskonstruktion stülpt sich über einen einfachen Holzkörper und definiert eine klimatische Hülle, die als Wintergarten bzw. erweiterter Lebensraum fungiert. So entstanden 185 m2 Nutzfläche für damals etwas mehr als 55.000 Euro. Das Thema des Gewächshauses nimmt in weiterer Folge eine zentrale Rolle in ihrem Werk ein, denn es findet sich kaum ein Projekt, das nicht gewisse Elemente oder Versatzstücke dieses Industrieproduktes aus dem Gartenbau aufgreift.
Dies gilt auch für die experimentelle Reihenhaussiedlung Cité Manifeste in Mulhouse – ein international viel beachtetes Projekt von Lacaton & Vassal, das bereits 2005 im aut zu sehen war. Hier ruht eine überdimensionale Gewächshauskonstruktion auf einem Sichtbetonsockel. Auf aufwendige Details wurde bewusst verzichtet und nur zwei Drittel des errichteten Volumens thermisch isoliert, den restlichen Raum können die BewohnerInnen mit Hilfe von flexiblen Elementen klimatisch steuern. Von den fünf beauftragten Architekturteams erfüllten sie damit am radikalsten den Anspruch nach mehr Raum, nicht nur weil sie fast das doppelte Volumen des üblichen Standards im sozialen Wohnbau errichteten, sondern auch weil die loft-ähnlichen Wohnungen viel Spielraum für eine individuelle Aneignung zulassen. Gleichzeitig werden die gewohnten Klischees der Nutzer|innen herausgefordert und die Maxime der Raumreduktion im sozialen Wohnbau in Frage gestellt.
In ihrer 2004 mit Frédéric Druot veröffentlichten Studie PLUS, sprechen sich Lacaton & Vassal gegen die Sprengung und für die Transformation der Großwohnsiedlungen aus den 1960er wie 1970er Jahren aus. Sie reagieren damit auf Pläne des französischen Staates, 200.000 Wohnbauten aus dieser Zeit durch neue zu ersetzen und zeigen auf, dass Erhalt und Umnutzung sozial, ökonomisch und ökologisch nachhaltiger sind. Auf Basis dieses Konzepts rüsteten sie mit simplen Strategien und mit Beteiligung der BewohnerInnen einige Wohnhochhäuser in Frankreich um. Diese werden bei Vollbetrieb technisch saniert und die Wohnungen durch eine vorgelagerte Raumschicht, bestehend aus Wintergarten und Balkon, erweitert – und das bei gleich bleibender Miete.

Die Ausstellung zeigt anhand von Projektionen zahlreicher Bauten und Studien diesen sozialen wie nachhaltigen Ansatz der beiden ArchitektInnen und eröffnet konzeptionelle Alternativen zu aktuellen Diskussionen im sozialen Wohnbau. Durch großformatig projizierte Fotos der transformierten Räume wird die Qualität ihrer Haltung direkt spürbar. Zusätzlich werden einige architektonische Konzepte von öffentlichen Bauten sowie ihre Entwurfsmethodik mittels Slideshows präsentiert.

Anne Lacaton
geb. 1955 in Frankreich; 1980 Architekturdiplom an der École d‘Architecture de Bordeaux; 1984 DESS d‘urbanisme an der Universität Bordeaux; 1989 Gründung des gemeinsamen Büros Lacaton & Vassal; zahlreiche Gastprofessuren: 2007 – 13 an der Universität Madrid im Fach-bereich Wohnbau; 2004, 2006 und 2010 – 11 an der EPFL Lausanne; 2012 an der Univer-sity of Florida; 2013 an der University of NY-Buffalo; 2013 – 2014 am Pavillon Neuflize OBC-Palais de Tokyo; 2016 – 17 in Harvard GSD und an der TU Delft; seit 2017 Professorin an der ETH Zürich

Jean-Philippe Vassal
geb. 1954 in Casablanca, Marokko; 1980 Architekturdiplom an der École d‘Architecture de Bordeaux; 1980 – 85 Tätigkeit als Stadtplaner im westafrikanischen Niger; 1989 Gründung des gemeinsamen Büros Lacaton & Vassal; zahlreiche Gastprofessuren:
2007 – 11 an der TU Berlin, 2010 – 11 an der Peter Behrens School of Arts in Düsseldorf und der EPFL Lausanne, 2013 – 14 am Pavillon Neuflize OBC-Palais de Tokyo; seit 2012 Professor an der Universität der Künste in Berlin

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