01/08/2022

2022 08 01/XXXX 08 01
Museum of non-renewable Energy

Architekt Wilhelm Scherübl Jr. veröffentlicht in unregelmäßigen Abständen architektonische Utopien, die Zitate aus der aktuellen Medienlandschaft zum Ausgangspunkt haben.

01/08/2022

© scheruebl, midjourney (AI)

© scheruebl, midjourney (AI)

© scheruebl, midjourney (AI)

WIR stehen am Rand einer schwarzen Fläche, die die Landschaft durchschneidet. Eigentlich sollte die Tour hier losgehen, doch außer UNS und einem Schild mit der Aufschrift „Museum für nicht erneuerbare Energien“ ist weit und breit nichts. Das Einzige, das WIR sehen, sind Steine und Felsformationen und ein schwarzes Ungetüm, das sich durch die Landschaft schlängelt. WIR sind vom Warten schon etwas unruhig, als sich am Horizont eine Staubwolke abzeichnet, die immer größer wird. Gespannt treten WIR ein paar Schritte zurück und verstecken uns vorsichtshalber hinter einem Fels. Die Staubwolke nimmt eine Furcht einflößende Gestalt an, die von einem unerträglichen Lärm begleitet wird. Ein Brummen und Knattern, das mit dem Größerwerden der Wolke immer lauter wird. WIR sind uns nicht sicher, was auf uns zukommt. Unsicher, aber voller Neugierde, blicken WIR hinter den Steinen hervor. Mit dem Näherkommen der Wolke erkennen WIR, was es ist. Von Weitem sieht es aus wie ein schwarzer Kopf, der auf einem riesigen Staubkörper sitzt. Doch mit dem Näherkommen zeichnen sich Silhouetten von zwei dunklen Gestalten ab, die auf etwas zu reiten scheinen.

Mit tosendem Lärm und Quietschen machen die Gestalten plötzlich vor uns Halt. Die Staubwolke fegt über sie hinweg und als sich der Dunst legt – plötzliche Stille.

Langsam, aber lässig bewegen sich die Wesen auf UNS zu. Simultan ertönt eine kratzende digitale Stimme: „Hi, wir sind Wyatt und Billy, eure Guides für den heutigen Tag.“ Erleichtert erwachen WIR aus unserer Schockstarre. Sie stellen sich als digitale Abbilder der Protagonisten aus dem Film Easy Rider vor. Wie absurd – ein Museum, dessen Thematik die Zerstörung und Ausbeutung des Planeten durch fossile Brennstoffe ist, mit einer Roadmoviethematik zu gestalten.

In den Genuss dieser zelebrierten Freiheit werden WIR nun auch gedrängt. Mit ohrenbetäubendem Lärm brausen wir das schwarze Ungetüm entlang – die Route 66, wie wir erfahren. Während wir so durch die Landschaft gleiten, das stetige Knattern der Motoren im Ohr, können wir nachempfinden, was der Reiz daran war, sich so durch die Welt zu bewegen. Leider ist es unverständlich für UNS, wie dieses falsche Freiheitsgefühl und die Geilheit des Individuums über die Auswirkung auf die Gesamtbevölkerung gestellt werden konnten. Die Route, auf der WIR uns gerade bewegen, führte durch zahlreiche verschiedene Regionen und Ökosysteme. Durch die Tausenden Fahrzeuge, die sich entlang der Straßen bewegten, blieb nichts dieser Schönheit und Unterschiede der Erde für UNS erhalten.

Die Zerstörung der Umwelt war aber nur das Endresultat von zahlreichen Problemen, die von der Erdölindustrie erzeugt wurden. Bei unserem ersten Stopp im damaligen Los Angeles beziehungsweise über dem größten Ölfeld Amerikas betreten wir eine stillgelegte Tankstelle. Sie ist mit einem Glaskubus von den äußeren Gegebenheiten abgeschottet – genauer gesagt existiert sie durch diesen überhaupt noch. Außerhalb des Glases befindet sich nichts mehr außer Sand, Steine und eine unerträgliche Hitze. In dieser ersten Station erfahren wir die direkten und konkreten Auswirkungen der Pumpstationen, die in LA betrieben wurden. Nachdem kein Öl mehr geflossen war, ließen die Betreiber sie einfach zurück, ohne sie zu versiegeln. Angrenzende Wohngebiete wurden einem hohen Gesundheitsrisiko ausgesetzt und es blieben immense Kosten, für die sich niemand verantwortlich fühlte. Der Profit war abgeschöpft und das Zurückgelassene interessierte die Betreiber nicht. Betroffen waren ja nur Menschen, die kein Sprachrohr hatten, um sich bemerkbar zu machen oder nicht genügend Mittel besaßen, um der Situation zu entfliehen. Den Firmen waren wie in den meisten Fällen die Menschen egal, solange genug Profit in ihre Taschen floss. Außerdem konnten sich diejenigen, die am meisten verdienen, ihre Umgebung aussuchen und sich je nach Umweltbedingung relokalisieren. Anders erging es den Tausenden Menschen, die unter den Folgen von Abgasen und der Erderwärmung litten. In Kalifornien wüteten Waldbrände und was übrig blieb, ragt jetzt vereinzelt um uns aus dem Sand. Verkohlte Überreste und Ruinen einer Stadt, die genau diese futuristischen und ausweglosen Szenarien in Filmen für die Massen produzierte. Anscheinend nicht schockierend genug.

In Los Angeles ging es den Menschen im Vergleich zu anderen Regionen der Welt jedoch noch gut, wie wir in den nächsten Stationen unserer Tour erfahren. Viele Staaten, die teils zu den Reichsten der Welt gehörten, verkauften ihre Rohstoffe offiziell zu Spottpreisen oder vergaben Konzessionen in absurden Konstrukten, um Privatpersonen zu bereichern. Die Profiteure waren globale Konzerne, die Machthaber dieser Staaten, deren Verwandte oder Menschen aus deren direktem Umfeld. Sobald auf diese Missstände aufmerksam gemacht wurde, scheuten sie nicht davor zurück, Proteste wortwörtlich zu begraben.

Zahlreiche Konflikte, Korruption und Kriege sind Teil der Geschichte von fossilen Brennstoffen. Wie die Räder der Maschinen, auf denen wir sitzen, drehte sich die Mühle der Ausbeutung rund um Rohstoffe stetig weiter und nutzte den Boden, auf dem sie sich befand bis zum letzten Tropfen Öl, dem letzten Diamanten und dem letzten Partikel Lithium aus. Überall, wo man die Finger hineinbekam, grub sich die komplette Hand in den Grund und riss alles heraus, was sie greifen konnte.

Übrig blieben zerstörte Länder, Menschen und Chaos.

Dies ist nur ein Bruchteil dessen, das WIR auf unserer Tour erfahren. Entlang unseres Weges zeigt jede Tankstelle oder Ölraffinerie die Gräueltaten, Missstände und Übeltäter, die das „schwarze Gold“ mit sich brachte.

Endlos, wie unsere Fahrt entlang der Route 66, erscheint UNS das Ausmaß der Zerstörung.

___ Quellen ___

Zitat: "Während Europa zittert, machen Amerikaner Gas-Lagerfeuer bei 30 Grad"; https://www.focus.de/politik/ausland/usa-waehrend-europa-zittert-machen… (abgerufen Juli 2022)
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Easy Rider (1969)

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LA Curbed - Los Angeles Drill Sites
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LA Times - The toxic legacy of old oil wells: California’s multibillion-dollar problem
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Tom Burgis - Der Fluch des Reichtums
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The Red Deal - The Red Nation

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