07/05/2019

Jeden ersten Dienstag im Monat veröffentlicht GAT in der Kolumne Aber Hallo! Anmerkungen von Karin Tschavgova zu aktuellen Themen von Architektur und gebauter Umwelt.

.

07/05/2019
©: Karin Tschavgova

Zukunftsfit, wirklich? Von einer prosperierenden Region und den Folgen des Booms.

Kennen Sie das Ergebnis einer österreichischen Studie, die nach 10 Faktoren aus den Bereichen Demografie, Arbeitsmarkt, Lebensqualität, Wirtschaft und Innovation die Zukunftsfähigkeit von 79 Bezirken und 15 Statutarstädten ermittelt hat? Welche Regionen Österreichs sind am „zukunftsfittesten“? Ich war erstaunt, als ich lesen konnte, dass Graz-Umgebung dort den zweiten Platz nach Krems einnimmt, das in den Kategorien Lebensqualität und Demografie an der Spitze lag. Entscheidend für das Ranking war nicht nur der aktuelle (zu-)Stand, sondern auch die Entwicklungsdynamik im Mehrjahresvergleich. Der Bezirk Graz-Umgebung punktet bei Arbeitsmarkt und Innovation, ausschlaggebend dafür waren angeblich vor allem das hohe Bildungsniveau, die hohe Frauenerwerbsquote und ein Pro-Kopf-Einkommen, das deutlich über dem Durchschnitt liegt. Super, dachte ich, denn hier liegt mein Elternhaus, das ich in absehbarer Zeit verkaufen möchte.
Um bei der Lebensqualität unter die ersten drei zu kommen, muss sich Graz-Umgebung noch anstrengen, denn in dieser Kategorie rangiert der Bezirk unter „ferner liefen“, genauer zwischen Platz 49 und 73.
Doch dann kam mir noch ein Bericht aus meinem Heimatbezirk unter. Der war die Bestätigung der Ergebnisse, sowohl, was den Superrang 2 bei Arbeitsmarkt und Innovation wie auch das „unter ferner liefen“ bei der Lebensqualität betrifft. Es war die Headline in der „Kleinen Zeitung“, die uns verkündete, „Bartensteins investieren 60 Millionen Euro am Standort Lannach“, illustriert mit dem Bild des Spatenstichs mit unserem Landeshauptmann und mit einem Rendering des zukünftig Gebauten.
Seither quält mich die Frage: Geht das eine – vorne sein bei Arbeitsplätzen und Innovation – mit dem anderen – der Lebensqualität – überhaupt zusammen? Na, klar, werden Sie sagen, gerade in wirtschaftlich boomenden Regionen sind die Mittel da, die Lebens- und Wohnqualität mit zu entwickeln und auf einen höheren Stand zu bringen. Das ist geradezu eine Verpflichtung für so gut gewachsene, potente Regionen, werden Sie sagen. Ich stimme zu. Wann, wenn nicht jetzt bei Hochkonjunktur.
Was mich quält, nein, eigentlich meine Augen beleidigte, war das Schaubild zum Ausbauvorhaben der Firma des ehemaligen Ministers. Von Renderings ist man ja vieles gewöhnt – sie sind zu bunt und beschönigen. Das eben erwähnte ist allerdings grau, trostlos grau, zum Weinen grau mit einem See an asphaltierten oder betonierten Flächen rund um graue Zweckbauten.
Zukunftsfit? Ich frage Sie: darf ein innovativer Unternehmer völlig außer Acht lassen, dass der Versiegelungsgrad unserer Landschaft in Österreich ein Maß erreicht hat, das eigentlich nach Rückbau verlangt und nicht weiteren ungezügelten Ausbau erlaubt? Das Schaubild zeigt mir eine konventionelle Lösung mit versiegelten oberirdischen Parkplätzen, Vorfahrten, Zufahrten, vesiegelter Platzgestaltung – keine Spur eines intelligenten, die Bodenversiegelung sparenden oder reduzierenden Ausbaus.
Ich frage mich, wie lange das noch so weiter gehen kann (nicht, wie lange das noch gut geht). Wie lange man noch so vor sich hin plant, fein säuberlich getrennt nach Themen und Bereichen. Hier die Wirtschaftsentwicklung, Verkehrs- und Mobilitätsplanung, Tempo 140 auf ausgesuchten Strecken, dort die brennenden Fragen des Umweltschutzes. Was offensichtlich allein zählt: Die Produktionskapazität wird durch die neue Fertigung in Lannach verdoppelt, 100 neue Mitarbeiter sollen eingestellt werden.
Super für die Region, ohne Zweifel. Nur bitte, könnte man dabei nicht vernetzt denken und Umweltschutz mitplanen? Den öffentlichen Verkehr weiter ausbauen, kluge, auch restriktive Raumplanung betreiben und nicht nur das Land und jeden Ortszugang verhütteln mit Gewerbebauten, für die es keine Bebauungsrichtlinien zu geben scheint.
Und weniger an Boden versiegeln. Ein innovativer Industrieller sollte sich diesbezüglich als Pionier sehen. Aber das müssten sich auch die Architekten hinter die Ohren schreiben, denn es gilt für jeden Bauauftrag, egal ob er für ein Monat die Existenz sichert oder mit der künftig doppelt so hohen Produktionskapazität des Bauherrn das doppelt so hohe Produktionspotenzial des Architekturbüros garantiert. Es geht um mehr, Freunde.

Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+