07/07/2020

Jeden ersten Dienstag im Monat veröffentlicht GAT in der Kolumne Aber Hallo! Anmerkungen von Karin Tschavgova zu aktuellen Themen von Architektur und gebauter Umwelt.

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07/07/2020
©: Karin Tschavgova

Gated Communities und anderer städtebaulicher Unsinn in Graz

Was macht die Stadt aus? Eine gewisse Dichte, attraktive öffentliche Orte als Treffpunkte und für Kommunikation, gut ausgebaute öffentliche Infrastruktur, die den Individualverkehr mit dem Auto minimieren lässt, ja, zurückdrängt. Was die amerikanische Stadtforscherin Jane Jakobs schon in den 1960ern als „Töten“ jeglichen Stadtlebens bezeichnet hat - die Bevorzugung für das und Ausrichtung der Verkehrswege am Auto – gilt heute mehr denn je. Es braucht einen Stadtumbau!
Urban Design ist ein Schlüsselbegriff des Stadtumbaus, schreibt der Sozialwissenschaftler und Stadtplaner Harald Bodenschatz, und meint mit dem Stadtumbau den Strukturwandel von der Industrie- zur postindustriellen Gesellschaft und Stadt. Attraktivierung der Stadt, betont er, heißt in erster Linie: städtebauliche Attraktivierung. Die wichtigsten Themenfelder des Urban design seien: Die Wiedergewinnung und Neuschaffung öffentlicher Räume, der Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes, fußgängerfreundliche Gestaltung von Stadtstraßen und Plätzen, eine gewisse bauliche Dichte und Funktionsmischung, aber auch der Bau neuer Museen und anderer touristischer Attraktionen. All das seien Elemente einer Politik des Stadtumbaus.
In Graz wird seit einigen Jahren für jedermann/-frau sichtbar am Stadtumbau gearbeitet, Verdichtung ist ihr Credo. Schon jetzt ließe sich trefflich analysieren, was davon und vor allem, wie gelungen die vorangestellten Themen umgesetzt werden. Das könnte Teil eines ständigen kritischen Blicks auf die städtebauliche Entwicklung, einer amtlichen Selbstbefragung und einer kontinuierlichen Evaluierung sein, die man den Verantwortlichen ans Herz legen möchte. 
Was man an einzelnen Beispielen des aktuellen Urban Design in Graz erkennen kann, legt die Vermutung nahe, dass die Politik des Stadtumbaus ohne eine strategische Planung nach einem Gesamtkonzept erfolgt. Nun pfeifen es allerdings schon die Spatzen vom Dach, dass der den Städtebau prägende gesellschaftspolitisch notwendige Wertewandel deutlich Niederschlag finden muss – pardon: müsste - in der Prozesssteuerung. Gesamtkonzept, Prozesssteuerung? Schon mal gehört in Graz? „Ein strategischer Plan unterscheidet sich grundlegend von Stadtentwicklungsplänen früherer Art und zwar inhaltlich und hinsichtlich seiner Erstellung“ betont Bodenschatz in 10 Leitlinien zum Stadtumbau.
Welche Bedeutung und welchen Benefit ein solcher strategischer Plan für die Entwicklung eines Stadtteils haben kann, habe ich vor langer Zeit mit Staunen am Beispiel der Entwicklung des ehemaligen Carlsberg-Brauereiareals mitten in Kopenhagen gesehen. Dort hatte der strategische Plan der Architekten vorgesehen, auf den 23 Hektaren zuerst einmal eine Reihe von Quartiersplätzen zu verteilen, die in unterschiedlicher Größe und Lage (fußläufige Entfernung voneinander) sorgfältig konzipiert wurden. Sodann wurde vorgegeben, dass sich alle Bauten am Rand dieser Plätze in ihrer Situierung und ihren Fassaden zum Platz hin orientieren mussten. Die Erdgeschoßzonen mussten öffentliche Einrichtungen enthalten. So sollten attraktive Strukturen entstehen, die dazu beitragen können, „eine heitere Bühne zu schaffen“ (Bodenschatz) für die Bewohner und Bewohnerinnen der Stadt. Jan Gehl schreibt in diesem Zusammenhang vom „Menschlichen Maß“, das in der Stadtplanung lange Zeit sträflich vernachlässigt wurde, nun aber mehr und mehr Eingang findet in Planungsprinzipien jener Städte, die um den Titel der lebenswertesten Städte buhlen.
Brechen wir diese Theorien oder, wenn wir kleinere Brötchen backen wollen, solche Planungskriterien herunter auf zwei Beispiele von Neuplanungen in meiner unmittelbaren Grazer Nachbarschaft, in Waltendorf. An der Waltendorfer Hauptstraße wurde ein neues Wohnhaus, vier oder 5 Etagen hoch, zwischen zwei Bebauungen und eine kleine private Zufahrt gequetscht. Direkt an den Straße gelegen, in den Hang hinein gebaut - soviel zur städtischen Verdichtung. Städtisch ist der Zaun mit dem versperrten Tor am Gehsteigrand, der den Zugang mit Stufen und Rampe umgibt, jedoch nicht. Eine Gated Community? Offen blieb bis jetzt nur das Riesenmaul, das die Autos in die Parkgarage führt. Die Frage, wie man sich bei Verbauung von Restgrundstücken richtig - also fußgänger- und radfreundlich - zur Straße hin situiert, hat sich dort niemand gestellt. Auch die Baubehörde oder Stadtplanungsabteilung nicht, behaupte ich mal. Menschliches Maß: nicht genügend! Übrigens gibt es bis heute (nach zwei Jahren einer Besiedlung des Nachbarhauses, auch ein Mehrgeschoßer, noch immer keinen Gehsteig zu einem sicheren Straßenübergang mit Ampelregelung. Warum? Weil nicht verlangt wurde, dass vor dem Bauprozess ein wenige Meter breiter, bis zur Straße reichender privater Resthang abgelöst werden muss. Soviel zu strategischer (Nicht-)Planung nach einem Gesamtkonzept.
Nicht weit davon wurde nun das neue Zentrum Waltendorf eröffnet. Den Kritikern am Abriss des alten Bäckerei-Hauses, das für viele für das historische Waltendorf stand, hat man versichert, dass an seiner Stelle ein schönes neues Zentrum entstehen wird.
Schauen Sie sich das an. Was passiert, wenn ein privater Investor – die schlaue Gemeinnützige Genossenschaft, die schon längst auch einen gewinnorientieren Firmenzweig betreibt, - ein solches neues Stadtteilzentrum errichten soll. Ein Investment mit Marktplatz, Supermarkt, Wohnungen und allem Drumherum einer städtischen Intervention, die Treffpunkt und „Bühne“ sein könnte oder sein sollte. Viel Asphalt, eine Einfahrt in die Tiefgarage am Rand, immerhin, diskret ein paar „notwendige“ Parkplätze direkt am Zugangsweg zum Marktplatz und eine baumlose grüne Wiesenfläche, leicht geneigt gegen Überschwemmung, aber so öde, dass der 0815-Trinkbrunnen am Rande schon ein Highlight ist. Keine einladende Verweilmöglichkeit, keine Sitzbank zum Eis essen, nichts.
Anders gesagt: neue Inhalte können nicht mit alten Methoden umgesetzt werden. Will man heute attraktives Urban design erzielen und die Stadt damit auch aufwerten, dann müssen wohl alle Profiteure dafür auch einen Einsatz bringen. Und etwas dafür einsetzen von ihrem erwarteten Gewinn. Die Zeiten, in denen Städte unendlich reich waren durch Handelszölle oder anderes, sind vorbei. Auch die Zeit privater Mäzene, welche Geld ausgaben, das mit miserabel bezahlter Arbeitskraft erzielt wurde, ist hoffentlich hierorts vorbei.

Lektüre:
– Harald Bodenschatz/ Ulrike Laible (Hg.)
Großstädte von morgen. Internationale Strategien des Stadtumbaus
Braun Verlag, 2009
– Jan Gehl
Städte für Menschen
Jovis, 2015

Martin Spaett, Architekt

Der Artikel trifft es für mich genau auf den Punkt und verdeutlicht am Kopenhagener Beispiel sehr schön: die langfristige und strategische Planung und Gestaltung des öffentlichen Raumes muss von einer öffentlichen, unabhängigen Stadtbau- und Stadtentwicklungsplanung untersucht und unter Beteiligung der Öffentlichkeit und durch stadträumliche Wettbewerbe ausdifferenziert als Baurecht festgelegt werden, bevor Investmentinteressen (die ja auch gemeinnützig sein können) Stadträume besetzen, die dann das Glück nur im Vorteil der eigenen Parzelle zu finden suchen und eine „begleitende“ Stadtplanung lediglich noch der Rechtfertigung des bereits Genehmigten dient.
Die Ursache des Problems sind nicht die Einzelaktionen der jeweiligen Parzellenausnutzer, deren symptomatische Reaktionen exemplarisch im Artikel geschildert werden, sondern das offensichtlich fehlende Gesamtkonzept für die Waltendorfer Hauptstraße von unten bis oben, die - obwohl so nahe am Kerngebiet der Stadt gelegen und noch mit Resten der eigenen Ortsgeschichte gesegnet - zu der Wahllosig- und Massstabslosigkeit einer Ausfallstraße wie der Triester zu verkommen scheint.
Martin Spaett
Architekt

Do. 09/07/2020 3:17 Permalink
Hans Schaffer

Was macht gute Architekturvermittlung – Architekturpublizistik aus?
Vertiefte Recherche, echtes Interesse am Gesamtprozess, Diskussion mit allen Beteiligten, ein kontinuierlicher Dialog auf Augenhöhe und vor allem Respekt vor dem Gegenüber!
Dies alles vermisse ich aber leider in Ihrer, unseren Bau betreffenden, Kolumne.
Erlauben Sie mir vor allem zwei Punkte Ihrer Aussagen richtig zu stellen:
1.) „Die schlaue Gemeinnützige Genossenschaft, die schon längst auch einen gewinnorientierten Firmenzweig betreibt ….“
Diese Behauptung ist unwahr!
Sowohl die Österreichische Wohnbaugenossenschaft gemeinnützige reg. Gen.m.b.H. als auch die ÖWGES Gemeinnützige Wohnbaugesellschaft m.b.H. sind gemeinnützige Unternehmen.
Es handelt sich bei der ÖWGES - nicht wie unterstellt - um ein „gewerbliches Tochterunternehmen“! Sie unterliegt wie alle gemeinnützigen Unternehmen dem WGG und dem Kostendeckungsprinzip! Dieser Umstand wäre bei einer zuvor durchgeführten Recherche leicht erkennbar gewesen.
2.) „…. und eine baumlose grüne Wiesenfläche, leicht geneigt gegen Überschwemmung, aber so öde, dass der 0815-Trinkbrunnen am Rande schon ein Highlight ist. Keine einladende Verweilmöglichkeit, keine Sitzbank zum Eis essen, nichts.“
Leider haben Sie es nicht für nötig gehalten mit uns Kontakt aufzunehmen, um sich über den Fertigstellungsgrad zu informieren.
In enger Abstimmung mit der Abteilung für Grünraum wurde die Gestaltung dieses Bereichs unsererseits gestoppt, um mit einem Landschaftsarchitekten die bestehende Planung nochmals zu überarbeiten.
Es würde mich aber sehr freuen, mit Ihnen nach Fertigstellung des Projektes einen Rundgang durch die Anlage zu machen und eine Diskussion darüber zu führen.
Mit freundlichen Grüßen
DI Hans Schaffer
Geschäftsführung
Moserhofgasse 14, 8010 Graz
+43 316 8055-170 / Fax -8170
hans.schaffer@oewg.at
www.oewg.at
Österreichische Wohnbaugenossenschaft gemeinnützige reg. GenmbH
FN 66398 w Landes- als Handelsgericht Graz
ÖWGES Gemeinnützige WohnbaugesmbH
FN 57140 f Landes- als Handelsgericht Graz

Mi. 08/07/2020 2:21 Permalink
Anonymous

Antwort auf von Hans Schaffer

Ich muss Herrn Schaffer recht geben und anfügen: Der Ton, mit dem Frau Tschavgova sich hier produziert ist einer ernsthaften und konstruktiven allen konstruktiven Diskussion nicht mehr dienlich. Im Gegenteil. Die Art und Weise wie hier von oben herab auf Gat.st ge- und beschimpft wird, verhindert einen echten konstruktiven Dialog. Mit solchen will man nicht mehr diskutieren.

Sa. 11/07/2020 11:00 Permalink
Karin Tschavgova

Antwort auf von Martin Spaett, Architekt

Lieber Martin Spaett,
danke für die inhaltliche Stellungnahme und die Verteidigung einer "Solchen", die sich, dem anonymen Niemand nach, mit ihrer Glosse "produziert in einem Ton, in dem man nicht mehr diskutieren will".
Natürlich kamen hier wieder nur pauschale Vorwürfe wie "hier von oben herab ge- und beschimpft wird", keine konkreten Hinweise. Ich habe ge- und beschimpft? Bitte? Man lese meinen Text aufmerksam (der zum großenTeil aus Zitaten besteht).
Der Aufruf zur inhaltlichen Diskussion in Gottes Ohr, aber er wird wort-, kommentar- und inhaltslos verhallen, denn was der Niemand mit dem "mit einer solchen will man nicht mehr diskutieren" eigentlich sagt, ist, denke ich, dass man überhaupt nicht diskutieren will. Nichts soll diskutiert werden und schon gar nicht kritisiert, denn Kritik wird hierorts nie als konstruktive Chance gesehen, sich mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen, etwas zu lernen und als Conclusio vielleicht auch besser zu machen.
Wenn hier in schlechtem Deutsch steht, "mit einer solchen will man nicht mehr diskutieren", so ist das im Zusammenhang mit dem Hinweis, dass "hier von oben herab auf Gat.st ge- und beschimpft wird" leider nicht mehr ganz so bedeutungslos und harmlos, denn es wird ganz subtil auch GAT diffamiert. Nun ist das Online-Forum GAT, das mittlerweile in ganz Österreich gelesen wird, als Nonprofit-Unternehmen auf finanzielle Unterstützung, auf Subventionen angewiesen und der Anonymus könnte durchaus die Möglichkeit und Macht haben, diese Vergabe zu beeinflussen.
Mich kriegt man nicht so schnell aus dem "Schussfeld", das wäre die Forderung nach Zensur, aber GAT?

So. 12/07/2020 10:42 Permalink
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