07/12/2007
07/12/2007

Der Falter Steiermark erscheint wöchentlich, jeweils am Mittwoch.

Raimund Abraham ist einer der international bekanntesten Absolventen der Grazer Architekturfakultät. Ein Gespräch anlässlich seines Kurzbesuchs über gebaute und gezeichnete Architektur, über Totengräber als Architekten und die Kreissäge im Atelier.

Der Concierge des Parkhotels stellte ihm, dem Stammgast vergangener Tage, gern die Suite zur Verfügung. Aber eigentlich wollte Raimund Abraham gar nicht mehr nach Graz kommen. Er muss in diesen Tagen noch zum Begräbnis seines guten Freundes Karl-Heinrich Müller. Gerade erst war der Rohbau des "Hauses für Musiker" in Hombroich fertiggestellt, hat Raimund Abraham auch schon die Lust daran beinahe verloren. Denn zur Fertigstellung, erzählt er, wollte er gerne ein Fest halten mit Müller, dem Bauherrn. So wie damals, als beide mit einem Zeremoniell in der kreisrunden, frisch-erdigen Baugrube einen für den Architekten Abraham eher seltenen Prozess begonnen hatten: Bauen.

Mit einem Schmunzeln räumt er nun das Plastikbouquet vom Tisch und lässt sich, schon wieder stoischer Miene, fotografieren. Da auch der billige Druck von der Wand musste, bleiben für das Foto nur eine schwarz gekleidete Gestalt mit ergrautem Haar und langem Schnauzer sowie ein schwarzer, zerknautschter Hut vor blumiger Tapete. Es ist einige Zeit vergangen, seit der Architekt Abraham, der am besten wohl für den Bau des Österreichischen Kulturforums in New York bekannt ist (siehe Kasten), das letzte Mal in Graz war. Als Absolvent des Jahres 1958 war er nun zu Ehrung und Vortrag an die Technische Universität geladen.

Heute wie damals geht es Abraham um den unerreichten idealen "Nullpunkt" des Bauens, das Stellung beziehen gegen die "Gewohnheitsarchitektur" und für die "Poesie" der Architektur. Denn wenn "in einem weißen Dorf in Griechenland eine schwarz gekleidete Frau vorbeigeht", sagt Abraham, "dann ist das ein Ereignis".

Falter: Nachdem Sie während der schwarz-blauen Koalition Ihren Pass zurückgegeben hatten, sind Sie inzwischen wieder österreichischer Staatsbürger. Ist die gesellschaftliche Rolle des Architekten immer subversiv-politisch?

Raimund Abraham: Ja, absolut. Ich habe es als Verpflichtung angesehen, meine politische Position klarzustellen. Alles wurde ja durch ein Interview in der New York Times gegen meine Absicht zum Eklat, weil ich die amerikanische Staatsbürgerschaft gerade vor der Eröffnung des Österreichischen Kulturinstituts angenommen habe. Mein Pass bestimmt aber nicht mein Geburts- oder Heimatrecht, das habe ich nie abgegeben.

Sie sind nach langer Zeit wieder einmal an der Grazer TU. Was verbindet Sie noch mit der Institution?

Ich bin jetzt das vierte Mal in Graz, und die drei vorherigen Besuche sind aufgrund einer Einladung von Günther Domenig zustande gekommen. Mit ihm verbindet mich eine sehr enge Freundschaft und Respekt. An der Cooper Union, von der ich mich nach dem Tod des Dekans und meines Freundes John Hejduk zurückgezogen habe, herrschte die vollständige Verneinung der Bürokratie, jede eigentlich formale Sitzung wurde zu einer Art philosophische Auseinandersetzung. Anders als hier, wo Studienpläne wie Fahrpläne aussehen. Meine Erinnerung bezieht sich also eher auf Personen. Und die Erinnerung ist ja manipulierbar. Ich habe mir angewöhnt, mich nur an das Gute zu erinnern. Das wird als Verdrängung bezeichnet; damit habe ich kein Problem. Wenn ich nach 25 Jahren zurückkomme in ein Restaurant dieser Stadt, und es schaut genauso aus, die Kellnerin hat nahezu das Gleiche an, das Essen ist gut - solche Momente machen mich glücklich. Aber geprägt hat mich Graz nicht. Schon eher Wien.

Von Ihrem 2002 eröffneten Kulturforum hieß es in den Medien, es wäre - nach dem Guggenheim - die erste wirkliche Architektur in New York.

Innerhalb meiner gebauten Arbeit kann ich sagen, dass es sicher die bedeutendste ist. Es hat mich natürlich auch zehn Jahre meines Lebens gekostet und ich war gezwungen, Widerstandskämpfer, Rechtsanwalt und Politiker zu sein, um es überhaupt bauen zu können.

Die architektonische Zeichnung nimmt für Sie eine autonome Stellung ein. Wie stehen Sie der Inflation des Bildes gegenüber?

Die Inflation der Kunst ist die normale Konsequenz des Kapitalismus. Der Einzelne kann sich dem Kollektiv-Politischen nicht entziehen. Dennoch muss man seine Arbeit als Einzelner fortsetzen. Ich beschäftige mich nicht mit aktuellen Dingen, beziehe wenig Inspiration von Zeitgenössischem - vielleicht aus Ignoranz. So ziehe ich mich zurück. Ich hatte auch nie ein Architekturbüro, sondern ein Atelier, in dem auf der einen Seite die Kreissäge stand, auf der anderen der Computer. Das relativiert dessen Rolle. Ich weiß aber ganz genau, was er kann. Viele Jahre bin ich mit meinen Assistenten davor gesessen und habe mich gefühlt, als ob meine Hände gefesselt wären. Ich glaube, dass die Unmittelbarkeit der Bildproduktion durch den Computer die Möglichkeit, mit der Hand zu denken, verhindert. Das birgt eine Gefahr, da es wissenschaftlich nachweisbar ist, dass die Hand die Entwicklung des Hirns beeinflusst hat, nicht umgekehrt. Die Realitäten und Bildwelten des Computers müssen nicht uninteressant sein, aber authentisch sind sie nicht.

Was also ist für Sie die Qualität der Zeichnung?

Die Unmittelbarkeit der Übersetzung einer architektonischen Idee in eine physische Form. Man muss sich beim Skizzieren grafischer Qualitäten entziehen - eine komplizierte Zeichnung ahnt eine architektonische Konstruktion voraus. Deshalb zeichne ich nur so viel, wie notwendig ist. Und das ist eindeutig magischer, als einfach nur ein Bild zu produzieren. Die Zeichnung ermöglicht Realitäten zu bestimmen, die in physischer Übersetzung zwar unmöglich sind, zum Beispiel das Schweben eines Turmes über der Landschaft. Diese imaginären Zustände können aber in ihrer Essenz studiert werden. Wenn man dann ein tektonisches Volumen tatsächlich bauen und gegen die Schwerkraft unterstützen muss, wird man das anders unterstützen, als wenn man sich nie mit seinem idealen Zustand in der Zeichnung beschäftigt hätte.

Baut der Architekt eine ideale Ordnung in die reale? Ist das für Sie Architektur?

Ich sehe das dialektisch: Wenn ein bewohnbares Haus genau auf einen bestimmten Gebrauch geschnitten würde, wäre dies das faschistischste Haus, das man sich vorstellen kann. Je universeller die Räume, je stärker die Herausforderung an die Bewohnbarkeit, desto stärker bleibt der ideale Raum bestehen. Es gibt weder "form follows function" noch "function follows form". Ich sage immer als Äquivalent zur Verletzung der Erde beim Bauen: Die einzige Rechtfertigung, dass man ein Tier tötet, ist die, es gut zu kochen. Wahrscheinlich waren auch der Totengräber und der Vermesser die ersten Architekten. Zuerst muss man ja ein Loch graben und einen Hügel aufwerfen, dann die Form bestimmen. Es ist eine Art Sehnsucht in mir, alles auf den Ursprung, den Nullpunkt, zurückzuführen.

Ist der Gedanke des Elementaren der Kern Ihrer Arbeit?

Ich versuche immer wieder von vorne anzufangen. Bei jeder Zeichnung, jedem Spatenstich. Dieses Bewusstsein bestimmt sicher die Qualität meiner Arbeit. Das ist ein Prozess von Verletzung und Versöhnung. Ich bin ein Arbeiter in der Disziplin der Architektur, arbeite an der Lösung eines Problems. Mein Vater war Kellermeister, der hat Wein gemacht. Das ist derselbe Prozess, ich bin nicht einmal davon überzeugt, dass der Prozess in der Architektur komplexer ist.

Kann man darin ein generelles Symptom der Krise sehen, dass Architektur zum "Design" wird, wenn die elementare Herausforderung, der Konflikt, nicht mehr gewagt wird?

So ist es. Die Notwendigkeit bestimmt nicht mehr, was produziert wird. Die Notwendigkeit wird von den Produkten bestimmt. In der Moderne bestand das Programm noch aus Häusern für Arbeiter, heute bauen wir Museen, die ein Ort der Kontemplation waren und heute zum Teil des globalen Spektakels geworden sind. Früher waren das elegante Häuser, heute sind sie gefüllt von Touristen mit dem Zwang zum Reisen - weil sie es offensichtlich nirgends länger aushalten und aus dem Gesehenen nicht lernen.

Haben Sie dann für das Wellness-Zentrum in Peking, für das Sie die Fassade gestaltet haben, einen Pakt mit dem Teufel geschlossen?

Da brauche ich ja keinen Pakt. Wenn man so wenig gebaut hat und plötzlich in Peking bauen kann ... Ich habe mich verführen lassen, sagen wir so. Ich habe aber gewusst, dass das Gebäude - typisch für solche Bauten - zum Propagandamittel wird.

Gleichzeitig suchen Sie aber auch mit Ihrem Ferienhaus in Mexiko, am südlichsten Punkt Nordamerikas, den genius loci.

Der Ort in Mexiko erinnert mich assoziativ an meine Kindheit. Die Kinder auf der Straße, der Brunnen, Fußballspielen - das war eine Dimension meiner Kindheit. Man beschäftigt sich immer mit seinen eigenen Ursprüngen.

Lieben Sie die Natur?

Nein, nicht wirklich. Sie fasziniert mich. Man sieht an ihr das Unerklärbare unserer Existenz. In Mexiko werde ich aber wieder kontemplativer. Das Gebäude, das ich dort gebaut habe, sollte wieder ein Teil der Landschaft werden, gerade als Gegensatz zu ihr - der Ort ist ja wesentlicher als das Gebaute. Kennen Sie Thomas Bernhards Roman "Korrektur"? Die beiden gegensätzlichen Häuser, die darin beschrieben werden, den imaginären Kegel im Zentrum des Waldes und das alltägliche Gebäude an der gefährlichsten Stelle am reißenden Bach, so gebaut, dass es nicht zerstört werden kann? Durch die Auseinandersetzung mit dem extremen Gebrauch schafft man mit dem nicht-idealen physischen Schutzbau auch eine ideale Architektur als Widerstand gegen die Natur.
Der Falter Steiermark erscheint wöchentlich, jeweils am Mittwoch.

Verfasser/in:
Albert Kirchengast; erschienen im Falter Stmk. 47/2007
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+