18/04/2019

Bauen für Menschen und Klima

Rezension von Martin Grabner zur 2019 erschienen, von proHolz Steiermark herausgegebenen Publikation

Von 500 Jahre alten Bauernhäusern über urbane Nachverdichtung und formdynamische Ausführungen von Schindelfassaden bis hin zu erstaunlichen Tragwerken reicht die Bandbreite.
Aufschlussreiche Fotografien und Texte erlauben einen tiefergehenden Blick auf die Details, die Vielseitigkeit und die architektonischen und atmosphärischen Möglichkeiten beim Bauen mit Holz.

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18/04/2019

Atelier am Kogl, Semriach, 2013

Architektur: Johannes Kaufmann Architektur©: paul ott photografiert

Cover: Bauen für Menschen und Klima

Seite 54 | 55: Wohnbau Max-Mell-Allee, Graz, Nussmüller Architekten, 2018 | Prinzessin Veranda, Pentaplan, 2018

Seite 96 | 97: Atelier am Kogl, Semriach, Johannes Kaufmann Architektur, 2013

Seite 106 | 107: Mutterkuhstall, St. Stefan ob Leoben, Arch: L-Kammer Stmk., 2012

Seite 134 | 135: Peterskirche St. Lambrecht, reitmayr architekten, 2017

©: paul ott photografiert

Man glaubt das Holz schon zu riechen bevor man das Buch aufschlägt. Am Cover der neu erschienenen Publikation Bauen für Menschen und Klima von proHolz Steiermark wird Holz, der unbestrittene Star der folgenden 142 Seiten, in fünf Verarbeitungen nicht nur visuell sondern, zumindest imaginiert, auch haptisch und olfaktorisch in den Fokus gerückt.
So selbstverständlich wie es am Buchcover erscheint, ist Holz im Baugeschehen allerdings leider nicht. Nur 4% des urbanen Neubaus in Europa bestehen aus Holz. Dabei wäre besonders hierzulande ein Vielfaches möglich, wächst in Österreichs Wäldern doch pro Sekunde ein Kubikmeter Holz nach. Ein Drittel davon würde für sämtliche Neubauten des Landes ausreichen. Aus der Sicht des Klimas wäre es logisch, so viel wie nur irgend möglich mit der nachwachsenden und dabei CO2-bindenden Ressource Holz zu bauen, entstehen doch mehr als die Hälfte aller CO2-Emissionen bei der Errichtung und Erhaltung von Gebäuden, wie man ein paar Seiten weiter erfährt.
Dabei hat Bauen in Holz Tradition. Diese nachhaltige Vergangenheit in die Gegenwart zu holen und Holz als zeitgemäßen und zukunftsträchtigen Baustoff in unseren Köpfen zu verankern, ist die vordringlichste Mission dieses Buches. Auf emotionaler wie auch rationaler Ebene.

So gibt Claudia Gerhäusser, die für die inhaltliche Redaktion verantwortlich zeichnet, in ihrem einleitenden Essay einen Überblick über die wichtigsten Qualitäten von Holz als Baustoff und ökologische Ressource und geht auf seine starke traditionelle und wirtschaftliche Verankerung in der Steiermark ein. Ihr ist es vor allem wichtig, die noch immer engen, oft klischeebeladenen Vorstellungen vom Bauen mit Holz aufzubrechen und das breite Spektrum der Einsatzmöglichkeiten aufzuzeigen.
In einer sich urbanisierenden Gesellschaft muss Holz „stadtfähig“ sein, was vor allem bedeutet, für höhere Bauten eingesetzt werden können. Das ist ohne Weiteres möglich, wie Tom Kaden, seit 2017 Professor für Architektur und Holzbau an der TU Graz, mit dem Gerhäusser für das Buch ein ausführliches Gespräch geführt hat, argumentiert. Der Wohnbau Hummelkaserne in Graz war zum Zeitpunkt seiner Errichtung 2016 mit sechs Geschoßen das höchste Wohnhaus aus Holz in Österreich. Derzeit wird an der serienmäßigen Anwendung des Baustoffes für die Gebäudeklasse ab zwölf Geschoße gearbeitet und mit dem 24-geschoßigen Hoho in Aspern ist ein neuer Rekordhalter kurz vor der Fertigstellung. Die Zukunft lässt sich angesichts der Pläne für ein 350 Meter hohes Gebäude aus Holz bis 2041 in Tokio erahnen.
Doch es geht um mehr als immer neue Superlativen in Sachen Höhe. Die Publikation zeigt Einsatzmöglichkeiten von Holz von handwerklich faszinierenden Dachkonstruktionen mit Holzverbindungen bis zu digitalisierten Konstruktionsprinzipien, von ästhetisch komponierten Holzfassaden mit unterschiedlichsten Lattungen und Schindeln bis zum konstruktiven Einsatz im Verborgenen.
Den größten Teil des zweisprachigen Buches macht die reichlich und sehr schön illustrierte Präsentation von 41 ausgewählten steirischen Holzbauten der letzten zwölf Jahre aus, die nach Nutzung geordnet die vielfältigen Vorteile von Holz vor Augen führen. Neben der ökologischen Nachhaltigkeit viele praktische Aspekte wie das geringe Gewicht und den hohen möglichen Vorfertigungsgrad. Und vor allem den Beitrag zu einem behaglichen und gesunden Raumklima. Die Relevanz der bauphysikalischen Eigenschaften wie der feuchtigkeitsregulierenden und dämmenden Wirkung wird besonders bei den präsentierten Bauten für Gesundheit und Pflege deutlich. Die medizinische Wirkung der ätherischen Öle einiger Holzarten wie Zirbe oder Bergfichte macht aus ihnen tatsächlich Gesundheitsarchitektur. Den größten Teil der in Holz errichteten Gebäude machen jedoch Wohngebäude aus – erfreulicher Weise inzwischen zahlreiche größere Geschoßwohnbauten in der Stadt und am Land.

Um Holz als Baustoff möglichst breitenwirksam und niederschwellig, ja, man kann sagen zu promoten, konzentriert sich das Buch sehr stark auf die sinnliche, emotionale Ebene, was zugleich seine einzige Schwäche ist. Architekten wünschen sich ab dem ersten Projekt zumindest kleine Plandarstellungen, um – beispielsweise bei Schulbauten – die räumliche Organisation und Qualität auch über die auf den Fotos gezeigten Perspektiven hinaus lesbar zu machen. Im Inhaltsverzeichnis wird für Pläne auf die Webseite von proHolz verwiesen. Dort landet man beim vollständigen Projektkatalog von proHolz Steiermark, der eine wunderbare Ergänzung zum Buch ist, da er ein Vielfaches an interessanten Bauten enthält und naturgemäß um neue Projekte erweitert werden kann und wird. Die versprochenen Pläne sucht man aber auch hier vergebens, ebenso wie eine eigene Einstiegsseite für LeserInnen des Buches, die hilfreich wäre um schneller zu ergänzenden Information zum gerade im Buch betrachteten Projekt zu gelangen.
Die relativ geringe Detailtiefe der Projektbeschreibungen und das Fehlen der Plandarstellungen sind der – nachvollziehbaren – Ausrichtung des Buches geschuldet, das sich an eine breite, an Bauen, Wohnen und Lebensraum interessierte Öffentlichkeit (und damit potenzielle künftige BauherrInnen) richtet und nicht in erster Linie an ein Fachpublikum. Nichts desto trotz kann es nicht schaden, auch in Fachkreisen immer wieder auf die breite Palette an Projekten aus Holz hinzuweisen. Und das Buch den nächsten BauherrInnen nicht aufdringlich, aber doch unter die Nase zu halten, um noch einmal den wohltuenden Geruch des Hauptakteurs zu strapazieren.

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Bauen für Menschen und Klima / Building in the Name of People and Climate
Holzbau in der Steiermark
Herausgeber:
proHolz Steiermark, Verband der steirischen Holz- und Forstwirtschaft
Jänner 2019, 142 Seiten
Deutsch / Englisch
ISBN 9 783200 061217
Euro 27,50

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