02/06/2013

Die Studie wurde im Auftrag der Stadt Wien, Magistratsabteilung 50 - Wohnbauförderung und Schlichtungsstelle für wohnrechtliche Angelegenheiten, Referat für Wohnbauforschung und internationale Beziehungen - im Zeitraum März bis November 2012 von Robert Temel erstellt.
Sie ist online verfügbar, s. Link Wohnbauforschung

Robert Temel ist Architektur- und Stadtforscher in Wien. Sein Forschungsinteresse dreht sich um die Nutzung und Herstellung von Architektur und Stadt mit Schwerpunkt auf Wohnbau, Stadtplanung und öffentlichen Raum.

02/06/2013
©: Redaktion GAT GrazArchitekturTäglich

Modell der fünf Asperner Baugemeinschaftsprojekte auf dem Baufeld D13. Die fünf völlig verschiedenen Modelle wurden auf einer gemeinsamen Grundplatte mit dem Grundriss des Baufeldes zusammengeführt und zeigen das räumliche Ensemble auf D13 in seiner Kombination aus Vielfalt und Bezugnahme.

©: Robert Temel

Kurzfassung der Studie von Robert Temel

Das Bewerbungsverfahren 2011/12 und die anschließende kooperative und individuelle Planung von fünf Baugemeinschaften in der Seestadt Aspern ist ein bisher einmaliges Ereignis in Wien: Noch nie wurden in einer systematischen und auf die Bedürfnisse der Baugemeinschaften zugeschnittenen Weise Grundstücke für solche Projekte zur Verfügung gestellt. Dabei ist es gut gelungen, diesen Bedürfnissen auch zu entsprechen. Hier wurde ein erster Schritt getan, auf den nun weitere folgen können, für die man aus diesem Verfahren lernen kann. Die vorliegende Studie will ein Beitrag dazu sein, Informationen über diesen Prozess zu sichern und daraus Schlüsse für zukünftige ähnliche Prozesse anderswo zu ziehen.

Forschungsfragen, Untersuchungsmethode


Das zentrale Thema der vorliegenden Studie ist die Planungskooperation der Asperner Baugemeinschaften sowie ein Vergleich der von ihnen angewandten verschiedenen Ansätze partizipativer Planung.
Die Forschungsfragen sind deshalb: Welche Formen von partizipativer Planung können unterschieden werden? Von welcher Art und Qualität sind die untersuchten Planungsabläufe, insbesondere jene, die auf die Kooperation zwischen den Baugemeinschaftsprojekten ausgerichtet sind? Was kann kooperative Planung im Cluster von Baugemeinschaftsprojekten bewirken? Wie konnten kooperative Planungsabläufe erreicht werden und welchen Erfolg hatten sie? Welche Auswirkungen auf "konventionelle" Planungsabläufe haben diese kooperativen Planungsabläufe? Welche Wechselwirkung mit dem städtischen Umfeld werden in der Planung von Baugemeinschaftsprojekten thematisiert?
Die Untersuchung basiert auf Methoden der qualitativen Sozialforschung, vorrangig teilnehmender Beobachtung und qualitativen Interviews.

Baugemeinschaften in Aspern


Das Bewerbungsverfahren für Baugemeinschaften in der Seestadt Aspern startete nach informellen Vorstufen im Mai 2011 und lief in zwei Phasen mit einer Zwischenphase bis Juni 2012. Währenddessen und danach wurde von den Gruppen nicht nur geplant, sondern auch die eigene rechtliche und soziale Struktur entwickelt, es wurden neue Mitglieder gesucht und die Kooperation über das gesamte Baufeld D13 entwickelt. In nächster Zukunft werden die Gruppen weiterplanen, zu bauen beginnen und im Laufe der Jahre 2014 und 2015 schließlich einziehen.



Gemeinsamkeiten der Asperner Baugemeinschaften


Die fünf Baugemeinschaften ähneln sich in mancher Hinsicht aufgrund der besonderen Rahmenbedingungen an diesem Ort: In Wien gibt es bisher nur eine relativ kleine Baugemeinschafts-Szene und das Modell ist noch wenig bekannt. Die Gruppenbildung für die Projekte in der Seestadt Aspern musste vergleichsweise sehr schnell gehen, um sich bei der Baugemeinschafts-Ausschreibung der Entwicklungs-Gesellschaft Wien 3420 AG bewerben zu können. Und die Lage in der Seestadt Aspern ist für das Baugemeinschafts-Klientel ein eher ungewöhnlicher Ort: Derartige Projekte liegen meistens entweder innerstädtisch oder im Speckgürtel rund um die Städte. Aus all diesen Gründen sind die fünf Asperner Baugemeinschaften alle nicht von zukünftigen Bewohnerinnen selbst, sondern von professionellen Akteuren initiiert worden.
Man könnte meinen, dass ein solches Spezialthema wie gemeinschaftliches Wohnen ein enges soziales Segment interessiert und somit die verschiedenen Baugemeinschaften relativ große Ähnlichkeiten besitzen. Tatsächlich sind die fünf Asperner Baugemeinschaften jedoch überaus vielgestaltig und besitzen jeweils unterschiedliche Rechtsformen, Konzepte und Vorgangsweisen. Trotzdem gibt es selbstverständlich Gemeinsamkeiten der fünf Gruppen. Dass die Kooperation der fünf Gruppen trotz dieser Vielfalt möglich ist, zeigt, dass von den Gruppen die behauptete Gemeinschaftlichkeit ernst genommen wird.
Im Unterschied zu den anderen Asperner Wohnbaufeldern bilden die fünf Häuser auf dem Baufeld D13 ein kleinteiliges, aufeinander abgestimmtes Ensemble. Das heißt es handelt sich zwar um fünf unterschiedliche Häuser, die jeweils für Gruppen mit spezifischer Identität stehen; allerdings sind diese fünf Häuser vergleichsweise tiefgehend aufeinander abgestimmt. Durch diese spezifische Verknüpfung von Besonderheit und Angepasstheit wird das Baufeld vielfältig und überschaubar wirken, obwohl es genauso dicht ist wie die anderen Wohnbaufelder.

Partizipative Planung im Wohnbau


Die Mitbestimmung im Rahmen der fünf Asperner Baugemeinschaften kann generell als intensiv und hochwertig angesehen werden, die Vielfalt der Vorgangsweisen ist begrüßenswert, weil sie ein vielfältiges Angebot für Baugemeinschafts-Interessentinnen mit sich bringt, die jene Form wählen können, die ihren Ansprüchen gerecht wird. Einen Schritt weiter würde es führen, wenn es zusätzlich zu den hier umgesetzten Formen auch im engeren Sinne Bewohner-initiierte Formen gäbe; die Voraussetzung dafür ist ein regelmäßiges Angebot an Grundstücken für Baugemeinschaften, eine größere Bekanntheit des Modells Baugemeinschaft in der breiten Öffentlichkeit sowie Vertrauen in die Umsetzbarkeit solcher Projekte. All die verschiedenen Vorgangsweisen haben zu fast denselben Thematiken kritische Punkte, für die Lösungen gefunden werden müssen - etwa hinsichtlich Wohnungsverteilung, Gemeinschaftsräumen, repräsentativer Funktion des Gebäudes. Diese Punkte hängen stärker vom jeweiligen Wohnbausystem, beispielsweise dem Wiener geförderten Wohnbau, ab als von der jeweiligen Partizipationsmethode. Als Fazit könnte man ziehen, dass es den goldenen Weg der Partizipation nicht gibt, sondern eine Vielzahl von Ansätzen, die jeweils spezifische Vor- und Nachteile haben und in spezifischen Situationen anwendbar sind.

Kooperative Planung


Die Entwicklung des Baugemeinschafts-Baufelds D13 war in städtebaulicher Hinsicht erfolgreich. Dabei sind jedoch durchaus Verbesserungen möglich, deshalb bieten sich zwei Schlüsse an: Entweder verzichtet man zu Beginn eines Baugemeinschafts-Planungsverfahrens komplett auf Architekturkonzepte. Stattdessen könnte man von den Gruppen bei der ersten Einreichung grobe städtebauliche Konzepte für das jeweilige Gesamtbaufeld verlangen. Diese Konzepte wären dann Basis für die gemeinsame Ausarbeitung. Die Konzepte müssten aber wohl relativ grob bleiben, weil zum Zeitpunkt ihrer Erstellung noch unklar ist, wie viele und wie große Gebäude/ Projekte am Baufeld schließlich geplant werden. Oder man verzichtet bei der ersten Konzeptabgabe auch darauf, vergibt nur grobe Platzzuweisungen ohne alle weiter definierenden Zusagen. Anschließend würden die Gruppen gemeinsam ein städtebauliches Konzept entwickeln. Die dritte Möglichkeit, die jedoch weniger elaborierte Gesamtkonzepte erwarten lässt, wäre es, strikte Vorgaben für die Bebauung zu machen, wie das in Tübingen üblich ist. Abgesehen davon, welche dieser Vorgangsweisen gewählt wird, ist es wichtig, Art und Methode der notwendigen Planungskooperation in der Ausschreibung zu definieren, um die Teilnehmerinnen entsprechend darauf vorzubereiten.
Der positiven Bewertung der Verfahrensresultate durch die Jury kann vorbehaltlos zugestimmt werden, die kooperative Planung am Baufeld D13 war wohl kompliziert und aufwändig, dieser Aufwand hat sich jedoch schließlich gelohnt durch die Qualitätsverbesserung des Ensembles sowie der einzelnen Gebäude. Insbesondere der gemeinschaftliche Freiraum ist absehbar von hoher Qualität.
Auch wenn sowohl die Freiraumplanung als auch die Abstimmung der Grundstücks-begrenzungen und Bebaubarkeiten insgesamt gut gelaufen sind, so gab es doch insbesondere bei letzterer einige Konflikte, die durch eine externe Moderation des Kooperations-prozesses wohl weitgehend vermieden werden könnten. Der Erfolg dieses Prozesses am Baufeld D13 beruht auch auf der Teilnahme erfahrener Wohnprojekte-akteurinnen innerhalb der Projekte, die Prozesswissen beisteuern konnten.

Resümee


Das Baugruppen-Bewerbungsverfahren in der Seestadt Aspern kann insgesamt als großer Erfolg angesehen werden, soweit das aus heutiger Sicht beurteilbar ist. Insbesondere angesichts der Tatsache, dass ein solches Verfahren erstmals in Wien ausprobiert wurde, muss dieser Erfolg gewürdigt werden. Nichtsdestotrotz gibt es natürlich auch Verbesserungspotenzial. (6.1)
Entscheidend bei der Ausweisung von Baugemeinschafts-Baufeldern in der Stadterweiterung ist die Frage, ob man Baugemeinschaften an einem Ort clustert oder zwischen konventionellen Wohnbauten verteilt. Die Versammlung scheint die vorteilhaftere Form zu sein, weil sich im Asperner Fall die Kooperation und Synergie zwischen den Gruppen als sehr erfolgreich erwiesen hat. Man könnte jedoch daran denken, Separationstendenzen durch ergänzende Maßnahmen zu reduzieren. (6.2)
Aus dem Bewerbungsverfahren ergab sich gleichsam organisch die Kooperation zwischen den Gruppen. Obwohl es sich dabei somit um ein implizites Element des Verfahrens handelt und der Ablauf teils durchaus schwierig war, muss dessen große Bedeutung hervorgestrichen werden: Die Abstimmung der Grundstücksausmaße und -grenzen sowie der Bebaubarkeit trug, soweit das aus heutiger Sicht zu beurteilen ist, stark zur Qualität der Einzelgebäude wie auch des gesamten Ensembles bei. Dazu kommt, dass die Ausarbeitung der Entwürfe im Vergleich zum konventionellen Weg länger gedauert hat, in intensiverer Auseinandersetzung geschah und somit insgesamt die architektonische Gestaltung mit mehr Rücksicht auf Nutzerbedürfnisse entwickelt wurde. Wohl noch erfolgreicher war die Kooperation hinsichtlich des gemeinsamen Freiraums. Die gemeinsame Beauftragung eines Büros für Landschaftsarchitektur und die Koordination der verschiedenen Ansprüche führte zu einem Entwurf, der absehbar höhere Qualitäten bietet, als das vielfach im geförderten Wohnbau in Wien der Fall ist. (6.3)
Aus heutiger Sicht kann gesagt werden, dass der zeitliche Ablauf des gesamten Verfahrens ein sinnvolles Mindestmaß hatte. Es ist kaum möglich, dass innerhalb der nur zwei Monate, die die erste Verfahrensphase andauerte, sich neue Gruppen formieren oder Baugemeinschafts-initiatorinnen genügend Mitglieder zumindest einer Kerngruppe zusammenführen können. Deshalb braucht ein solches Verfahren einen entsprechend langen Vorlauf.
Die Öffentlichkeitsarbeit sollte sich in Zukunft stärker auf Interessierte für solche Projekte und nicht vorrangig auf "Profis" richten. Die Zwischenphase des Verfahrens, in der die Grundstücksabstimmung stattfand, bräuchte entweder mehr Zeit oder eine bessere Strukturierung. Es wird vorschlagen, den Aushandlungsprozess zur Parzellierung in Kauf zu nehmen und aktiv zu unterstützen. Eine solche Kooperation mit Konfliktpotenzial gibt Freiräume für die zu entwickelnden Projekte und trägt somit zu deren Qualität bei. Überdies erwies sich der Prozess hinsichtlich der Kleinteiligkeit und Vielfältigkeit des Baufelds als sehr erfolgreich. (6.4)
Es wäre sinnvoll, von Beginn eines solchen Prozesses an eine kontinuierliche externe Moderation anzubieten, ergänzt durch externes Prozesswissen. Das könnte die kreative Kooperation der Gruppen sichern und den Kooperationsprozess vereinfachen. Eine solche Moderation könnte auch die tendenzielle Innenorientierung der Gruppen reduzieren helfen. Und sie würde das zeitweise Abreißen der Kooperation verhindern. (6.5)
Die Verfahrensvorgaben wurden zwar an die Besonderheit des Baugemeinschafts-modells angepasst, sie waren jedoch nach wie vor vorrangig an den üblichen Adressatinnen orientiert. Diese Vorgaben sollten stärker an die Bedürfnisse kleiner Baugemeinschaften adaptiert werden. Die administrativen Rahmenbedingungen für die Neubauförderung sind wesentlich komplexer als im Sanierungsfall; Baugemeinschaften als Adressatinnen sollten hier bedacht werden. (6.6)

Für Baugemeinschaften sind im Vergleich zum konventionellen Wohnbau neue Formen der Kommunikation nötig. Einige Ansätze dafür wurden auch beim Asperner Bewerbungsverfahren eingesetzt. Diesbezüglich ist jedoch noch vieles denkbar, insbesondere mit Ausrichtung auf Laien sowie für eine breite Öffentlichkeit, die das Konzept Baugemeinschaft noch kaum kennt. Dies gilt insbesondere für die erste Phase vor dem Bewerbungsverfahren, wenn es darum geht, dass Interessierte Gruppen bilden können. Wesentlich für den langfristigen Erfolg dieses Konzeptes ist jedenfalls das öffentliche Commitment der Stadtpolitik. (6.7)
Neben der Abstimmung von Städtebau/ Architektur und der Freiraumplanung sind Synergien zwischen den Baugemeinschaften bisher vorrangig bei den Gemeinschaftsräumen erkennbar. Diese Planungen sind aber bisher noch nicht weit gediehen. Inwiefern diese Abstimmung erfolgreich ist, lässt sich aus deshalb noch nicht sagen. Ebenfalls noch kaum absehbar, aber sinnvoll ist die Synergie hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit der Bauführungen. (6.8)
Die Abstimmungsrunde der fünf Gruppen mit allen betroffenen Magistratsabteilungen erwies sich als überaus erfolgreich und hilfreich für den Prozess. (6.9)
Baurecht ist grundsätzlich ein sehr förderliches Modell. Die Bedingungen dafür sollten für Baugemeinschaften in Zukunft attraktiver gestaltet werden. (6.10)

Wie nicht zuletzt der aktuelle Prozess auf dem Baufeld D13 gezeigt hat, wäre es für das Modell Baugemeinschaft überaus wichtig, eine Beratungsstelle innerhalb der Stadtverwaltung einzurichten. Eine solche Stelle könnte eine wienweite Datenbank von Interessentinnen und Gruppen führen, beraten, informieren und vernetzen sowie die Kommunikation mit der Verwaltung aufrecht erhalten. (6.11)

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