17/08/2017

Ansprechen 02
Diskussion der ZV Steiermark zum geförderten Wohnbau am 21.06.2017 im Kunsthaus Graz.

TeilnehmerInnen siehe Terminempfehlung und Foto links

In Zeiten gesellschaftlichen Wandels ist die soziokulturelle Relevanz des geförderten Wohnbaus zu hinterfragen. Eine Neuausrichtung des Wohnbaus bedarf es einer interdisziplinären Auseinandersetzung.

Dem Ruf aus dem Publikum nach einer Arbeitsgruppe von Politik, Vertretern freier Architekten und Wohnbaugenossenschaften zur gemeinsamen Erarbeitung innovativer Ansätze im Wohnbau wurde seitens der Politik stattgegeben.

17/08/2017

TeilnehmerInnen (v.l.): Univ.-Prof. Arch. DI Andreas Lichtblau (TU Graz), Arch. DI Bettina Götz (ARTEC Architekten), Arch. DI Martin Brischnik (Moderation), Landesrat Ök.-Rat Johann Seitinger, Arch. DI Martin Gruber (ZT Kammer Stmk & Kärnten), Prok. DI Hans Schaffer (ÖWGES)

©: ZV Steiermark

Martin Brischnik (Moderation), Landesrat Johann Seitinger, Arch. DI Martin Gruber (ZT Kammer Stmk & Kärnten)

©: ZV Steiermark

Geförderter Wohnbau wird oft mit leistbarem und sozialem Wohnbau gleichgesetzt. Doch bei näherer Betrachtung kommt die Frage auf, ob diese Übereinstimmung wirklich vorliegt. Gleichzeitig erleben wir einen steten Wandel in elementaren Bereichen der Gesellschaft, was eine rasche Veränderung bestehender Strukturen und Denkmuster bedarf. Hierbei nimmt der geförderte Wohnbau eine wichtige Position und Einfluss ein. Fragen, wie der Wohnbau für diese sich wandelnde Gesellschaft aussehen kann, verdeutlichen die Dringlichkeit einer fachlichen Auseinandersetzung. Diese initiierte die ZV Steiermark in einer Podiumsdiskussion unter Moderation von Martin Brischnik. Gemeinsam mit Fachleuten und dem Vertreter der Landespolitik wurde einen Abend lang über die steirische Situation und Ausrichtung des geförderten Wohnbaus diskutiert. Speziell in der Steiermark hat dieses Thema eine besondere Bedeutung; war sie doch mit ihrem Modell Steiermark in den 1980er Jahren eine über die Grenzen Österreichs bekannte Größe für geförderten innovativen Wohnungsbau. Doch wie steht es heute um den geförderten Wohnbau der einstigen Modell-Region?
Auch wenn die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten drei Jahrzehnte sowie Erfahrungswerte in Architektur und Städtebau nicht mit der Situation der 1980er Jahre zu vergleichen sind, kann das Einfamilienhaus in der Peripherie keine Alternative sein. Denn unbestritten ist diese Art von Wohnraum einer der Hauptgründe für die Zersiedelung. Die fehlende oder schlechte Anbindung an das Netz des öffentlichen Nahverkehrs verstärkt die Problematik des heutigen Landschafts- und Stadtraums.
Dies sei eine falsche Entwicklung, so Landesrat Johann Seitinger. Deshalb strebe man als eine der politischen Ausrichtungen die Nachverdichtung in Ortskernen und Städten an. Ein wichtiger Punkt sei hierbei die Förderung des Eigenheims zur Schaffung leistbaren Wohnraums. Dies alles geschehe in dem Ziel „bewusst die Bezirksstädte“ mit vorhandener Infrastruktur als attraktiven Lebensraum zu stärken. Für den Landesrat sei es „wichtig, dass wir die Standortentwicklungen, die auch beim Wohnen beginnen, hier neu denken und dass wir den urbanen und den ländlichen Raum in gemeinsamer Großverantwortung sehen“. Das Problem der Zersiedelung sei unbestritten. Doch wie mit der hohen Nachfrage nach Einfamilienhäusern, die in der steirischen Gesellschaft gemäß Umfragen vorliegt, umgehen? Die Politik könne dies nicht einfach ignorieren, betonte der Landesrat.
Andreas Lichtblau merkt an, dass Umfragen kritisch zu betrachten seien. Das Einfamilien- oder Doppelhaus in der Peripherie sei vor allem ein Zeichen für die fehlenden Alternativen im Wohnbau. Das Einfamilienhaus an sich könne nicht als obsolet bezeichnet werden. Aber es bedürfe einer Differenzierung in der Beurteilung bei der Förderung solcher Typologie. Denn es würde der gravierende Unterschied nicht genug herausgestellt und somit auch falsch angewandt. Ein wachsendes Dorf müsse durch Verdichtung im Ortskern geschehen, so Lichtblau. Hier sei eine Diversität innerhalb ihrer Struktur zu fördern. Ein weiterer politischer Fokus gelte der Stadt. Hier müsse Dichte und leistbarer Wohnraum geschaffen werden, was aus ökonomischer Sicht nur durch kleinere Wohnungen und Senkung des notwendigen Wohnungsstandards zu erreichen sei.
Hier widerspricht Bettina Götz. Es habe sich gezeigt, dass die Reduzierung der Wohnungsgrößen keine solchen Resultate ergäben. Einem gesellschaftlichen Umdenken beim Bedarf an Wohnfläche stimme sie zwar zu, doch gehe es nicht darum, mehr Menschen auf gleicher Fläche unterzubringen. Dies generiere keine Wohnqualität und urbanes Leben in unserer Kultur. Hierfür sei vor allem eine Dichte an Funktionen notwendig. Es gehe um die Flächenzuteilung innerhalb eines Wohngebäudes. So könnten gewisse Gemeinschaftsräume beispielsweise für alle nutzbar sein. Die „Monokultur von Funktionen im geförderten Wohnbau“ müsse durchbrochen werden. Nur so könne wirklich eingespart und gleichzeitig Qualität generiert werden. Es gehe bei der Entwicklung im Wohnbau um ein Weiterdenken von Raumstrukturen und Konzepten, die zum einen die immer schnelllebigeren Veränderungen aufnehmen und gleichzeitig Wohnraum als Kultur- und Lebensraum einer Gesellschaft schaffen.
Ein wichtiger soziologischer Aspekt der oftmals nicht bedacht würde, so Andreas Lichtblau, sei die Kommunikation mit den Bewohnern bei der Umsetzung solcher Ansätze. Dies alles solle als positiver Zusatz des Wohnens gesehen werden, nicht als Zwang betonte Bettina Götz. Es gehe bei Gemeinschaftsflächen „nicht um das Leben in einer Kommune“. Aber auch dies sei nur ein Modell von vielen; wichtig sei die Entwicklung einer Vielfalt an Möglichkeiten. Wettbewerbe seien ein gutes Mittel zur Qualitätssicherung wie es im Wiener geförderten Wohnbau zu sehen sei, beschreibt Bettina Götz. Dies beinhalte auch negative Aspekte wie die große finanzielle Belastung der „Verlierer“, aber es sei ein Werkzeug, mit dem auch zu Neuem angeregt werden könne. Ideenwettbewerbe würden beispielsweise zur Findung von Alternativen und dem Willen, Neues zu Denken, beitragen und ein sehr gutes Mittel zur Schaffung von neuen flexiblen Strukturen und Konzepten sein. Diese könnten gemeinsam mit der Politik zu innovativen Projekten führen.
Was bedürfe es für die Schaffung dieser Innovation in der Planung fragt Martin Brischnik in die Runde. Wichtig sei für Martin Gruber hierfür ein Abbau der politischen Restriktionen und direkte Kommunikation mit den Verantwortlichen zur Förderung von Experimenten in Zusammenarbeit vor allem mit den Genossenschaften, die den größten Einfluss an der Umsetzung hätten. Hans Schaffner stimmte dem zu: „Es müssen alle zusammenwirken“, was bisher leider oft fehle. Positiv stehe er einer Zusammenarbeit mit den Planenden gegenüber, denn bisher habe es doch sehr am Lobbying von Seiten der Architekten gefehlt. In diesem Zusammenhang sagt der Landesrat eine aktive Förderung der Zusammenarbeit in Form einer Beteiligung von ZiviltechnikerInnen am Wohnbautisch in nächster Zeit zu. Es sei aber wichtig, dass eine beidseitige Bereitschaft zu Eingeständnissen an Honorar und gemeinsamer Verantwortung gemacht werden. Leider sei dies in der Vergangenheit oft nicht der Fall gewesen. Daher wünsche er sich nun von allen Seiten den Willen zu Machbarkeit und Umsetzung sowie eine Beteiligung über die Fertigstellung hinaus.
Hier räumt Wohnbauprofessor Lichtblau ein, dass es ein „grundlegendes Missverständnis über den Stellenwert eines Experiments" gäbe. "Wir haben jetzt eine Problemlage, dass wir sehr homogenen Wohnbau […] haben und eigentlich auf die Kleinfamilie abzielen“. Aber dies spiegle nicht die heutige Gesellschaft wider. Es gehe also darum, Modelle zu entwickeln, die die „Diversität der Gesellschaft auch abbildet“.  Experimente seien hierfür ein wichtiges Werkzeug. In Graz hätten Projekte der letzten Jahre – wie Smart City, Reininghaus – gezeigt, dass eine Veränderung bereits stattfände; man müsse nicht alles schlechtreden, merkte Hans Schaffner an.
Landesrat Seitinger wiederholte, dass eine Zusammenarbeit zur gemeinsamen Erarbeitung solcher innovativer Ansätze sehr erstrebenswert sei. Hierauf kam der Ruf aus dem Publikum nach einer Arbeitsgruppe von Politik, Vertretern freier Architekten und Wohnbaugenossenschaften, um der betonten Bereitschaft zur Zusammenarbeit konkrete Taten folgen zu lassen. Auf Nachfragen von Martin Brischnik, lautete die Antwort des Landesrats: „Ja, es soll eine solche Arbeitsgruppe geben!“ Nach dieser weitreichenden Zusage wurde lange weiterdiskutiert. Die Motivation und der Wille zur Veränderung war spürbar. Mit der Zusage zur Arbeitsgruppe ist der erste Schritt getan. Es scheint, dass eine gute Basis für eine vorurteilsfreie und offene Haltung gelegt wurde, um Altes und Gewohntes zu hinterfragen und Neues zu generieren.

Karin Tschavgova

Dies beinhalte auch negative Aspekte wie die große finanzielle Belastung der „Verlierer“, aber ...... (siehe Textbeitrag)
Wer sind die unter Anführungsstriche gesetzten Verlierer, oder anders gefragt, wen meinte Bettina Götz damit und warum?

Di. 22/08/2017 10:36 Permalink

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