04/12/2011
04/12/2011

Kinder mit selbst gezeichneter Hinweistafel Juli 2008. Foto: Kinderbüro

Gestaltungsworkshop 13. April 2011 / Foto: Petra Kickenweitz

Gestaltungsvorschläge von Rene (11 Jahre), Workshop 13. April 2011 / Foto: Petra Kickenweitz

Anrainerproteste / Skulpturenbemalung 5. November 2011 / Foto: Kinderbüro

Befürwortungen der Wohnstraße / Skulpturenbemalung 5. November 2011 / Foto: Kinderbüro. Benjamin: „Ich bin jeden Tag hier.“ und „Meine Eltern und ich und mein Freund und seine Eltern haben auch Plakate ,Wir sind für die Wohnstraße‘ gemacht.“

Skulpturenbemalung 5. November 2011 / Foto: Kinderbüro. David zur Neugestaltung der Wohnstraße: „Es ist super, dass überall Spielsachen stehen.“

Skulpturenbemalung 5. November 2011 / Foto: Kinderbüro. Benjamin: „Es ist mit dem Verkehr besser geworden, man kann jetzt auf der Straße gehen. Es fahren nicht mehr soviel Autos durch. Früher mussten wir mehr aufpassen.“

Florian: „Ich wohne nicht hier, komme aber gerne vorbei zum Spielen mit meinen Freunden.“ Foto: Kinderbüro

Nach jahrelangen Forderungen von Anrainern und Kinderparlament wurden die Thaddäus-Stammel-Straße, der Eppensteinerweg und die Josef-Poestion-Straße in Graz endlich als Wohnstraßengebiet ausgewiesen und kinder- und jugendgerecht gestaltet.

Im April 2007 posteten Kinder, die am Eppensteinerweg wohnen, erstmalig ihren Wunsch nach einer Spielstraße im Forum der Homepage des Kinderparlamentes. Die damalige Kinderbürgermeisterin Katharina Schell überzeugte sich daraufhin vor Ort von der Notwendigkeit der Einrichtung einer Wohnstraße. In unmittelbarer Umgebung des Eppensteinerweges gibt es keinen öffentlichen Spielplatz, der nächstgelegene Schutzengel-Spielplatz, der „Spielplatz Pfarrer Schröttner“, ist mehr als zehn Gehminuten entfernt. Die Kinder nutzten daher den Straßenraum als Treffpunkt und Spielraum, zum Rad fahren, für Street-Hockey und zum Ballspielen. Für viele Kinder führt zudem der tägliche Schulweg zur Volksschule Graz-Baiern durch die Siedlung am Eppensteinerweg.

Daher stellte im September 2007 das Kinderparlament einen Petitionsantrag an den damals zuständigen Stadtrat Gerhard Rüsch zur Umfunktionierung des gesamten Eppensteinerweges in eine Wohnstraße. In Folge fand eine Vorortbesichtigung mit Stadtrat Rüsch und eine, von der Stadt durchgeführte Verkehrszählung (19.- 25.11.2007) statt, die ein sehr niedriges Verkehrsaufkommen im Vergleich zu anderen Straßen mit ähnlicher Beschaffenheit bestätigte.

Die Errichtung einer Wohnstraße wurde allerdings von Gerhard Rüsch abgelehnt und man einigte sich vorerst, selbst gezeichnete „rechtslose“ Hinweisschilder unter dem Motto „Achtung, spielende Kinder“ anzufertigen. Diese wurden am 4. Juli 2008 installiert.

Im April 2009 wurde das Anliegen betreffend Wohnstraße bei Lisa Rücker vom Kinderparlament erneut thematisiert. Schließlich nahm sie das Thema „Wohnstraße“ als „Mittel zur Verkehrsberuhigung für Straßen mit vorwiegender Wohnnutzung zur Steigerung der Lebensqualität der Anrainer“ in ihr Verkehrsplanungskonzept auf. Hierzu entstand 2009 am Institut für Geographie und Raumforschung der Karl-Franzens-Universität Graz die Masterarbeit „Kriterien zur Errichtung von Wohnstraßen“ von Christiane Edegger, die einen Kriterienkatalog enthält, der die politischen Entscheidungsfindungen unterstützen soll. Das Wohnstraßengebiet Eppensteinerweg / Thaddäus-Stammel-Straße / Josef-Poestion-Straße erwies sich in dieser Studie als sehr geeignet für eine Wohnstraße und wurde heuer als Pilotprojekt zur Umsetzung gebracht. (*)

Im Jänner und Februar 2011 fand dort die in der Studie vorgesehene Befragung der Anrainer statt, bei der sich 80 Prozent für eine Wohnstraße aussprachen. Bald darauf wurde den Betroffenen das Gesamtkonzept präsentiert, wobei diese mittels Workshops bei Gestaltung und Umsetzung aktiv eingebunden wurden. Das Konzept um rund 26.000 Euro sah eine Gestaltung der Eingänge als Torsituation (Poller und Bodenmarkierung), eine Erhöhung der PKW-Abstellflächen, eine Fahrbahnverschwenkung (wechselseitige Anordnung von PKW-Flächen) und eine Reihe von freien Flächen zur individuellen Gestaltung durch Kinder und Jugendliche vor. Dazu wurden die ersten Entwürfe von Bildhauer Josef Fromm vorgestellt: Ein bunter Mix aus überdimensionalen Alltagsgegenständen wie z. B. ein aufgeschlagenes Buch, das zur Bodenwelle für Skateboards wird und eine zerbeulte Dose, die gleichzeitig als Sitzbank fungiert. Daneben sind auch Spielskulpturen aus Holzpfählen mit Seilen und Bänken vorgesehen. Ergänzt wird das Ganze durch aufgemalte Straßenbilder. Bei mehreren Workshops für Kinder, Jugendliche und Erwachsene im April 2011 wurden dann diese Entwürfe diskutiert und neue Wünsche eingeholt.

Die ursprünglich für den Sommer geplante Umsetzung verzögerte sich allerdings aufgrund eines medienwirksamen Widerstandes einiger Anrainer gegen die Einrichtung der Wohnstraße, gegen die teuren Skulpturen und vor allem gegen die Gestaltungsentwürfe. Der Widerstand mündete schließlich in eine Liste mit 135 Unterschriften gegen das Projekt.
Trotzdem wurden die Verkehrsschilder „Wohnstraße“ am 24. Oktober errichtet und damit der Aufenthalt und das Spielen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen auf der Fahrbahn legalisiert.

Das Projekt „Wohnstraße“ polarisiert – und erreichte durch eine Protestplakataktion der Gegner am Tag der Skulpturenbemalung durch die Kinder ihren Höhepunkt (5. November 2011), zeigte aber gleichzeitig den spontanen Zusammenhalt der Befürworter, die als Antwort Plakate mit der Aufschrift „Wir wollen die Wohnstraße“ fertigten.

Lisa Rücker hielt an ihrem Bekenntnis zur Wohnstraße und zum Pilotprojekt fest, räumte aber ein, dass spätestens im Herbst / Winter 2012 eine Evaluierung und eine erneute Befragung aller angrenzenden Haushalte stattfinden werde. Sollte diese Befragung mehrheitlich negativ ausfallen, wird die Wohnstraße samt Gestaltungselementen zurückgebaut.

Bleibt zu hoffen, dass sich dieses Pilotprojekt einer Wohnstraße in der Praxis bewährt, ihre Vorteile überwiegen und vor allem überzeugen.

(*) Der Kriterienkatalog wurde anhand von zwei Fallbeispielen – Fosselgasse / Roßmanngasse (St. Leonhard) und Eppensteinerweg / Thaddäus-Stammel-Straße / Josef-Poestion-Straße (Wetzelsdorf) – erarbeitet. Insgesamt enthält er neun Kriterien für die Errichtung einer Wohnstraße:
_ die Baustruktur muss überwiegend Wohnfunktion darstellen;
_ die Altersdifferenzierung bei den Anrainern soll mit einem Anteil der Kinder und Pensionisten über 40 Prozent liegen;
_ auf mehr als 70 Prozent der Straße ist kein Gehsteig vorhanden;
_ der Spitzenstundenverkehr soll max. 100 Motorfahrzeuge pro Ein- und Ausfahrt aufweisen;
_ die Durchgängigkeit beschreibt, ob es sich z. B. um eine Durchzugsstraße, Sackgasse, Einbahn etc. handelt; die Dominanz des nicht motorisierten Verkehrs gegenüber dem durchschnittlichen PKW-Aufkommen muss gegeben sein;
_ die Fahrlänge der Straßenabschnitte für Schrittgeschwindigkeit soll max. 250 m bei durchgehenden Straßen und 350 m bei Sackgassen und Einbahnen betragen;
_ die Hauptstraßenfunktion darf nicht gegeben sein, sprich, es gibt weniger als 35 Prozent Fremdverkehrsaufkommen (weder Anrainer noch Besucher);
_ der ruhende Verkehr liegt durchschnittlich bei unter sieben parkenden PKW auf 100 m Straße.

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