20/07/2010
20/07/2010

Meinungen eines Mieters von sehr geringem Verstand.

Für Architekten ist Baukultur naturgemäß ein (Über-)Lebensthema. Verständlich, dass das HDA Graz am 13. (!) Juli im Palais Thinnfeld die anstehenden Landtagswahlen als Anlass für ein Gipfeltreffen steirischer Politiker zum Thema „Architektur und Baukultur“ mit vorangehender Befragung nützt.

Baukultur – es ist leichter, einem Tausendfüßler Maßschuhe zu verpassen, als dieses zusammengesetzte Hauptwort in seine Bedeutungen, Querverbindungen und Missverständnisse zu zerlegen. Wer weiß denn schon, was genau „Kultur“ ist, geschweige denn „Baukultur“. Immerhin umfasst sie alle menschlichen Anstrengungen, die gebaute oder natürliche Umwelt zu verändern – gotische Doppelwendeltreppe und Plattenbau, Thujenhecke und „Kunst am Bau“, die massiert auftretenden Einkaufsmärkte in und rund um Graz und die steirische Schlösserstraße oder die schmucken Hallen in Leichtbauweise an den Autobahnabfahrten.

In der präzisen, gefürchteten Perspektive des „erweiterten Kulturbegriffes“ wird das Charakteristische (das Wesen) einer Baukultur noch aus der Geschichte, der Tradition, der Religion oder der Mentalität einer Region (bzw. Zivilisation) heraus interpretiert. Wie heißt es doch leicht variiert? „Der Zeit ihre Baukultur, der Baukultur ihre Freiheit.“ Ein ziemlich brauchbares Buch zu dem Thema ist Richard Sennetts „Flesh and Stone“ (1994). Die nächste Neuauflage trägt vermutlich den Titel „Neon and Billboard“. Unentbehrliche Zusatzlektüre stellen die Kataloge für Normfenster, standardisierte Baumaterialien, in Beton gegossene korinthische Säulen usw. dar.

Die Politiker haben sich im HDA nicht schlecht geschlagen, auch wenn sie von der Gelegenheit auf dem sicheren Boden von Allgemeinplätzen ihre Verbalpirouetten zu drehen, gern Gebrauch gemacht haben. Aber eine Politikerschelte griffe zu kurz.

„Schön ist, was gefällt.“ Bei der Baukultur geht es eben auch um Schönheit, um Kunst, wenn man so will, also um Unbeweisbares. Schönheit lässt sich eben nicht per Landtagsbeschluss durchsetzen. Soll also der Politiker als wichtigster Bauherr seine Auffassung von Baukultur von oben (gleichsam aristokratisch wie Prinz Charles von Wales) formulieren und durchsetzen? Wie undemokratisch! Oder soll er auf seine Gremien aus Ästhetik-Experten mit ihrer unverständlich gehaltenen Kuratorenpoesie hören? Dann wird ihm vorgehalten, er fliehe die Verantwortung.

Anscheinend nehmen sich viele Politiker, unterstützt von ihren Beamten, durchaus engagiert der Baukultur an: Da wird geduldig an Schräubchen gedreht, über Verbesserungen von Ausschreibungsbedingungen gegrübelt und auf allen Entscheidungsebenen nach Kompromissen im Spannungsfeld von ästhetischen, ökonomischen und ökologischen Rahmenbedingungen gesucht. Dabei verschwimmen grundsätzlicher Konflikt und sinnvolle Kooperation öfter ineinander und die Kompromisse werden entsprechend faul. Dem Mieter von sehr geringem Verstand stellt sich dieser Aspekt der Baukultur schließlich nur als undurchschaubarer, allenfalls Spezialisten zugänglicher Prozess ohne rechten Anfang und Ende dar. Ein Macht- und Rentabilitätsinstrument der Eliten eben.

Die Trinität der Rahmenbedingungen wird unter dem Banner der Wirtschaftsfreiheit zur Legitimation für untragbare Mieten, der Zersiedelung ländlicher Regionen, der Spekulation in den Städten … .Es darf keine falsche Baukultur in der richtigen (freien) Bauwirtschaft geben, um es mal verkehrt herum auszudrücken.

Die Geschichte der gegenwärtigen (Bau-)Krise lässt sich auch so darstellen: Erst wird der soziale Wohnbau jahrzehntelang reduziert. Dann produziert man eine Immobilienblase, indem man Häuser bzw. Wohnungen an Menschen verkauft, die es sich eigentlich nicht leisten können. Anschließend pfändet man ihnen diese Immobilien wieder unter dem Hintern weg und macht gleichzeitig unvorstellbar viel öffentliches Geld locker, um den Finanzmarkt und die Wirtschaft (die Wirtschaft sind wir alle) entgegen ihrem Glaubensbekenntnis auf Nichteinmischung des Staates zu retten. Und dann schnüren alle den Gürtel enger, um diese Beträge zurückzuzahlen. Und das Wohnen? Das Wohnen wird natürlich noch teurer.

Tatsächlich ist der soziale Wohnbau schon länger faktisch inexistent. Heinrich Zilles alter Ausspruch: „Man kann einen Menschen mit einer Wohnung gleich gut töten wie mit einer Axt“ gewinnt gradezu globale Bedeutung. Der überwiegende Anteil der Menschheit – mehrere Menschenmilliarden – wird in naher Zukunft in Megastädten (oder was man dafür ausgibt) von 10 Millionen Einwohnern aufwärts leben. Wahrgenommen wird dieser Umstand derzeit mit einer Art kognitiver Schizophrenie. Je unentrinnbarer diese Städte werden, desto seltener tauchen sie (zumindest in meiner Wahrnehmung) als Thema des öffentlichen Diskurses, der Baupolitik und Architekturutopie auf.
Angesichts der Zustände in diesen „Städten“ wünscht man sich ein Menschenrecht auf Wohnen. Gemeint ist damit allerdings ein Menschenrecht, das nicht wie die bereits geltenden Menschenrechte eine bloß rhetorische Münze an Stelle realisierbarer Ansprüche darstellt. Ein solches Menschenrecht ließe sich allerdings nur mit viel stärkeren Eingriffen in das Eigentumsrecht realisieren. Damit verglichen stellt die Aufregung um den halb legalen Abbruch eines denkmalgeschützten Hauses, eher ein Ablenkungsmanöver dar.

Verfasser/in:
Wilhelm Hengstler, Kommentar
Wenzel Mracek

Fällt in solchem Zusammenhang eigentlich auf - oder ist das nur mein Eindruck eines "Mieters mit geringem Verstand" - dass jede Menge potentieller Wohnraum in der Stadt errichtet wird, für dessen Nutzung ich beispielsweise keineswegs infrage komme? Ich sehe den Neubau auf dem Gelände der Villa Hartenau, im Bereich der Messe sind gestern einige Arbeiter durch eine offenbar billige Decke gebrochen, im Bereich einer alten Villa in Geidorf wird entgegen der Baudichte ein Objekt durchgeprügelt, 4 oder sechs Geschosse sollen statt dem ehemaligen Sparmarkt ganz in der Nähe hochgezogen werden, der Kolpinghof hatte ähnlichem zu weichen, dann gibt's noch das ehemalige Kommod, Andreas-Hofer-Platz, Reininghausgründe etc. etc. Fällt eigentlich auf, dass hier immer die gleichen Investoren im Spiel sind, die diesen potentiellen Wohnraum infolge an andere Investoren verchecken? Keine Rede davon, erschwinglichen Wohnraum etwa für mich anzubieten, sondern "Anlegerwohnungen". Sind solche Fragen Teil der "Baukultur" oder wieder mal nur Äpfel und Birnen vom Mracek?

Mi. 21/07/2010 9:57 Permalink
Günter Koberg

Lieber Wilhelm Hengstler, deine Kommentare sind immer willkommene Erfrischung, verleiten mich aber doch von Zeit zu Zeit zum Widerspruch. Denn "von so geringem Verstand" ist der hier über eine kleine veranstaltung nachdenkende Auto wohl nicht, wie er es gerne vorgibt. Du hast ganz richtig aus einer Definition zitiert "dass Baukultur alle menschlichen Anstrengungen umfasst ...... ". Daraus leitet sich ab, dass Baukultur uns eben alle betrifft! "Die Mieter mit geringem Verstand" ebenso wie die Bewohner der von Dir in´s Spiel gebrachten Megastädte. Ein "(Über-)Lebensthema", um bei deinen Worten zu bleiben, ist Baukultur daher nicht (nur) für Architekten, sondern für jedermann und jede Frau. Egal ob sie dafür arbeiten, als Bauarbeiter, LKW-Fahrer, Spengler, Hauswart oder ob sie dort wohnen, arbeiten, ihre Zeit verbringen.
Ich denke es ist wesentliche Aufgabe einer Vermittlungsinstitution wie es das HDA eine ist, auf diesen Umstand hinzuweisen. Dass Baukultur ALLE angeht. Dass alle im Rahmen ihrer demokratischen Möglichkeiten Einfluss nehmen können. Das Reden über Baukultur ist der erste Schritt. Hierbei ist es eine ganz essentielle Notwendigkeit die Sprache zu finden. Die Ermächtigung über Baukultur zu sprechen ist nicht einfach. Es geht nicht um eine Spezialistensprache die es zu erlernen gäbe. Es geht darum, dass die wenigsten von uns gelernt haben räumliche (mit Gebautem in Verbindung stehende) Empfindungen in Sprache umzusetzen. Es wäre schön, wenn Menschen wie Du, also solche die mit der Sprache sehr vertraut sind, die in der Welt zwischen den Worten und den Bildern zu Hause sind dabei behilflich wären.
Es ist dies einer der gründe, wieso wir mit verschiedensten Bevölkerungsgruppen reden: mit SchülerInnen, mit StudentInnen, mit KünstlerInnen und mit PolitikerInnen, um nur einige zu nennen eben auch: weil alle von dem Thema Baukultur betroffen sind. So wie wir immer wieder für die Einhaltung der Menschenrechte eintreten müssen, so müssen wir uns auch für die Baukultur in einem humanitären Sinn einsetzen.
Danke Dir für deinen Beitrag!

Di. 20/07/2010 4:22 Permalink
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