08/12/2009
08/12/2009

Mariahilferplatz, Graz

Am Eisernen Tor, Graz.

Am Eisernen Tor, Graz. Fotos: Emil Gruber

Laut Gottfried Semper ist das baukünstlerische Urmodell die karibische Hütte, ein Gerüst, mit Flechtwerk versehen, mit Stoff verhüllt. Hier irrte Semper, denn noch archaischer ist der steirische Adventstand, vulgo Standel. Ursprünglich ein Bretterverschlag, noch ohne die heute üblichen Verzierungen. Aus dem Standel ist alles hervorgegangen, vom Kellerstöckl bis zum Schloss.
Also verdient der klassische Adventstand nicht unseren hochmütigen Spott, sondern die Verehrung, die sonst Denkmälern zuteil wird. Alle Jahre wieder rufen die Punschhütten dem Kenner die Keimzelle der Baukunst in Erinnerung. Unser Haupt sollten wir beugen, wenn nicht niederknien vor dieser altehrwürdigen Einrichtung, einer wahrhaften Kultstätte. Im Anfang war der Adventstand, das sollten wir bedenken, wenn wir den Glühwein trinken, die Rumkugeln mümmeln.
Dass das Alkoholverbot auf dem Hauptplatz an den Ständen nicht gilt, bestätigt eindrucksvoll deren Ausnahmecharakter. Es sind Bretter, die reine Spiritualität verbreiten. Es genügt, einmal kurz einzuatmen, schon fühlt man sich leicht erhoben, als würde man ein paar Zentime-ter über dem Erdboden schweben. Noch bevor ein Schluck Punsch die Lippen benetzte.
Das Punschhüttendorf ist ein Anblick, der so recht zu Herzen geht, es sei denn, man ist vollkommen verhärtet. Es ist unser eigentliches Weltkulturerbe, auch wenn das niemand auszusprechen wagt. Wer darin nur Kitsch erblickt, hat keinen Sinn für die Schönheit des Ge-wöhnlichen. Man muss nur den Besuchern in die Augen schauen. Darin glitzert die unschuldige Freude von Kindern. Und diese roten Weihnachtszipfelmützchen! Als wären es Zwerge, große Zwerge, die aus ihren Gärten entflohen, auf den Hauptplatz gewuselt sind. Man möchte gleich in einem Adventstand wohnen. Vom Christkind wün-sche ich mir ein eigenes Standl.
Vielleicht sollte man die liebevoll geschmückten Andachtsstände das ganze Jahr stehen lassen. Nicht nur zur Weihnachtszeit! Damit ließe sich international für Aufsehen sorgen. Graz, die Stadt, in der es im-merzu weihnachtet, in der die Kerzen auf dem Christbaum niemals ausgehen, der Wein im Sommer heißer glüht als die Sonne und alle in froher Erwartung zu Kindern werden…

Verfasser/in:
Günter Eichberger, Glosse
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