12/05/2004

Die Polyvalenz der Plastik und der Mehrwert des Plastik-Sackerls

Transformation,Transmutation und unheilige Transsubstantiation von Form, Qualität und Inhalt des Materials ins Bild und zurück in die Plastik.

Zur Personale von Hans Kuppelwieser in der Neuen Galerie Graz

12/05/2004

Do Buy, 1994Fotografie / Photograph200 x 120 cm

Blase in die Ecke / Bubble into the corner, 2004. Aluminium aufgeblasen / Inflated aluminium600 x 500 x 400 cmFoto: Angelo Kaunat

Ohne Titel / Untitled, 2004Fotografie / PhotographNeue Galerie Graz, SackstrasseFoto: Angelo Kaunat

cut, 2004Foto: wm

Als wäre man angehalten, sich gleich im Eingangsbereich der paradigmatischen Formel des Abendlandes zu entsinnen, nach der im Anfang das Wort, als Ursache der Schöpfung, war, trifft man im ersten Stock der Neuen Galerie auf Hans Kupelwiesers Plastik aus Stahlbuchstaben Elliptisch B. Sch aus dem Jahr 1996. Paradigmatisch allerdings steht diese Arbeit für die auf jeweiligem Konzept basierende Vorgangsweise, nach welcher der Faktor Zeit konstitutiv in das Werk Kupelwiesers eingebracht und fallweise wieder extrahiert wird. Dem Philosophen Burkhard Schmidt lag zunächst nur ein Konzept dieser Arbeit vor; erst nachdem dieser einen Text verfasst hatte, wurde diese Schrift zur selbstreferenziellen Plastik geformt, ein Text aus Stahl, als wäre es Kupelwieser wie in einer Volte gelungen, Ursache und Wirkung zu vertauschen.
Bis zum 20. Juni zeigt die Neue Galerie, als groß angelegte Personale nach jener vor zehn Jahren im Wiener MAK, Plastiken, Fotografien, Radierungen und Objekte in mehreren Werkgruppen als Überblick auf die jüngste Schaffensperiode von Hans Kupelwieser. 1948 in Lunz/NÖ geboren, in den Jahren 1976 bis 1982 Schüler von Bazon Brock und Peter Weibel an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien, ist Kupelwieser seit 1995 Professor am Institut für zeitgenössische Kunst der TU Graz. Peter Weibel fasst im zur Ausstellung erschienenen Katalogbuch (Verlag Hatje Kantz) das Œuvre Kupelwiesers mit einem vielleicht redundanten Begriff als postmediale Skulpturen zusammen, der die Rezipientin / den Rezipienten nicht eben schlauer werden lässt, zumal man sich das Gros der Arbeiten kaum von Medien (Mittel), in Produktion wie Präsentation, getrennt vorstellen kann. Dazu kommt die Bezeichnung Skulptur, die sich so durch die Texte der Autoren zieht und wohl aus der unkritischen Übernahme aus dem Englischen stammt, hier vorrangig von Rosalind Krauss, die 1986 über Skulptur im erweiterten Feld schreibt. Im Sinn eines spezifischen kunsthistorischen Terminus der Skulptur, als dem gehauenen Bild aus Stein oder Holz, wäre im Fall Kupelwiesers der Überbegriff Plastik sinnvoller.
In Gruppentiteln wie Typed Objects, Name, Swarm Paintings, Random (Arps), Mobiliar, Night Shade, Spaghettogramme oder den Nylons führt Kupelwieser ein vielschichtiges Programm von Konzepten, Materialien und Formen vor, deren Inhalte und Qualitäten in technischer Anwendung morphen, transformiert und transmutiert werden oder im Wortsinn einer Transsubstantiation unterzogen werden. In diesem Sinn ist die Idee einer erweiterten Plastik durchaus bis in den Bereich von Architektur angebracht.
Beispiele für ein freies Operieren zwischen diversen Medien, Materialien und Funktionen finden sich etwa anhand der Nylons: In einem Durchlichtverfahren werden verschiedene Arrangements von Einkaufstaschen aus PVC in ihrer Farbqualität überhöht und scheinen als Fotografien wie von einer Aura umgeben zu sein. Die auf Glastafeln affichierten Ergebnisse erinnern nun, wie an den ebenerdigen Fenstern der Neuen Galerie zu sehen, an Methoden und Wirkung traditioneller Glasmalerei. Basis der Swarm Paintings sind Fotografien von Bassins, in denen sich Fischschwärme entsprechend der Strömung ausrichten. Inkjet-Drucke in Form traditioneller Tondi vermitteln einen ersten Eindruck scheinbar impressionistischer Maltechniken. Daneben, und in weiterer Verfremdung, erhalten Drucke desselben Motivs auf Papier prima vista die Qualität von Radierungen.
Eine aktuelle und auch im Österreichischen Skulpturenpark in Unterpremstätten zu besichtigende Werkgruppe sind die Gonfables, pneumatische Plastiken, darunter die Blase in der Ecke im Hof der Neuen Galerie. Wie ein aufblasbares, schwebendes Kissen scheint sich eine große Aluminiumplastik in der Wandverschneidung verfangen zu haben. Was hier weich und formbar anmutet ist in Wirklichkeit in Schichten verschweißtes Aluminiumblech, das unter hohem Druck tatsächlich zur endgültigen Form aufgeblasen wurde. Im Kontext spielt Kupelwieser hier mit der umgangssprachlichen Wendung „im Eck sein“, Ausdruck für ein Gefühl des Ausgeschlossenseins oder Nicht-in-Form-Seins. Strange Fruit ist man angesichts der Streamings zu denken geneigt, wenn im Looping, unterstützt durch ein Computerprogramm, die Fotogramme von 40 Melanzane einem scheinbaren Morphing unterzogen werden. Überhaupt sind die Fotogramme als Direktbelichtungen arrangierter Objekte elementare Ausgangsbilder, die fallweise wieder ihre nun verfremdete Form in neuen plastischen Objekten finden und so um jeweils eine Dimension abstrahiert oder ergänzt werden. Dieses Prinzip bezeichnet der Autor Rolf Sachsse in seinem Katalogtext als Reprojektion. Den Grenzbereich zwischen Installation und Architektur lotet Kupelwieser mit cut aus: Ein möblierter Raum wird von einer Ebene aus Aluminiumblech geschnitten, die an einen ansteigenden Wasserspiegel erinnert.
Auf einem Bildschirm sichtbar ist der de/konstruktive Kampf zweier Computerprogramme, vergleichbar dem so genannten unendlichen Rapport, einer sich scheinbar immerwährend erweiternden Struktur auf Grundlage eines aus Stahl geschnittenen Namenszuges des Künstlers: Während das eine Programm Strukturen aufbaut, löscht das andere Teile dieses Vorgangs. Wie dem zeitlichen Prozess entzogen werden im gleichen Raum Inkjet-Drucke als Momentaufnahmen dieses Vorganges und scheinbar losgelöst von der schaffenden Funktion eines Autors/Künstlers als Tafelbilder gezeigt. Die Referenz dieser Bilder kann sich nicht anders als auf die kunsthistorische Tradition der Malerei beziehen, ihr immanenter Gegenstand aber ist reine Struktur als un/zeitlicher Konstruktivismus durch Neue Medien. Und zum Schluss eine Positiv/Negativ-Ablichtung eines glatt gestrichenen Plastiksackerls: Reminiszenz an Kasimir Malewitschs Schwarzes Quadrat.

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