24/03/2021

Die Stadt:
ein Verteilungsereignis
Teil 2 von 3

Große, ordnende Interventionen als Verteilungsereignisse

Essay von Bernhard Hafner

24/03/2021

Abb. 6: Der L’Enfant Plan für Washington 1791. In der Mitte die National Mall mit den öffentlichen Gebäuden und den später in ihr errichteten Denkmälern. Screenshot B. Hafner; siehe Link https://en.wikipedia.org/wiki/L%27Enfant_Plan

©: Bernhard Hafner

Abb. 7: Central Park in Manhattan, NY City, Olmsted and Vaux, 1856-60, schematische Darstellung. Screenshot B. Hafner, siehe Link https://de.wikipedia.org/wiki/Central_Park

©: Bernhard Hafner

Abb. 8: Paris, Straßen, Boulevards und Parks nach Baron Haussmann unter Napoleon III. Die Achse von La Défense bis zu den Tuilerien ist die Schräge von der Mitte bis über die Seine hinaus nach links oben. Screenshot B. Hafner, siehe Link https://commons.wikimedia.org/wiki/File:R%C3%A9alisationsUrbaines2ndEmp…

©: Bernhard Hafner

Große, ordnende Interventionen als Verteilungsereignisse

Ich sprach eingangs davon, dass wir über Blumenbinderei hinausgehende Kompositionen fänden, wenn wir weit genug zurückblickten. Wir finden sie in Verteilungen von Baumasse, die Bestehendes verändern, neue Strukturen schaffen und den Raum neu ordnen. Wir finden solche großen städtebaulichen Interventionen in den Körper der Stadt auch in der jüngeren Vergangenheit. Sie sind das Besondere, ein geglückter großer Eingriff. Sie nehmen den Vordergrund der Stadt ein und machen den Rest zum Hintergrund, so attraktiv er auch sein mag. Sie sind eine Ausnahme im Gefüge der Stadt. Einige will ich nennen: Fredrick Law Olmsteds Plan von Manhattan, Baron Hausmanns Plan von Paris, Entwurf und Realisierung des Eiffelturms und die Wiener Ringstraße.
Als frühestes Beispiel nenne ich den L’Enfant Plan für Washington erteilt vom ersten Präsidenten der USA 1791 auf Initiative des Majors Pierre Charles L’Enfant, eines französischen in der Revolutionsarmee dienenden Ingenieurs (Abb. 6). Er sollte die wesentlichen Gebäude der jungen Republik umfassen, das des Kongress und das Weiße Haus, und sollte bis an den Potomac-Fluss reichen. Es ist ein grandioser Plan mit der National Mall als breitem Frei- und Grünraum, um den diese Gebäude gruppiert sind. In ihm sind Denkmäler wie das der Präsidenten Washington und Lincoln gesetzt worden (3). Es ist ein Plan würdig, der Vereinigten Staaten und ihrer eben verabschiedeten Verfassung: der erste solche Plan entstanden in der ersten demokratischen Republik. (Zum Vergleich: Mozart starb in der Nacht vom 5./6. Dezember 1791).
 Als Ergänzung möchte ich den Plano Piloto de Brasília von Lucio Costa (Städtebau) und Oscar Niemeyer erwähnen, der Gebäude entwarf, etwa den für den Kongress, den Amtssitz des Präsidenten und jenes für den Obersten Gerichtshofs. Das Projekt wurde zwischen 1956 und 1960 realisiert. Es erinnert an L‘Enfants Plan für Washington, besonders die Achse des Grünraums weist auf den Grünraum der National Mall hin. Brasilia ist eine Intervention auf unbebautem Land, eine Stadt entstanden auf einem leeren Blatt auf dem Reißbrett.
Eine der großartigsten Interventionen in den Körper der Stadt ist der Central Park in Manhattan. 1857 schrieb die von der Stadt gegründete Parkkommission einen Wettbewerb aus, den Fredrik Law Olmsted und Calvert Vaux mit dem Greensward Plan gewannen und den die Kommission auch weitgehend unverändert verwirklichen ließ. 1858 wurde das Areal Landschaftspark, an dessen Vollendung die Olmsted and Vaux Company bis zur Einweihung 1873 arbeitete. In Teilen des Parks sollten unterschiedliche Gegenden der USA in Ausschnitten als Naturpark nachgebildet werden. Straßenverbindungen zwischen 8th und 5th Avenue wurden in einer Länge von 4 Kilometern abgesenkt, um den Gesamteindruck nicht zu zerstören. In diesem Park von etwa 350ha Größe wurden natürliche Abflüsse in unterirdische Wasserwege verwandelt, ein großer See, Spielplätze und Orte der Erholung mit Restaurants und einem Aussichtsturm wurden geschaffen. Als einziges großes Gebäude im Park wurde später das Metropolitan Museum of Art gebaut, an seinem östlichen Rand außerhalb das Guggenheim-Museum von F. L. Wright und das American Museum of Natural History im Westen (Abb. 7).
Es ist eine unglaubliche und einzigartige Intervention: ein so großes Stück bebaubaren Landes aus dem Layout von Straßen einer riesige Halbinsel herauszuschneiden und es zum Wohle der Gemeinschaft zu einem Juwel von Naturpark zu machen. Zum Wohle? Was meinen Sie? Kann eine kapitalistische Gesellschaft es dulden, so wertvolle, zentral gelegene Grundstücke als Bauland zu verwerfen und zum öffentlichen Park zu machen? Nun, es geht schon, wenn Privatinitiativen öffentliches Gehör finden. Aber Geld spielt eine Rolle, wenn auch indirekt. Was waren denn die Voraussetzungen für die Entscheidung der Kommission?
Es ließe sich Geld verdienen, es würden neue Arbeitsplätze geschaffen, die kulturelle Bedeutung der Stadt würde steigen, die Gesundheit der Bürger würde gefördert werden und politischer Nutzen. Langfristiges Denken macht es möglich, und wenn schon, dann etwas Großes.
Aber es gibt noch etwas Besonderes im Layout von Manhattan: den Broadway, der im Rechteckraster der Straßen beginnt und ihn dann wie von einem eigenmächtigen Messer geführt schräg bis zum Times Square durchschneidet. Hier entsteht eine der berühmtesten Straßen der Welt als Theaterviertel. Das Besondere ist die Schräge als Ausnahme im Andersartigen.
Für etwas Großes ist immer auch Paris zu haben: die Haussemannisierung von Paris zwischen 1853 bis 1870. (Ist die zeitliche Nähe zur Realisierung des Central Park in Manhattan ein Zufall?) Ausgehend vom Arc de Triomphe werden Schneisen diagonal in die kleinteilige Struktur von Paris geschlagen. Avenuen, Plätze und besondere Artefakte erzeugen eine neue Ordnung im Stadtbild (Abb. 8). Die Achse von La Défense bis zu den Tuilerien hat eine Länge von gut 6 Kilometern in der Luftlinie. Und es ist der Eiffelturm, der in Konstruktion, Höhe und Nutzung nichts Gleichwertiges hat im Paris seiner Erbauung.
Auch die Wiener Ringstraße ist eine solche raumordnende Intervention, die eine großräumige Struktur von Verkehrsflächen, Plätzen und Grünflächen mit den besonderen Bauwerken der Republik verbindet: Rathaus, Burgtheater, Parlament, Museen, die Hofburg, die Staatsoper und andere. Es ist ein großartiges Verteilungsereignis von Baumasse, Freiflächen und Verkehrswegen. Das Steueraufkommen des österreichischen Teils der Monarchie hätte es nicht finanzieren können. Auch die Republik könnte es nicht. Von ihr zehrt Wien auch heute noch.
Solch Interventionen sind das Salz von Städten, der Vordergrund vor ihrem Hintergrund, in dem sich das gut funktionierende Gewöhnliche und Alltägliche abspielt. Man sollte nicht verschwenderisch damit umgehen, denn leicht wird Hintergrund zur Oberfläche, die nicht hält, was versprochen wurde. Sie gehen über Blumenbinden und Behübschung hinaus, weil sie nicht selbstgenügsame Artefakte sind, die man auf den Anzug einer Stadtanbringt, weil man meint, dieser brauche ein Stecktuch. Sie gehen darüber hinaus, weil sie sich in einem Ordnungssystem ereignen, das unterschiedliche Entwicklungen zulässt, unterschiedliche Muster erlaubt, ohne zerstörerische zu wirken strukturverändernde Interventionen erlaubt und damit zukunftsträchtig ist.

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(3) Eines dieser Denkmäler ist das National World War II Memorial. Es stammt vom ausgewanderten Österreicher Friedrich St. Florian, der als Friedrich Gartler an der TH Graz Architektur studiert und das Studium 1960 abgeschlossen hatte.

Bernhard Hafner

Etwas Großes war vor gut 150 Jahren auch Graz zu haben: die Franckisierung des Glacis zwischen 1862 und 1889 des Glacis als Stadtpark. Vor der Stadtmauer wurde auf dem Schussfeld von der Kriegsstellebastei und der Paulustorbastei im Norden bis zur Landschaftsbastei im Süden der Grazer Stadtpark als bebauungsfrei zu erhaltende Parkanlage angelegt. Er entstand auf Initiative des Bürgermeisters Moritz Ritter von Franck, nachdem das Gelände des Glacis vom Militär gegen Bezahlung von der Gemeinde übernommen worden war.
Bebauungen gab es außerhalb der Stadtmauern in der Murvorstadt und weiter draußen. Einen Plan der Bebauung im Osten, direkt an das Glacis anschließend, schuf erst die Entscheidung, das Glacis bebauungsfrei zu halten und die Glacisstraße als Bebauungsgrenze zu bestimmen. Damit wurde die letzte große städtebaulich qualitätsvolle Stadterweiterung in der Gründerzeit möglich.
1857 schrieb die Parkkommission der Stadt New York einen Wettbewerb zur gärtnerischen Gestaltung eines großen Teils von Midtown Manhattan aus, der zum Central Park (1858-1873) werden sollte: eine Parklandschaft als Ersatz für bauliche Entwicklung von Grundstücken in wertvoller Lage. Auch der Grazer Stadtpark ist so etwas, dem kleineren Maßstab der Stadt angemessen, aber vergleichsweise großartig.
Zwischen 1853 und 1870 fanden die großen baulichen und gärtnerischen Eingriffe in die Stadtstruktur von Paris statt, die es zur Weltstadt machten. Großes zusammenhängendes Bauland vor dem Glacis und daran anschließendes erweiterten das bis dahin wohlgeformte Graz um damals moderne gründerzeitliche Viertel. Hätte es nur so weitergehen können wie in Paris, Graz als ganz-klein Paris, was hätten wir für eine Stadt!
Diese haben wird nicht. Ein Dreivierteljahrhundert der Vernachlässigung führte dazu, dass man den Eindruck hat, Graz sei heute so, wie es sich eine Provinz(haupt)stadt als Landeshauptstadt wünscht, sozusagen als Primus inter Pares. Der letzte Plan, der dazu angetan war, etwas daran zu ändern, war der (Hermann) Wengert- Grünflächenplan für Graz von etwa der Mitte der 1950er-Jahre. Nicht auf Baumassen zielte der Plan ab, sondern auf miteinander vernetzte Grünräume. Eine Veröffentlichung dieses Planes in einer Zeitung habe ich noch während meines Studiums gesehen.

Di. 06/04/2021 2:13 Permalink
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