04/09/2005
04/09/2005

Dezeit verschandelt eine, von einem bekannten Autohersteller für Werbezwecke aufgestellte Holzhütte den Grazer Freiheitsplatz.

Blick von der Hofgasse...

... auf die für Werbezwecke aufgestellte Holzhütte.
Fotos: Elisabeth Lechner

Wenn die Stadtverwaltung zum Schani der Privatwirtschaft wird.....

Die Definition von „öffentlich“ laut Duden sei vorangestellt:
öffentlich: für jeden hörbar und sichtbar, für die Allgemeinheit zugänglich und benutzbar.
Weiters ein Zitat von Robert Menasse: „Viele Freiheiten zeigen, dass es der Freiheit grundsätzlich ermangelt“ (Gegenrede von Robert Menasse zur Eröffnung der Salzburger Festspiele 2005).

Vertreibungsschauplatz 1: Freiheitsplatz in Graz. August/September 2005
Ein öffentlicher Platz, vor kurzem neu gestaltet, von parkenden Autos fast befreit. Der Name Freiheitsplatz hat nun endlich seine Berechtigung, könnten Naive denken.
Kaum ist die eine weg, folgt schon die nächste Plage: die intensive, private, wenn auch nur temporäre, Nutzung des öffentlichen Raumes mit entsprechenden Auswirkungen, eine Hütte wie aus dem Baumarktkatalog, ein Lattenzaun drum herum - das Private muss ja schließlich markiert und geschützt werden - genehmigt von der öffentlichen Verwaltung, vorbeimanövriert an allen ästhetischen Kriterien, die man von einer Kulturhauptstadt erwarten könnte.

Private Nutzung von öffentlichem Raum - ein Widerspruch in sich? Für die Zuständigen offensichtlich nicht: „Gnä’ Frau, Sie sind die einzige, die sich darüber beschwert“, bekam ich zur Antwort, als ich beim zuständigen Amt anfragte, wie und warum so etwas geschehen kann. Und wer der private Mieter ist, kann man mir aus Datenschutzgründen natürlich nicht sagen, außerdem sei unschön oder hässlich nicht für jeden das Gleiche - soll heißen: Geschmäcker sind verschieden. Privates geht eben vor und wird entsprechend geschützt. Ich frage mich, wer schützt mein Recht auf frei zugänglichen öffentlichen Raum und mein Bedürfnis, mir private Geschmacksentgleisungen nicht öffentlich ansehen zu müssen.

Es gab einmal ein Programm, das hieß „Platz für Menschen“ (1) - damit wurde ein Grazer Platz nach dem anderen umgestaltet. Einher ging natürlich eine Aufwertung der Innenstadt - in der Stadtsoziologie auch Gentrification genannt. Immer mehr wollten und wollen daran wirtschaftlich mitnaschen - mittlerweile hat Graz die größte Schanigarten-Dichte in Mitteleuropa, was jüngst sogar Konstantin Wecker in einem Interview bemerkte. Aus dem Bermudadreieck (Anm.: Mehlplatz in Graz), dass vor 25 Jahren zu meiner Studentinnenzeit noch Platz und Raum für alle sozialen Schichten bot, wurde ein schickes, teures Viertel, das nicht mehr allen den Zutritt gewährt. Viele sind nicht erwünscht, denn sie entsprechen nicht den optischen und finanziellen Anforderungen dieses aufgewerteten Stadtteils. Viele sind weggezogen, weil die Mieten gestiegen sind oder sie den Lärm nicht aushalten konnten. Immer unangenehmer wird es für Nur-FußgängerInnen und Nur-RadfahrerInnen, sich durch diese unglaubliche Gastgartenansammlung hindurch zu bewegen. Gut finden dies die einen, die Wirtschaft ist belebt, in der Stadt ist was los (soviel, dass niemand mehr in der Innenstadt wohnen will). Weniger gut finden es manch andere und fragen sich: Wo bleibt Raum, wo Mann/Frau/Kind sich, ohne zu konsumieren, aufhalten kann, wo können Kinder in der Stadt noch zwanglos spielen, so wie wir es von italienischen Plätzen kennen, wo können sich Menschen einfach zusammenfinden ohne Kaffee oder Prosecco trinken zu müssen, wo ist dieser uns versprochene und von uns allen finanzierte Platz für Menschen? Aber an Nicht-KonsumentInnen, die nur so herumstehen wollen oder gar sitzen möchten, kann man ja nichts verdienen, an der Vermietung von öffentlichem Gut/Raum schon. Ist die Vision einer Stadt mit knappen Finanzmitteln die, dass der öffentliche Raum nur mehr für jene da ist, die auch dafür bezahlen?

Vertreibungsschauplatz 2: Kunsthaus Graz.
Der Betreiber des Kunsthaus-Cafés vernichtete den öffentlichen (sowieso recht spärlichen) Raum vor dem Kunsthaus am Lendkai. Er errichtete einen kulturlosen Schanigarten: Stadtmöbel, von den Architekten des Kunsthauses einst bewusst zwanglos für alle aufgestellt, wurden zu einer privaten Schutzbarriere mit dazwischen gestellten Bambuspflanzen - für wenige benutzbar - umfunktioniert.

Manchen wird die Freiheit gewährt, sich den öffentlichen Raum zu Nutze zu machen.
Manche besitzen die Frechheit den öffentlichen Raum zu privatisieren. Ein Wortspiel: Allzu freie Ichheit wird zu Frechheit.

Graz war einmal Kulturhauptstadt und ist nun weit davon entfernt, eine zu sein.

(1) Unter dem Titel "Platz für Menschen“ wurde 1986 vom damaligen Grazer Vizebürgermeister Erich Edegger ein Konzept vorgestellt „das vorsieht, sämtliche öffentliche Flächen zunächst innerhalb der mittelalterlichen Ringmauern der Altstadt und dann Schritt für Schritt in weiteren Teilen des historischen Zentrums einer dem jeweiligen Bereich angemessenen fußgängerfreundlichen Gestaltung zuzuführen".

Die Architektin Elisabeth Lechner lebt und arbeitet in Graz

Verfasser/in:
Elisabeth Lechner, Kommentar
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