18/12/2020

Fragile Identitäten

Ausstellung Ladies First! – Künstlerinnen in und aus der Steiermark von 1850 bis 1950

Neue Galerie Graz
Joanneumsviertel
bis 19.09.2021

Ladies First! nimmt sich den Pionierinnen der steirischen Kunstgeschichte an, leistet in Form einer ersten Ausstellung inkl. Katalog einen wesentlichen Beitrag zu jenem Desiderat der Forschung, das für eine gleichberechtigte Anerkennung der kulturellen Leistungen von Frauen wie Männern so wesentlich ist und liefert damit einen wichtigen Anstoß, der Grundstein ist für weiterführende Studien.

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18/12/2020

Ausstellungskatalog zu LADIES FIRST! – Künstlerinnen in und aus der Steiermark 1850-1950 in der Neuen Galerie Graz

©: Universalmuseum Joanneum

Performative Sonderführung EMANCIPATION OF WONDER mit Pia Hierzegger im Oktober 2020. Ein Projekt von Marta Navaridas & Alexander Deutinger in Kooperation mit der Kunstvermittlung

©: Bettina Landl

Rita Passini, Abend – Weibliche Halbfigur in blauem Kleid, ca. 1920, Neue Galerie Graz, UMJ

©: Bettina Landl

Pia Hierzegger zwischen Heimweh (1943, links) und Meditation (1950, rechts) von Luise Heinzel, Neue Galerie Graz, UMJ

©: Bettina Landl

Emmy Paungarten, Damenbildnis, ca. 1910, Neue Galerie Graz, UMJ

©: Bettina Landl

Pia Hierzegger interpretiert die Ausstellung und Texte, die in Zusammenarbeit mit der Praxisvolksschule der Pädagogischen Hochschule Steiermark entstanden sind. Im Hintergrund: Marianne Fieglhuber-Gutscher, Frau an der Gartentür (Selbstporträt), 1945, Belvedere, Wien

©: Bettina Landl

„Viel ist nicht geblieben vom Werk der Fotografin Grete Paunovic-Zahrastnik – zu unstet und turbulent war ihr Lebenslauf“ heißt es im Ausstellungskatalog. Damit ist auch schon das Verdienst dieses Projekts angedeutet, das sich den weiblichen Protagonistinnen einer steirischen Kunstgeschichte widmet, denn „die biografische Recherche konfrontierte uns schnell mit grundlegenden Fakten, die aus der Hierarchie der Geschlechter resultieren“, betont Kuratorin Gudrun Danzer. Die von ihr und Günther Holler-Schuster text- und bildlastig umgesetzte Schau lässt erahnen, welchen Herausforderungen sie sich gegenüber sahen, eine stringente Geschichte lokaler Künstlerinnen nachzuzeichnen, denn „abgesehen davon, dass die Künstlerinnen in der Literatur, den Archiven und Lexika krass unterrepräsentiert sind, sind sie aufgrund der Namenswechsel oft auch schwer zu finden“. Über die unmittelbar in der Region tätigen Künstlerinnen hinaus schließt die Auswahl von 63 Künstlerinnen solche ein, die hier geboren sind, ihre Karrieren dann aber anderswo entwickelt haben. Viele der Künstlerinnen sind in der Sammlung der Neuen Galerie zwar mit mehreren Werken vertreten, die meist nicht durch Ankauf, sondern als Schenkungen aus dem Nachlass erworben und nie ausgestellt bzw. kaum bearbeitet wurden und unrestauriert blieben.

Die Geschichte von Künstlerinnen war aufgrund der Produktionsbedingungen der Werke und der Möglichkeiten ihrer Verbreitung lange Zeit unbekannt, was ihre Sichtbarkeit und Anerkennung durch ihre Kollegen beeinträchtigte. „Die Bestandsaufnahme des Vorhandenen erscheint daher gegenwärtig als der notwendige Weg, um dieser multiplen Verdrängung weiblichen Kunstschaffens aus dem kulturellen Gedächtnis entgegenzuwirken“, betont Danzer in ihrem Text zur Ausstellung.

Thematisch reichen die Darstellungen von Blumen, Stillleben, Gärten, der häuslichen Sphäre mit den in ihr lebenden Frauen und Kindern, bis hin zu Porträts, manchmal Selbstporträts, Frauenakten und auch Landschaften. Die Bemühungen und Schwierigkeiten, überhaupt als Künstlerin tätig sein zu können, verunmöglichten die Behandlung kontroversieller Inhalte. Das änderte sich schließlich mit der Gründung der Ersten Republik 1918 und der Durchsetzung des allgemeinen Wahlrechts. Formal entfalteten die Künstlerinnen ihr Werk vorwiegend auf Basis der in ihrer Ausbildung erlernten Mittel und innerhalb des vorherrschenden Zeitstils: Realismus, Impressionismus und Stimmungsimpressionismus, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die akademische Historienmalerei zunehmend ablöste. Sozialhistorisch betrachtet, entstammten die Künstlerinnen des 19. und 20. Jahrhunderts auch in der Steiermark meist adeligen oder gutbürgerlichen Familien.

In der Ausstellung und den Katalogbeiträgen ist die Auffassung von der Kunstgeschichte als Kulturgeschichte les- und sichtbar. Demzufolge werden generell die gesellschaftlichen Hintergründe und Bedingungen für das Leben von Frauen in der Steiermark zu dieser Zeit beleuchtet, die historischen Bedingungen um die Jahrhundertwende, die Frauen vorfanden, wenn sie als Künstlerin tätig werden wollten wie auch die Möglichkeiten und Schwierigkeiten der in der Ausstellung präsentierten Künstlerinnen im regionalen Kunstsystem der Steiermark. Die Biografien nehmen auch in der Ausstellungsgestaltung eine prominente Rolle ein und (wollen) verdeutlichen, wie stark der Einfluss insbesondere des familiären Umfeldes und der privaten Umstände auf das Leben und Wirken der Künstlerinnen war.

Vollständigkeit beansprucht die im Wesentlichen der Chronologie folgenden Ausstellung nicht für sich – weder bei den gezeigten Positionen noch bei der Erforschung der Œuvres und Biografien. „Sie versteht sich als ein erster Überblick und möchte das interessierte Publikum wie auch ForscherInnen zur weiterführenden Auseinandersetzung mit den Künstlerinnen der Steiermark einladen“, betont Danzer. Die Biografien konnten nicht bis ins Detail ausgeforscht werden und bleiben damit weiteren Recherchen vorbehalten. Damit ist zu erwarten, dass in der Folge weitere Künstlerinnen bekannt werden, die in der aktuellen Auswahl noch fehlen. „Eine ähnliche Materialsammlung für die anderen Bundesländer würde ein vollständigeres Bild der österreichischen Kunst in den letzten beiden Jahrhunderten ergeben. Für die Steiermark kann ein erster Erfolg mit der Neuerwerbung einiger Werke von Künstlerinnen für die Sammlung der Neuen Galerie Graz verbucht werden. Und zwar wurden in Hinblick auf das Ausstellungsprojekt Arbeiten von Elisabeth Jordis-Attems, Gudrun Baudisch, Elfriede Coltelli, Marianne Fieglhuber-Gutscher, Anna Lynker, Paula Maly, Elfriede Miller-Hauenfels, Maria Peter-Reininghaus, Hanna Philippovich, Marianne Stokes und Brunhilde Stübinger-Kochauf angekauft.“ Damit hofft Danzer, dass die Ausstellung und der Katalog „zur gleichberechtigten Anerkennung der kulturellen Leistung von Frauen und Männern“ beiträgt. Das Thema wird 2021 mit einer Präsentation von Kunst aus der Sammlung der Neuen Galerie ab den 1970er-Jahren bis in die Gegenart weitergeführt. Damit reiht sich Danzer in die Tradition feministischer kunstwissenschaftlicher Praxis, die 1976 mit der Ausstellung Women Artists 1550-1950 von Linda Nochlin und Ann Sutherland Harris im Los Angeles County Museum of Art (LACMA) eingeleitet wurde. Bis dahin schlossen die Mechanismen von Kunstmarkt und Kunstkritik, von Geschichtsschreibung und Kanonbildung Frauen systematisch aus. Ihre Ausstellung erbrachte den Beweis, dass es seit dem Spätmittelalter sehr wohl eine Vielzahl an Künstlerinnen gegeben hat. Auch das Aktivistinnenkollektiv Guerilla Girls aus New York engagiert sich seit 1985 für eine Gleichbehandlung im Kunstbetrieb, gegen Sexismus und Rassismus (im Kultur-Establishment).

Indem die feministische Kritik zeigt, dass ein Großteil der akademischen Kunstgeschichte wie auch weite Bereiche der Geschichte nicht imstande waren, sich das uneingestandene Wertesystem, die tatsächliche Präsenz eines sich in die Erforschung der Geschichte drängenden Subjekts zu vergegenwärtigen, macht sie zugleich deren selbstgefällige Begrifflichkeit und metahistorische Naivität offenkundig. Wie die Frauenbewegung(en) auch in anderen Feldern von Wissenschaft und Politik über eine nur nach-tragende, die „Frauenfrage“ ergänzende Praxis hinausgehen, so hat sich auch feministische Kunstwissenschaft von einem lediglich additiven Verfahren entfernt. Ihre Fragen betreffen nicht mehr nur den Anteil von Frauen an der Kunstproduktion und -geschichte. Es geht vielmehr darum, wie in und über Bilder, in und über Kunstgeschichte und deren Institutionen Macht- und Herrschaftsverhältnisse hergestellt und stabilisiert werden, in denen all das, was als nicht-männlich gilt, untergeordnet und ausgegrenzt wird.
Feministische Kunstgeschichte versteht sich als Teil der in den frühen 1970er-Jahren einsetzenden Frauenbewegung. In dem langwierigen auf Emanzipation zielenden Prozess besteht der Beitrag der Kunstgeschichte darin, diese Wissenschaft und ihre Praxis (Ausbildungsinstitutionen und Berufsfelder) im Interesse der Frau zu verändern. Sie will die bisher unterdrückte "weibliche" Kunst und Kreativität wieder in ihr Recht setzen. Dazu trägt auch Ladies First! bei.

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