26/02/2015

Graz: Fahrradhauptstadt Österreichs? Das Potenzial dazu ist gegeben, aber das Radwegenetz Graz hat Schwachstellen.

1981 vom Gemeinderat beschlossen, hat das Grazer Radwegekonzept noch großen Aufholbedarf, ehe es einen attraktiven Beitrag zur Lebensqualität der Stadt leisten kann.

Georg Schrutka, aktiver Radfahrer und kurz vor dem Abschluss seines Architektur-Studiums stehend, analysiert in seinem Beitrag 1 den Istzustand. Fortsetzung folgt.

26/02/2015

Innenstadtring: Kaiserfeldgasse

©: Georg Schrutka

Innenstadtring: Kaiserfeldgasse – EisernesTor

©: Georg Schrutka

Innenstadtring: Glacisstraße – Kreuzung Zinzendorfgasse

©: Georg Schrutka

Innenstadtring: Wickenburggasse

©: Georg Schrutka

Innenstadtring: Bushaltestelle Wickenburggasse / Keplerbrücke

©: Georg Schrutka

Innenstadtring: Murradweg, Bereich Mursteg

©: Georg Schrutka

"Sicherheits- und Attraktivitätsansprüche des nichtmotorisierten Verkehrs sowie des öffentlichen Verkehrs haben im Konfliktfall Vorrang vor Ansprüchen der Leistungsfähigkeit und Schnelligkeit für den MIV" (1), schreibt die Stadt Graz in ihrer Verkehrspolitischen Leitlinie 2020, die 2010 im Gemeinderat beschlossen wurde.

Dass die autogerechte Stadt als erstrebenswertes Modell ausgedient hat, haben Politiker auf der ganzen Welt eingesehen. Die Idee, den MIV in den Mittelpunkt der Stadtplanung zu rücken - ein Produkt der Moderne -, widerspricht einer zeitgemäßen Vorstellung von Urbanität, welche die Menschen und ihre Interaktionen als Grundlage sieht. Auch ganz pragmatisch betrachtet, bietet die Stadt, neben der Erfüllung von Klimazielen, immer weniger Raum für den stetig wachsenden motorisierten Verkehr.

Radwegenetz Graz
Das erste Mal rückte in Graz das Fahrrad als Verkehrsmittel Anfang der 1980er Jahre in den Fokus der Öffentlichkeit. Weil Pläne für ein Radwegenetz in Graz politisch nicht umgesetzt werden konnten, malten Aktivisten in der Wilhelm-Fischer-Allee Radwegsymbole auf den Gehsteig. Der damalige Planungsstadtrat Erich Edegger schaffte es, die Aktivisten in die Politik mit einzubeziehen und 1981 wurde schließlich vom Gemeinderat ein erstes Radwegekonzept beschlossen.
Heute sind Radwege in Graz selbstverständlich und die Radfahrer mehr geworden. Das Radwegenetz in Graz besteht im Wesentlichen aus 13 radial angelegten Hauptradrouten, die rund um die Innenstadt mit einem Radweg-Ring verbunden sind. Die Hauptradrouten sollen „alltagstaugliche, familienfreundliche Radrouten“ sein, wie in der Radkarte Graz nachgelesen werden kann. Zwischen den Hauptrouten wird der Radverkehr über kleinere Radwege und Nebenstraßen geführt.
Graz hat das Potenzial zur Fahrradhauptstadt Österreichs: Der hohe Anteil an Studierenden, die erradelbare Größe der Stadt und das freundliche Klima sind Parameter, die auf entsprechende Zahlen hoffen lassen. Zusammen mit den im Grazer Mobilitätskonzept 2020 hochgesteckten Zielen verwundert es, dass der Anteil des Radverkehrs im Modal Split (2) seit 1998 in etwa gleichbleibend um 15 Prozent liegt – angestrebt wird im Mobilitätskonzept ein Wert von 20 Prozent für das Jahr 2021!

Schwachstellen
Ein Blick in die unter dem Motto Graz steigt um! veröffentlichte Radkarte Graz zeigt möglicherweise indirekt ein Hauptproblem auf. Die Karte ist mit Informationen überladen, ein genaues Legendenstudium und intensives Auseinandersetzen mit der Karte sind erforderlich, um aus dieser einen Nutzen ziehen zu können. Im Gegensatz dazu ist eine Autokarte für Graz fast übersichtlich und leicht zu lesen. Das könnte ein Anzeichen dafür sein, dass der Radverkehr in der öffentlichen und politischen Wahrnehmung immer noch dem MIV untergeordnet ist, sonst müsste es nicht derart viele Sonderlösungen mit entsprechender Kartendarstellung geben.
Eine Befahrung des Innenstadt-Rings, dem verbindenden und damit wichtigsten Element des Radwegenetzes, zeigt Schwächen auf: Die Route ist kein durchgängiger Radweg, sondern wird in der Kaiserfeldgasse gemeinsam mit dem MIV geführt, im Bereich Mariensäule – Eisernes Tor gar in der Fußgängerzone. Am Radweg der Glacisstraße entlang folgt die Kreuzung mit der Zinzendorfgasse: Hier ist das Aufeinandertreffen von erhöhtem Fußgängeraufkommen, Bushaltestelle und Fahrradkreuzung auf engem Raum sicher nicht optimal gelöst. Dem Ring folgend, finden sich Radfahrer und Fußgänger in der Wickenburggasse auf einem zu schmalen getrennten Geh- und Radweg, eingeklemmt zwischen Schloßberg und Fließverkehr mit 50 km/h, wieder. Erschwert wird die Situation zusätzlich durch die Bushaltestelle Keplerbrücke. Dieses Stück kann ganz sicher nicht als familienfreundlich bezeichnet werden. Die abschließende Strecke wird zwischen Kepler- und Radetzkybrücke am Murradweg geführt, der in diesem Bereich einige Engstellen zeigt, die zu erhöhter Vorsicht von Radfahrern und Fußgängern zwingen. Verschärfend zu den Engstellen rund um die Keplerbrücke kommt hinzu, dass dieser Bereich einer der meistfrequentierten in Graz ist, wie durch die Radzählstelle Keplerbrücke belegt wird.
Als weiteres Indiz für den politischen Stellenwert des Radverkehrs könnte der aussichtslose aber vehement verfolgte Kampf gegen das Radfahren im Stadtpark herangezogen werden. De facto ist die Benützung des Fahrrads im Stadtpark üblich. Ein Blick auf die unzähligen abgestellten Räder in der wärmeren Jahreszeit und die Vermutung, dass sich wenige beim Erreichen ihres Ziels an das geltende Fahrverbot gehalten haben dürften, lassen diesen Schluss zu. Trotzdem hält die Stadt an dem Verbot fest und bemüht sich dieses auch durchzusetzen.

Fahrrad – ja, wenn ...
Wenn das Fahrrad als Alltagsverkehrsmittel von der Allgemeinheit wahrgenommen werden soll, reicht der erhobene Ökozeigefinger nicht aus. Der Benützung des Rads im täglichen Leben gehen vorwiegend pragmatische Überlegungen voraus, wie Studien in den Vorzeigestädten des Radfahrens zeigen. Wesentliche Beweggründe für einen Umstieg vom MIV sind schlicht und einfach eine Zeitersparnis mit alternativen Verkehrsmitteln oder finanzielle Aspekte. Zusätzlich muss ein subjektives Gefühl der Sicherheit geschaffen werden. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Radfahren einen Teil zu einer gelungenen Urbanität auf Augenhöhe der Menschen darstellen und somit die Stadt als solche lebenswert machen kann.
Die fahrradgerechte Stadt sollte in diesem Sinn als Mittel und Ergebnis der Attraktivierung von Stadt gesehen werden. Einerseits lebt jede Stadt von den Menschen in ihr und der Möglichkeit der Kommunikation dieser – letztere wird durch Windschutzscheiben wirksam unterbunden. Andererseits fördert eine lebendige Stadt den Kontakt zwischen den Menschen und somit auch den Umstieg aufs Rad.
Vorraussetzung für eine Erhöhung der Fahrradquote ist ein gutes Infrastrukturangebot, auch über die Radwege hinaus – der Radfahrer muss sich wertgeschätzt fühlen – und Druck gegenüber dem MIV.
Ob dieser Ansporn zur Verwendung des Fahrrads über das weiter wachsende Verkehrsaufkommen und die Verstopfung von Straßen, oder doch über das einleitende Zitat aus der Verkehrspolitischen Leitlinie erreicht wird, ist eine Entscheidung der Politik. Wünschenswert wäre ein Handeln bevor der Druck der Straße zu diesem zwingt.

(1) MIV – Motorisierter Individual-Verkehr

(2) Modal Split – Verteilung des Verkehrsaufkommens auf die unterschiedlichen Verkehrsmittel: Fußgänger, Radfahrer, MIV und Öffentlicher Verkehr.

Terminempfehlungen

Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+