27/02/2019

Kommentar von Sigrid Verhovsek zur Präsentation des aktualisierten Grazer Modells, das am 13. Februar 2019 im HDA Graz im Rahmen eines Stadtdialogs vorgestellt und diskutiert wurde.

Das Grazer Modell regelt Architekturwettbewerbe der Stadt Graz – siehe Link graz.at unten.

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27/02/2019
©: Wohnmodelle.at - MVD Austria

Stadtdialog zum aktualisierten 'Grazer Modell' am 13. Februar 2019 im HDA Graz

©: HDA – Haus der Architektur

Am Mittwoch, den 13.02.2019, wurde im HDA das „aktualisierte Grazer Modell“ präsentiert.

Stadtbaudirektor Bertram Werle erläuterte nach einem kurzen Spot, der leider nicht annähernd so amüsant ist wie der unlängst präsentierte Werbefilm des Parkraumservice Graz (1), die Eckdaten des 2006 ins Leben gerufenen, nun überarbeiteten Leitfadens für Architekturwettbewerbe für Bauvorhaben ab einer Größe von 3.000m2 Bruttogeschoßfläche, die von privaten Investoren außerhalb der ASVK-Schutzzone durchgeführt werden.

In trauter Runde (Markus Bogensberger, Bertram Werle, Bernhard Inninger, Gerald Gollenz, Alexander Pongratz, Burkhard Schelischansky, Dietger Wissounig) wurde versucht, die Vorzüge des neuen Programms darzustellen. Die anschließende „Diskussion“ führte wie erwartet von einigen sehr persönlichen, kleinteiligen Fragen – hinter denen oftmals durchaus berechtigte Kritik leider zu gut versteckt wurde –, zu philosophischen Aspekten des urbanen Raumes, die wiederum in diesem Rahmen und in dieser Publikumsbandbreite, was Zielvorstellungen, Informationsstand und auch Interesse im ursprünglichen, kaufmännischen Sinn angeht, unmöglich zu klären waren.

Was das zahlreich erschienene, durchaus bunt gemischte Publikum sicherlich interessiert hätte, wären die Erfahrungen und die Reichweite des bisherigen Verfahrens gewesen. Ein wenig Bohren in offenen Wunden wirkt manchmal glaubwürdiger als unausgesetzte Promotion-pics.

Allein über die Häufigkeit der bisherigen Anwendung gibt es sehr unterschiedliche Auskünfte, die von 10 bis 15 Bauvorhaben im Jahr reichen. Eine kleine Excel-Tabelle wäre für die Basics ausreichend und könnte zugleich Aufschluss darüber geben, welche Relevanz das Modell für das Bauvolumen der Stadt Graz überhaupt besitzt.

(Anm. d. Red.: Eine redaktionelle Recherche ergab für die letzten 4 Jahre 16 Verfahren nach dem Grazer Modell, das wären etwa 4 pro Jahr – eine wenig signifikante Größe in Anbetracht des Baubooms in Graz.)

Wichtig wäre auch genaue Information in Hinblick auf das „Zuckerl“ für die Investoren, denen ich an dieser Stelle keineswegs unterstellen möchte, nicht grundsätzlich für baukulturelle Belange zu brennen, aber mit Speck...: Also, um wieviel schneller (Pressetext: „effizienter“) läuft die behördliche Abwicklung nach erfolgtem Procedere wirklich ab? Wie groß ist die Rechtssicherheit, die zwar nirgends juridisch oder anderweitig festgeschriebene, aber auf dem beschworenen (?) „Prinzip der Gegenseitigkeit“ beruhende Verbindlichkeit tatsächlich?

Wo waren die Lücken, die es nötig machen, dass im neuen Leitfaden verankert wurde, dass „im Zuge der Einreichung das Projekt in Hinblick auf Wettbewerbsergebnis und VORMALIGE Qualitäten nochmals überprüft wird“ – wobei leider nicht verraten wurde, WER das mit welcher Autorität prüft? Das Auftragsversprechen für alle Bauabschnitte bis zur Genehmigungsplanung ist eine eindeutige Verbesserung, aber noch keine durchgehende Qualitätssicherung.

Welche Rechts- oder sonstigen Druckmittel, außer der fürchterlichen „Drohung“ mit dem Gestaltungsbeirat, geben Anlass zur Hoffnung, dass sich das bisherige vor allem für die PlanerInnen oft auch sehr unerfreulich gestaltete Procedere, dass sich Entwürfe durch (ökonomische?) Interessen bis zur Unkenntlichkeit verwandeln, wirklich ändert?

Warum hört sich die Baukultur an den Grenzen der Stadtgemeinde Graz auf? Wäre es nicht sinnvoll, mit dem Land bzw. zumindest den angrenzenden Gemeinden stärker zusammenzuarbeiten und Ihnen die Teilnahme an dem Modell zu ermöglichen?

Wie war die Zusammenarbeit zwischen den Fachabteilungen der Stadtbaudirektion bzw. der Stadtentwicklung (Bebauungplanung?), den planenden ArchitektInnen und den baukulturwilligen InvestorInnen und deren jeweiligen Standesvertretungen im Detail, wo gab es Reibungen im positiven und negativen Sinne und wie kann man dieses Teamwork von VertreterInnen der kommunalen Verwaltung, BauträgerInnen und ArchitektInnen im Weiteren verbessern, bzw. hegemoniale Tendenzen verringern?

Und auch, wenn das Grazer Modell ja für alle Bauwerkstypologien „offen“ ist – die Freiwilligkeit wurde ja „gewahrt“ – sollte man im Zuge der überfälligen Frage, ob nicht auch Gewerbebauten in den Genuss der Baukultur kommen dürften, nicht auch hier ein wenig weiterbohren: Wäre es nicht sinnvoll, endlich von der überkommenen Terminologie „Wohnbau“ abzusehen, und stattdessen flexiblere räumlichere Entwicklungen zuzulassen? Aufstockungen auf Supermärkte, die Umwandlung alter Fabriken in Lofts, die Arbeitsweltliche Mischung, die wieder mehr auf „Heimarbeit“ setzt und deshalb eine Trennung von Wohnraum und Büro oder Werkstätte obsolet macht, und auch zunehmend prekäre Lebenslagen, die nach flexiblen Wohnformen verlangen, sind längst nichts Neues mehr – außer im Flächenwidmungsplan?

Warum ist die Kammer der ZiviltechnikerInnen in die Entwicklung der städtebaulich kooperativen Planungsverfahren noch nicht eingebunden? (Anmerkung d. Red.: Das Kooperative Verfahren sollte eine Entwicklungsstufe vor dem oder den folgenden Grazer-Modell-Verfahren sein)  Gerade in Graz, wo mit den städtebaulichen Grundlagen zu lange Zeit ohnehin eher auf Zuruf/Verlangen reagiert wurde (Stichwort: zumindest quartiersdeckende, zusammenhängende, visionäre Bebauungsplanung) sollte spätestens jetzt, mit der aktuellen (sozio-!)demografischen Prognose, rasch reagiert werden, und das vorhandene Wissen, unter anderem auch der Universitäten und FHs, ebenso integriert werden wie die Vorstellungen der Investoren.

Zudem: Wenn die Stadtplanung immer nur „reagieren“ darf, weil kein Grundkonzept bzw. kein ausreichend genauer Bebauungsplan existiert, fehlt zugleich die grundlegende Zielorientierung und die thematische Voraussetzung für einen Wettbewerb. Dieser kann aber immer nur so gut sein wie seine Ausschreibung. Über diese Erkenntnis herrscht auch in der Diskussion durchaus Einigkeit. Wenn Graz „vielfältig gebauten Stadtraum, bestehend aus zeitgenössischer Architektur und dem entsprechend konzipierten und gestalteten öffentlichen Raum“ wirklich will, dann muss das aktiv verfolgt werden.
Das Grazer Modell ist ein wichtiger, aber noch weiterzudenkender und zu entwickelnder Schritt in Richtung Baukultur, und es hält auch Kritik aus. Hier kommen so viele differenzierte Interessenslagen zusammen, die im einzelnen und für den Einzelnen durchaus nachvollziehbar sind – dennoch darf man ganz leise nach dem Vorhandensein bzw. der Bedeutung eines Gemeinwohls fragen, so es denn diese Chimäre tatsächlich geben sollte.

Allerdings wird man dann auch über die weniger angenehmen Dinge reden wollen müssen.

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