28/10/2013

heimat/los
Erkundungen zwischen Identität, Politik und Architektur
Symposium und Buchpräsentation

18.10.2013, HDA Graz

Veranstalter:

  • Institut für Architekturtheorie, Kunst- und Kulturwissenschaften, TU Graz
  • Institut für Geschichte, KF Universität Graz
  • Verein BauKultur Steiermark
  • Ziviltechnikerforum
  • HDA Haus der Architektur

Das Buch zum Thema:
Identität – Politik – Architektur
Der „Verein für Heimatschutz in Steiermark“
hg. v. Antje Senarclens de Grancy
architektur + analyse 4
jovis, Berlin 2013

28/10/2013

Symposium 'heimat/los' im HDA Graz, Eva Maria Hois, Agnes Harrer, Oliver Ziegenhardt, Monika Stromberger und Olga Flor (v.l.)

©: Ramona Winkler

Symposium 'heimat/los' im HDA Graz, Links außen: Markus Bogensberger, vorne mittig: Ulrich Tragatschnig

©: Ramona Winkler

Symposium 'heimat/los' im HDA Graz, Erste Reihe: Ursula Faix, Prof. Anselm Wagner, rechts im Bild: Oliver Ziegenhardt

©: Ramona Winkler

Symposium 'heimat/los' im HDA Graz, Günter Koberg und Dr. Antje Senarclens de Grancy

©: Ramona Winkler

Symposium 'heimat/los' im HDA Graz, Monika Stromberger und Prof. Helmut Konrad am Pult

©: Ramona Winkler

Symposium 'heimat/los' im HDA Graz

©: Ramona Winkler

Symposium 'heimat/los' im HDA Graz

©: Ramona Winkler

Heimat ist ein Begriff, zu dem jeder Mensch eine Idee oder zumindest eine Meinung hat. Nicht, dass jeder eine Heimat haben muss oder sich im Klaren darüber sein müsste, was es heißt, eine oder keine Heimat zu haben, aber auf einer sehr grundlegenden Ebene scheinen wir mit dem Ort unserer Geburt zumindest eine erste Chance auf eine bleibende Heimat zu haben. Das Verständnis des Begriffs Heimat reicht von einem vagen Gefühl der Verbundenheit bis hin zu konkreten Maßnahmen, mit denen wir versuchen, uns Heimat zu schaffen. Der Stempel in unserem Pass könnte ein Verweis auf Heimat sein. Die eigene soziale Integration könnte ein Zeichen von Heimat sein. Selbst bauliche Vorgaben können mit Heimat assoziiert werden. Umso erstaunlicher, wenn wir hören, dass Heimat nichts mit Raum zu tun haben soll und es höchstwahrscheinlich nicht nur eine für jeden von uns gibt, sondern viele verschiedene.

Am Symposium heimat/los – Erkundungen zwischen Identität, Politik und Architektur, das am 18.10.2013 im Haus der Architektur in Graz stattfand, stand die Frage nach der Heimat und nach einer zeitgenössischen Annäherung an diesen teils verbrannten Begriff der Zugehörigkeit im Mittelpunkt. Weniger eine kontroverse Diskussion bestimmte den Abend als vielmehr ein Staunen darüber, wie divers Heimat und Heimatlosigkeit von jedem einzelnen der Vortragenden interpretiert wurde. Dazu passte es ins Bild, dass viele Stimmen zu Wort kamen. Mit den beteiligten Historikern der Karl-Franzens-Universität, Prof. Helmut Konrad und Dr. Monika Stromberger, den Kunsthistorikern Prof. Anselm Wagner und Dr. Antje Senarclens de Grancy des Instituts für Architekturtheorie, Kunst- und Kulturwissenschaften der TU Graz, und dem Architekturtheoretiker Oliver Ziegenhardt vom Institut für Architekturgeschichte und -theorie der Bergischen Universität Wuppertal wurden reflexive Ansätze neben proaktivere Positionen der Architektin Ursula Faix von bad architects group gestellt. Günter Koberg als Geschäftsführer des Vereins BauKultur Steiermark und Andreas Tropper, Obmann im Verein BauKultur Steiermark, und die Geografin Xenia Havadi-Nagy richteten den Blick stärker auf das Jetzt und Hier als in die Vergangenheit. Ein ähnliches Spektrum auf künstlerischer Ebene boten ein aktueller Lagebericht der Stadtparksituation in Graz aus der Sicht der Schriftstellerin Olga Flor und ländliches Liedgut, vorgetragen von Eva Maria Hois und Agnes Harrer.

Anlass der Veranstaltung war das kürzlich erschienene Buch Identität, Politik, Architektur – Der „Verein für Heimatschutz in Steiermark“, welches aus einem Forschungsprojekt über Geschichte und Selbstverständnis des Vereins BauKultur Steiermark hervorging. Vereins-Geschäftsführer Günter Koberg führte in die Geschichte des Vereins ein, die durch Antje Senarclens de Grancy weiter ausgeführt wurde. Es ging dem Verein in seiner Vergangenheit oftmals um das Durchsetzen konkreter baulicher Vorgaben, die bestehende Ortsbilder erhalten und landestypische Stile schützen sollten. Das Ensemble wurde höher bewertet als der individuelle architektonische Eingriff. Fensterproportionen, Dachformen und Baudetails wurden in Kategorien wie „passt“ und „passt nicht“ eingeordnet. Ebenso sollten klar erkennbare Unterschiede zwischen Bauten am Land und in der Stadt erhalten bleiben. Dass die Nähe zur Deutschtümelei damals bewusst gewählt wurde und zeitweise eine antisemitische und antislowenische Ausrichtung des Vereins erkennbar war, wurde von den Autoren des Buches nicht verschwiegen. Der Verein stützt mit dem Buch seine Neupositionierung, die nach einer Neuinterpretation von Baukultur und Heimat sucht.

- Auf der Alm da is so lustig, auf der Alm da is so schön, scheint di Sun am allerersten, scheint sie auch am längsten hin, dort wo die Wälder heimlich rauschen, dort wo der Adler Kreise zieht, /: mit keinem König möcht ich tauschen, ja weil do drobn mei Häuserl steaht. :/ (Auf der Alm (Tirol), 1. Strophe)

Ob Heimat noch zeitgemäß sei und ob es in Bezug auf die heutige Mobilität der Gesellschaft und des Einzelnen noch relevant sei, über Heimat nachzudenken und dies als architektonische Aufgabe zu sehen, fragte Günter Koberg die Beteiligten des Symposiums. Passend dazu der Vorschlag von Prof. Anselm Wagner, Heimat wieder als Utopie zu denken, als einen Ort, an dem noch nie jemand gewesen ist. Oder die Antwort, dass Heimat auch in einer Disziplin oder Leidenschaft, so wie es Oliver Ziegenhardt zu bedenken gibt, vielleicht sogar in der eigenen Wissenschaft zu finden wäre. Er zeigte in seinem Beitrag entschlossen Architekturen, die allgemeinhin aus der Baukultur herausgestrichen werden, mit denen sich kaum ein heimatliches Architekturbild zeichnen lässt: Ein halb abgerissenes Hochhaus in Eisleben, Ruine sozialistischer Architektur, oder ein Mormonen-Gebäude, das Teile amerikanischer Kultur zwar deutlich repräsentiert, sich aber nicht als Vorbild eignet. Warum sollte das nicht auch Baukultur sein, nicht auch Heimat werden können? Oliver Ziegenhardt versucht, Baukultur nicht als Kategorisierung von „richtig gebaut“ und „falsch gemacht“, also ohne die Begriffe „Bausünde“  oder „Leitbild“, zu betrachten. Auf sozio-politischer Ebene ruft er deshalb auf, umzudenken, man müsse „Baukultur als neue soziale Bewegung praktizieren und sich von vorhandenen zivilgesellschaftlichen Gremien und Strukturen lösen“. Wie Prof. Helmut Konrad schon zuvor, positioniert er sich gegen den singulären Begriff der Leitkultur und fordert, „Baukulturen, Bausubkulturen und Antibaukulturen“ zuzulassen. Leider“, so Ziegenhardt, „ergeht sich die aktuelle Debatte im deutschsprachigen Raum in der Geißelung gentrifizierter Hafenquartiere und Einfamilienhaussiedlungen.“

- Tief im Wald da wachsen Schwammerl, schleicht der Fuchs und springt das Reh, über tausend scheane Blümlan, waht der Wind drob’n auf der Höh. Dort wo die Wälder heimlich rauschen, dort wo die Alpenrose blüht /: mit keinem König möcht ich tauschen, ja weil do drobn mei Häuserl steaht. :/ (Auf der Alm (Tirol), 2. Strophe)

Fühlen wir uns wohl mit dem Begriff Heimat? „Ja“, antwortete Ursula Faix. Ihr Innsbrucker Büro bad architects group war drei Jahre lang mit Studierendenprojekten und Lehrbeauftragungen an der UBT (University Education for Business and Technology) in Prishtina, Kosovo, engagiert. Der Blick auf die reale Situation dort war ihr wichtig. Mit den Studierenden entwickelte sie Eingriffe in den Stadtraum, die Alltagsorte besser nutzbar oder auch wieder als solche lesbar machten. „In Prishtina über Heimat reden, heißt auch über Krieg sprechen“, meint Ursula Faix. In den Interventionen der Studierenden wurde dieser Vergangenheitsbezug aufgelöst. Heimat findet in der Gegenwart statt, genauso wie sie eine Vorstellung von Zukunft ist. Verstanden als Interesse an den eigenen Geschichten und der Vorstellung des Ortes, wo man leben möchte, zeigen sich Bezüge zu den Palästen der Roma in Rumänien, die von Xenia Havadi-Nagy thematisiert wurden. Für eine Suche nach Heimat und Baukultur ist das auf den ersten Blick ungewöhnlich, da mit den Roma weder das eine noch das andere einfach in Zusammenhang zu bringen ist. Xenia Havadi-Nagy zeigt deshalb Paläste, die gebauten Wünschen gleichen. Sie folgen fast ausschließlich den Regeln der Repräsentation und bieten weder Gemütlichkeit noch Geborgenheit. Die Paläste sind Symbole und scheinen Heimat mit Verzierung und Kapital gleichzusetzen. Hier wird das eigene Haus, die mögliche Heimat, zum Statussymbol besonderer Art gemacht. „Motive werden wie Spolien auf den Reisen gesammelt, gezeigt wird wirtschaftliche Potenz“, so Havadi-Nagy. Vom Mercedesstern auf dem Dach bis zur Pagodenarchitektur zeugen sie von der augenscheinlichen Heimatlosigkeit, von Geld und den Geschichten, die ihre Besitzer angehäuft haben, und von der Freiheit, Heimat ohne Sesshaftigkeit entwickeln zu können.

- Dös Wasser is so klar und kiesig und die Luft weht blank und rein, drum sein mir a so schian gwachsn, nit zu groß und nit zu kloan, dort wo die Wälder heimlich rauschen, dort wo am Berg der Enzian blüht /: mit keinem König möcht ich tauschen, ja weil do drobn mei Häuserl steaht. :/ (Auf der Alm (Tirol), 3. Strophe)

Man konnte sich bis zum Schluss des Symposiums nicht einigen, ob Heimat überhaupt noch ein zeitgemäßer Begriff ist. Die zunehmende Mobilität unserer Gesellschaften und die jedes Einzelnen mögen dazu ein Gegensatz sein. Da scheint Heimat ohne Raum folgerichtig ein Denkansatz zu sein, der nicht jeder/m Architektin/en schmecken mag, dem Symposium heimat/los hat er jedenfalls den entscheidenden Impuls zum Perspektivenvergleich gebracht.

- Bin wohl in die Welt nein ganga, wo die Menschen anders sein. Doch i bin bald wieder komma, nur da droben dunkts mi halt fein. Dort wo die Wälder heimlich rauschen, dort wo die Heide rötlich blüht /: mit keinem König möcht ich tauschen, ja weil do drobn mei Häuserl steaht. :/ (Auf der Alm (Tirol), 4. Strophe)

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