19/12/2019

Hingabe und Zuwendung

Emil Gruber zu drei aktuellen Ausstellungen im Künstlerhaus, der Camera Austria und im Kunsthaus sowie zum Würdigungsabend für Helmut Strobl.

Künstlerhaus
Ausstellung Kamilla Bischof
bis 19.01.2020

Camera Austria
Lebohang Kganye, Preisverleihung
am 06.12.2019
Ausstellung Jochen Lempert
bis 16.02.2020

Kunsthaus
Ausstellung Kunst ⇆ Handwerk
bis 16.02.2020
Würdigung für Helmut Strobl
am 10.12.2019

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19/12/2019

Künstlerhaus: Kamilla Bischof: Aloe Vera, 2019, Foto: Ingo Kniest

©: Künstlerhaus. Halle für Kunst & Medien

Camera Austria: Lebohang Kganye, Re intshitse mosebetsing II, 2013, aus der Serie: Ke Lefa Laka: Her-Story, 2013. Courtesy: AFRONOVA GALLERY, Johannesburg.

©: CAMERA AUSTRIA

Camera Austria: Ausstellungs-Eröffnung Jochen Lempert – Fotos an Büchern, Foto: Joana Theuer

©: CAMERA AUSTRIA

Kunsthaus: Plamen Dejanoff, "Foundation Requirements", Ausstellungsansicht, 2014, Ursula Blicke Foundation, Kraichtal, Courtesy des Künstlers, Galerie Emanuel Layr Wien / Rom, Ursula Blicke Foundation, Kraichtal

©: Kunsthaus Graz

Kunsthaus: Ausstellungsansicht Kunst ⇆ Handwerk, Werke von Johannes Schweiger, Foto: UMJ/N. Lackner

©: Künstlerhaus. Halle für Kunst & Medien

Kultur und Menschenrechte – Eine Würdigung für Helmut Strobl am 10.12.2019 im Kunsthaus Graz. Im Gespräch: v.l.: Kulturlandesrat Christopher Drexler, Forum-Stadtpark-Leiterin Heidrun Primas, Kultur-Stadtrat Günter Riegler

©: Emil Gruber

Eine quaderförmige Tierherde lauert auf Besucher im Untergeschoß des Künstlerhauses. Kamilla Bischof, in Berlin lebende Grazerin, füllt ihre erste Einzelausstellung in Graz mit bunter Raffinesse. Kartons transportieren keine Bilder mehr, sie wurden selbst zum bemalten pareidolischen Objekt, Hörner inklusive. Ob die Herde genügend Auslauf hat? Artgerecht gehalten wird? Bei der ihrer Arbeit immer innewohnenden sanften Ironie, wäre es nicht überraschend, das Pappgetier demnächst auf der Wiese vor dem Künstlerhaus beim Grasen zu sehen. Schön vermählt nennt Bischof ihre facettenreiche Ausstellung. Die Künstlerin spielt mit Begriffen genauso wie mit Farben. Ganz schön abwechslungsreich zeigt sich das Vermalen hier im hellen Keller. Schnuller, Verkehrshütchen, Signallichter werden zu Hauptdarstellern in den großformatigen Bildern. Gesichtslos bleiben dafür die menschlichen Figuren. „Gesichter lenken vom Bild ab“, erklärt vielsagend Kamilla. Nur Marylin M. darf als Gesicht in einem Luftballon einem Teufel kurzfristig etwas Freigang aus seiner Hölle bescheren. Als ein Großod stellt sich das zur Ausstellung erschienene Begleitbuch heraus. Neben einem großen Überblick über Bischofs bildnerisches Werk, füllen Fotos obskurer Objekte und exzellente eigene Texte den Band: „Baden Baden. Er nannte meine Bilder die Rache der Untalentierten. Solche Gedanken sollte man überwinden, im geschlechtsneutralen Geschwisterwagen.“ Richtig beurteilt, Frau Bischof. Und: „Watch the strawberry“, oben am Künstlerhaus.

Die Familie steht im Zentrum der Ausstellung der heurigen Camera Austria Preisträgerin für zeitgenössische Fotografie der Stadt Graz Lebohang Kganye. Die Südafrikanerin lernte unter anderem im "Market Photography Workshop“, den der im heurigen Jahr verstorbene Fotograf David Goldblatt gegen Ende der Apartheid in Südafrika gründete. Die Initiative bringt diskriminierten Bevölkerungsschichten die Fotografie näher. Goldblatt war selbst 1995 Camera-Austria-Preisträger, ein Kreis schließt sich hier. Kganye erzählt in zwei sehr verschiedenen Zugängen von ihrer schwarzafrikanischen Familiengeschichte.  Einmal nähert sie sich ihrer verstorbenen Mutter durch alte Familienfotos. Kganye fügt sich durch Nachbelichtungen selbst ins Geschehen ein, beobachtet und übernimmt praktisch die Rolle ihrer Vorfahrin. In Ke Lefa Laka: Heir-Story wieder schlüpft die Fotografin in die Rolle ihres Großvaters und durchwandert in faszinierenden dreidimensionalen Pop-up Bildern ein Südafrika, das noch komplett von Rassensegregation und -unterdrückung besteht.

Jochen Lempert füllt den zweiten Teil der aktuellen Camera Austria Schau. Lempert ist kein klassischer Fotograf. Der studierte Biologe, huldigt der Systematik. Seine Spezialität ist es, Bestehendes mit eigenem Material anzureichern, vorhandene Kontexte und Narrative neu zu betrachten. Dazu nimmt Lempert ausgewählte Fotos mit und sucht in der gewaltigen Bibliothek der Camera nach Fotografien in Büchern, nach Verbindungen seiner Mitbringsel mit dem Bestehenden. Er vermengt Eigenmaterial mit Fremdinhalt, schreibt sich in ein reproduzierbares Objekt ein, macht es temporär zu einem Unikat. Die Besucher und Besucherinnen blättern in den ausgestellten und mit Inlays von Lempert angereicherten Büchern. Neue Veränderungen werden damit entstehen. Sie sind erwünscht.

Wo hört Handwerk auf, wo beginnt Kunst? Kann Handwerk selbst Kunst sein? Wieviel Handwerk darf in Kunst stecken, damit es Kunst bleibt? Diese und viele andere Fragen stellen sich, seit es Kunsttheorien gibt, Experten und Expertinnen. Beruhigend, alle können alles weiterdiskutieren, eine endgültige Antwort will auch das Kunsthaus Graz nicht finden. Es frischt die Debatte aber in einer Spezialausstellung auf. Dazu wurden acht EinzelkünstlerInnen bzw. Kollektive eingeladen, deren Werke wie geschaffen sind, sich an den Verbindungsnähten von KUNST ⇆ HANDWERK, so der Titel der Ausstellung, aufzuhalten. Viel handwerkliches Geschick, Erfahrung mit traditionellen Techniken und Materialbehandlung sind die Fundamente, auf denen die Kunst ruht. Plamen Dejanoff reist in der Baukultur zurück in die Zeit. Der bulgarische Bildhauer eignete sich für eigene Objekte alte Holzstecktechniken, die für metallfreie Konstruktionen von Fußböden bis Türen und Wänden Verwendung fanden, an. Für sein bekanntestes Werk, das Bronze House baute er wieder aus Bronze eine raffinierte sich selbst tragende fragile Gitterskulptur.
Die Jahrhunderte alte Umdeutung von Fetischen, Kleidung und anderen handwerklich hergestellten Gegenständen des Stammeslebens zu musealer und hoch gehandelter afrikanischer Kunst untersuchen Antje Majewski und Olivier Guessele-Garai. Die damit einhergehende Ausbeutung thematisieren die beiden unter anderem anhand eines Herrscherthrons aus Kamerun, der mittlerweile im Ethnologischen Museum Berlin seine zweifelhafte Heimat hat.
Ein riesiges Tableau aus mannigfaltigen Keramikknöpfen stellt wieder Johannes Schweiger aus. Es ist eine Erinnerung an die Wiener Keramikerin Lucie Rie (1902-1995), die 1938 nach London flüchten und in den ersten Jahren der Emigration von der Produktion von Knöpfen leben musste. Nach dem Krieg ging Ries' Karriere als Töpferin steil nach oben. Ihre Werkstatt ist seit 2009 in der Dauerausstellung des Victoria und Albert Museums London zu sehen.
Olaf Holzapfel arbeitet mit Stroh, von Slavs and Tatars sind wieder mit sehenswerten Gewebearbeiten zu sehen. Im Werk von Haegue Yang spielt das Flechten eine zentrale Rolle. Jorge Pardo aus Kuba hat ein Hochregal mit lauter unbenützbaren Einrichtungsgenständen in den obersten Stock gestellt, Ikea für Kunstfreunde, quasi. Die Bosnierin Azra Aksamija wieder arbeitet in ihren Stick- und Näharbeiten den Jugoslawienkrieg und die damit verbundenen religiösen Konflikte auf.

Kultur und Menschenrechte: Ein Würdigungsabend für den im September des Jahres verstorbenen Helmut Strobl fand passenderweise am Tag der Menschenrechte am 10.12.2019 im Kunsthaus Graz statt. Menschenrechtsbeirat, Literaturhaus, Kulturhauptstadt 2003 und vieles mehr, Strobl war nicht nur unermüdlich in Ideen, sondern genauso konsequent in deren Umsetzung. Familie, Weggefährten, Freundinnen und Freunde, Politiker erinnerten sich in kurzen Gesprächen und Anekdoten an den langjährigen Kulturstadtrat und großen Menschenfreund. Dzevad Karahasan, langjähriger Freund, hielt eine wunderbare Gedenkrede auf die besondere Gesprächskultur und intensive Verbindlichkeit Strobls. „Charakter statt Prinzipien“, brachte der bosnische Schriftsteller den Mensch Strobl präzise auf den Punkt. Irina Karamakovic stellte ein musikalisches Programm zusammen, das den Bogen von Volksmusik über Jazz bis zu südamerikanischen Klängen spannte.
Am Ende wurde Over the rainbow, den alle(!) Musiker gemeinsam spielten, zu einem Gänsehaut-Erlebnis. Darüber stand in einem Video Helmut Strobl noch einmal auf seinem südsteirischen Grenzgrundstück. Der Widerstand gegen den beabsichtigten Flüchtlingszaun ließ ihn noch einmal alle Kräfte gegen Enge und Ignoranz sammeln. Toleranz und Durchlässigkeit sind nur zwei der vielen Vermächtnisse Helmut Strobls, die das offizielle Graz nie vergessen darf.

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