23/02/2009

1900 wurde mit der Gartenstadt St. Peter eine noble Villenkolonie errichtet. Einer ihrer Bewohner war u. a. der Dichter Rudolf Hans Bartsch (1873 - 1952). Aufgrund mangelnder städtebaulicher Lenkungsmaßnahmen findet dort seit einigen Jahren eine Umstrukturierung statt, die sowohl den historischen Charme als auch die Wohnqualität herabsetzen.

23/02/2009

Lageplan für Erweiterung der Gartenstadt St. Peter 1912 (Quelle: Antje Senarclens de Grancy, „Moderner Stil“ und „Heimisches Bauen“, 2001 Böhlau Verlag).

Abb. 2: Ausschnitt aus dem Lageplan, Bereich Rudolf-Hans Bartsch-Straße/Gartenstadtstr. (Quelle: Antje Senarclens de Grancy, „Moderner Stil“ und „Heimisches Bauen“, 2001 Böhlau Verlag), Beamtenhäuser (Quelle: Antje Senarclens de Grancy, „Moderner Stil“ und „Heimisches Bauen“, 2001 Böhlau Verlag)

Abb. 3: Darstellungen der Beamtenwohnhäuser in der Publikation des Wohnfürsorge- Vereins, Autor: Arch. Gisshammer von 1912

Abb. 4: realisiertes Beamtenhaus heute

Abb. 5: noch erhaltener Gartenstadtcharakter

Abb. 6: Reste der historischen Mietgärten

Abb. 7: Rosengasse mit Gartenstadtcharakter

Abb. 8: Neubauten Schwindgasse/Marburger Straße

Abb. 9: Neubauten an der Marburgerstraße

Abb. 10: Reihenhäuser Marburger Straße/Rosengasse

Abb. 11: Neubauten Marburgerstr./Ecke R.-Hans-Bartsch-Straße, alte Bebauung im Hintergrund

Abb. 12: Carports Rosengasse/Marburger Str.

Abb. 13: „Hütteldorf an der R.-Hans-Bartsch-Str.

Abb. 14: zu geringe Abstände

Abb. 15: unschöne Mülltonnen im Zugangsbereich, Blickschutz-Steinmauer des Nachbarn

Abb. 16: Zugang Rosengasse mit Mülltonnen und Hütten, dahinter historische Beamtenhäuser

Abb. 17: zwischen Vorgartenidylle und Schrebergartenatmosphäre, oder kleinbürgerliche „Vorgartenidylle“

Abb. 18: Lärmschutzwand (Roseng./Marburger Str.

Abb. 19: Abschirmungsbehelfe

Abb. 20: Blick zum ORF Park

Abb. 21: Bebauung mit zu geringem Abstand zur Marburger Straße, Zaunschutz

Abb. 22: Ambiente „behind the wall“

Abb. 23: ein noch freies Grundstück

Abb. 24: Projektentwurf für ein freies Grundstück Marburger Straße (Ecke Händelstraße). Fotos: el

1900 wurde mit der Gartenstadt St. Peter eine noble Villenkolonie errichtet. Einer ihrer Bewohner war u. a. der Dichter Rudolf Hans Bartsch (1873 - 1952). Aufgrund mangelnder städtebaulicher Lenkungsmaßnahmen findet dort seit einigen Jahren eine Umstrukturierung statt, die sowohl den historischen Charme als auch die Wohnqualität herabsetzen.

Geschichtlicher Hintergrund

Südlich der St. Peter Hauptstraße in Graz wurde um 1900 im Bereich der Gartenstadtstraße - sie wurde nach dem Tod des Grazer Dichters Rudolf Hans Bartsch im östlichen Teil in Rudolf-Hans-Bartsch-Straße umbenannt - mit dem Bau der ersten Villenkolonie, dem „St. Peter Cottage“, in Anlehnung an das englische Gartenstadtmodell begonnen. Im Gegensatz zur englischen Gartenstadtbewegung, die weitaus radikalere Ansätze verfolgte, wurden in Graz und auch in St. Peter keine autarken Vorstädte mit Gewerbe und Industrie geplant. Es ging um die Schaffung von Villen bzw. Einfamilienhäusern in Gartenlage mit guter Luftsituation für den bürgerlichen Mittelstand, als gesunde Antwort auf die als ungesund empfundene Großstadt mit den Mietskasernen der Gründerzeit. „Die Villen entsprachen dem historisch-romantischen Zeitgeist und zogen eine neue Bewohnerschaft in die Vorstadtgemeinde.“ (Karl. A. Kubintzky, Beiträge zur neueren Geschichte von St. Peter und Messendorf, in Gerhard Dienes,/Karl. A. Kubintzky, St. Peter, Geschichte und Alltag, Graz 1993)

Das St. Peter Cottage war auch mit der Straßenbahn erreichbar. Schon 1906 hatte die Linie 6 dort ihre Endstation! Den Verantwortlichen war bewusst, dass ein erfolgreicher Verkauf oder eine Vermietung nur mit einer schnellen Anbindung an das Stadtzentrum gewährleistet werden könne. 1912 präsentierte der Wohnungsfürsorge-Verein für Steiermark (ab 1912 registrierte Genossenschaft) als eines seiner ersten Projekte eine Erweiterung für die Gartenstadt St. Peter und warb mit einer umfassenden Publikation dafür. Neben Ein- und Zweifamilienhäusern mit eigenen Gärten waren auch ein Einküchenhaus als Lehrerheim, Mehrfamilienwohnhäuser für Beamte mit Kleinwohnungen, Mietgärten, eine Trafik, zwei Tennisplätze und eine Kegelbahn vorgesehen. (Abb. 1, Lageplan Gisshammer)

Die Gartenstadtstraße (heute Rudolf-Hans-Bartsch-Straße) war die Haupterschließungsstraße und sollte eine platzartige Erweiterung im Bereich der Beamtenwohnhäuser aufweisen, von wo aus eine Querstraße zum Einküchenhaus führen würde. Die Siedlung wurde zur Gänze vom Architekten Andreas Gisshammer geplant. (Abb. 2, Ausschnitt Lageplan)

Ausgehend von bestimmten Haustypen, die nach einer Forderung des Vereins für Heimatschutz aus einer Mischung aus Sachlichkeit und „Elementen heimischer Bautradition“ bestehen sollten, aber auch einen Konnex zur englischen Landhausarchitektur suchten, wurden die Bauten im Detail variiert. Das Einküchenhaus kam nicht zur Umsetzung. Vier mehrgeschossige Beamtenwohnhäuser wurden gegenüber den ursprünglichen Plänen stark modifiziert ausgeführt. (Abb. 3, Beamtenhäuser Broschüre; Bild 4, Realisierte Häuser)

Schauplatz Sommer 2008

Die vier Beamtenwohnhäuser und einige alte Villen (u. a. Rudolf-Hans-Bartsch-Straße 11, 15-17, Planung Architekt Gisshammer), aber auch die Straßenbilder der ehemaligen Gartenstadtstraße und der Rosengasse erinnern noch heute an das alte Konzept der Gartenstadt (Abb. 5, 6, 7). Die in den letzten Jahren an der Marburger Straße zwischen Schwind- und Rosengasse errichteten Reihen- bzw. Mehrfamilienhäuser konterkarieren den locker-luftig geplanten Gartenstadtcharakter. (Abb. 8, 9, 10). Verhüttelung und wenig Freiraum durch hohe Dichte bestimmen das Erscheinungsbild und erzeugen ein Gefühl von Enge und mangelnder Luft- und Lichtdurchlässigkeit. Carports direkt an der Straße verstärken diesen Eindruck noch (Abb. 11,12, 13). Die Neubauten nehmen weder in Größe noch in ihrer architektonischen Gestaltung Bezug zur bestehenden Villenbebauung und zum ursprünglichen Gartenstadtgedanken (Bild 14, 15,16,17). Man gewinnt den Eindruck, den Planern war nicht bewusst, dass ihre Projekte an den Eingängen der „Gartenstadt“ gebaut werden. Offenbar hat es auch keine Intervention seitens der Baubehörde und der Stadtplanung zum Schutz dieses beispielgebenden historischen Stadtteiles gegeben. Darüber hinaus ist die Marburger Straße in Ermangelung eines Verkehrskonzeptes zur stark befahrenen Ausweichstraße für die St.-Peter-Hauptstraße geworden und dementsprechend lärmbelastet. Die Planer bzw. Nutzer reagieren darauf mit unschönen Lärmschutzwänden und blickdichten Zäunen (Abb. 18,19). Sie verbauen sich damit den Blick auf ihr attraktives Vis-a-vis, das ORF-Gebäude von Gustav Peichl samt Park.

Zu befürchten ist, dass die sich im näheren Umfeld befindlichen, noch freien Grundstücke früher oder später auch verbaut werden. Auf einem davon steht bereits die Werbetafel für ein geplantes Bauprojekt, das auf eine wenig erfreuliche Entwicklung dieses Gebietes schließen lässt (Abb. 23,24). Derartige Bauprojekte werben zwar mit der exklusiven Villenlage, bieten aber keine attraktiven neuen Wohnmodelle.

Am Beispiel Graz-St. Peter zeigt sich dringender Handlungsbedarf. Die räumliche und architektonische Entwicklung einer Stadt sollte sorgfältig geplant werden und darf nicht ausschließlich gewinnorientierten Investoren und deren willfährigen Planern überlassen werden. Das hat man schon um 1900 gewusst. Wann also, so fragt man sich, erfolgt ein Umdenken in der Grazer Stadtplanung?

Verfasser/in:
Elisabeth Lechner, Kommentar
Marina Koch

Eine Veränderung der Grazer Stadtplanung wäre wohl an einen politischen Diskurswechsel seitens der Stadtregierung gekoppelt. Solange versucht wird, maximalen Profit mit minimalem Veränderungsaufwand in den eigenen Reihen zu erzielen, wird alles beim Alten bleiben. Eine Stadt, unsere Stadt, geführt als Wirtschaftsunternehmen! Hauptsache das Geld stimmt. Wo bleibt das Bewusstsein für das Schöne, das Schützenswerte, das Historische? Zugegeben etwas Schönes ist subjektiv, aber Orte mit Geschichte werden durch solch undurchdachte Bauprojekte ihrer Sprache entledigt, mundtot gemacht. Die neue Wohnumgebung ergibt nur noch wenig Sinn, wirkt halbherzig und undurchdacht. Und das ist sie auch, wirklich schade! Vergleicht man die heutige Situation vor Ort, mit jener um die Jahrhundertwende zeigt sich ein Rückschritt durch und durch.
„Bausünden“ wie sie hier begangen wurden und wohl noch immer werden, bzw. zuvor überhaupt zugelassen wurden und werden (!!!) sind leider traurige Zeichen der Zeit. Zeichen die es zu deuten und aufzuzeigen gilt! Vielleicht lassen sich die Verantwortlichen endlich wachrütteln. Vielleicht...

Fr. 06/03/2009 3:17 Permalink
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