06/03/2020

Keltische Jahreszeiten und ein Museumsschiff

Kulturhauptstädte 2020

Galway – an der Westküste Irlands gelegen – geht unter dem Motto Let the Magic in,
Rijeka
– in der kroatischen Kvarnerbucht – mit dem Thema Hafen der Vielfalt in das Jahr 2020

Für beide Städte ist Migration das maßgebliche Thema des Kulturhauptstadtjahres.

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Ein Streifzug von Wenzel Mraček

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06/03/2020

Galway: Savage Beauty von Kari Kola (Screenshot Mraček, https://galway2020.ie/en/strand/imbolc)

©: Wenzel Mraček
©: Wenzel Mraček

Die „Galeb“ im Hafen von Rijeka im Juni 2019. (Foto: Florian Rubenberger, This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International)
https://de.wikipedia.org/wiki/Galeb#/media/Datei:Die_Galeb_im_Hafen_von…

©: Wikimedia Commons

Der geplanten Eröffnungszeremonie am 8. Februar 2020 ging in der Woche zuvor die Fire Tour voraus, mit der die Nachbarorte Clifden, An Spidéal, Tuam, Ballinasloe, Portumna und Athenry mit Feuerkugeln (Spheres) – nach einem Konzept der Künstlerin Jacqueline Pyle – Galways Jahr als europäische Kulturhauptstadt einleiteten. Die Generaleröffnung auf dem Festivalgelände in Galway, zu der 45.000 Besucher erwartet worden waren, musste aber im letzten Augenblick sicherheitshalber abgesagt werden: Das Sturmtief Ciara fegte über die Insel und Sicherheit für die Besucher ging vor.
Neben Rijeka ist das an der Westküste Irlands gelegene Galway zur Kulturhauptstadt dieses Jahres ernannt worden. Der Name der Stadt ist abgeleitet vom gälischen An Ghaillimh, dem nur 15 Kilometer langen „steinigen Fluss“, der vom Loch Corrib ausgeht und in die Galway-Bucht mündet. Die Stadtgründung wird auf ein im siebenten Jahrhundert bestandenes Kloster zurückgeführt. Im 13. Jahrhundert entstand hier ein befestigter Vorposten der Normannen. Heute ist Galway mit seinen 80.000 Einwohnern und zwei Universitäten die größte Stadt der gleichnamigen Grafschaft. Wie in Rijeka ist auch in Galway Migration ein maßgebliches Thema, das im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres Beachtung finden soll, nachdem 25 Prozent der Bewohner Zuwanderer aus der ganzen Welt sind. Let the Magic in lautet das Motto für das Jahr 2020, thematisch geht es dabei vor allem um Sprache, Landschaft und Migration.
Wie die gesamte Westküste der Republik ist auch Galway zweisprachig. Das irische Gälisch wird in den Schulen unterrichtet und Galway ist auch ein Zentrum der irischen Musik. „Wir haben kein Opernhaus, wir haben keine Stadtgalerie, wir haben im Grunde nicht die kulturelle Infrastruktur der es eigentlich bedarf“, erklärt Organisationsleiterin Marilyn Gaughan Reddan, „daher haben wir ein Programm entwickelt, das nicht an spezifische Räume gebunden ist“. Die Straßen sollen zu Theatern werden, die Landschaft zur Galerie und die Menschen werden die Künstler sein. Im Kulturhauptstadtjahr werden keine Gebäude renoviert oder errichtet, vielmehr soll das immaterielle Kulturerbe Galways in den Fokus rücken. Das Programm richtet sich nach „dem alten keltischen Kalender, der am 1. Februar mit einem Fest der Frauen beginnt und die erste Jahreszeit eröffnet, Imbolc“. Es folgen am 1. Mai das Fruchtbarkeitsfest Beltane, das Erntefest Lammas ab 1. August und schließlich Samhain, das Totenfest in der Nacht zum 1. November.
Die in Galway gegründete Straßentheatergruppe Macnas wird an verschiedenen Orten und im Verlauf der keltischen Jahreszeiten das Gilgamesch-Epos in vier Teilen aufführen. Macnas übrigens traten auch am 23. Februar beim Karneval von Rijeka auf. Eines der größten Projekte startet mit Anfang März. Savage Beauty ist eine Lichtinstallation des Finnen Kari Kola, der die Berge von Connemara illuminieren wird. Thema freilich ist auch die infolge des Brexits aufgetretene Problematik um einen neuerlichen Grenzkonflikt mit Nordirland. Der US-Amerikaner David Best, bekannt durch seine Tempelbauten für das Burning-Man-Festival in Nevada, will gemeinsam mit Bewohnern der nordirischen Stadt Derry (offiziell Londonderry) für Galway 2020 eine temporäre Skulptur entwickeln. Unter dem Titel Borderline soll ein Denkmal für eine Welt ohne Grenzen, Konflikte und den Schmerz der Trennung errichtet werden.

2500 Kilometer von der nordatlantischen Küste entfernt liegt die andere Kulturmetropole Rijeka. Als Fiume Teil des Habsburgerreiches, war Rijeka später Italien angegliedert und auch geteilt, ehe es zu Jugoslawien kam. Etwa halb so groß wie Graz, ist Rijeka heute die drittgrößte Stadt Kroatiens mit knapp 130.000 Einwohnern. Hier lautet das Motto für 2020 Hafen der Vielfalt, nachdem man sich als Hafenstadt – wie in diversen Medienberichten stets betont – schon immer als offen und multikulturell verstand. Die zentralen Themen des Kulturhauptstadtjahres sind Wasser, Arbeit und Migration.
Im 20. Jahrhundert gehörte Rijeka zu sieben verschiedenen Staaten, zur k u. k Monarchie, zu Italien und Jugoslawien bis zur heutigen Republik Kroatien. Dem entspricht das Stadtbild mit sozialistischen Plattenbauten, Jugendstil-Palästen und Industriegebäuden. Am Hotel Imperial bestand von 1924 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs eine meterhohe Mauer, die Rijeka in zwei Teile zwischen Italien und dem Königreich Jugoslawien teilte. Eine rote Linie markiert heute den Verlauf dieser Mauer. Eleganz dagegen soll das neue Kunstviertel unweit des Bahnhofs vermitteln. Phasenweise soll hier, auch im Bereich einer ehemaligen Zuckerfabrik und Trocknungsanlage für Tabak, der Benčic-Komplex eröffnet werden. Eingezogen ist bereits das Museum für zeitgenössische Kunst. Es folgen eine Bibliothek und ein Kinderhaus, damit in Verbindung steht das Workshop-Programm für Kinder unter dem Titel Tobogan (Schlitten). Der Zuckerpalast, das ehemalige Hauptgebäude der Fabrik, wird zum neuen Stadtmuseum umgebaut – mit Dependance auf der Galeb, Titos Staatsjacht, die „Möwe“. Kulturschaffende allerdings befürchten bereits, dass mit diesen Adaptionen alles Budget verbraucht sein wird, obwohl es weitere Gebäude gibt, denen man sich baulich widmen sollte, wie beispielsweise eine ehemalige Papierfabrik, in der einst über 1000 Menschen beschäftigt waren. Derzeit wird das Gebäude zwar als Bandlocation für Festivals genutzt, es fehlt aber unter anderem an Sanitäranlagen und permanenten Elektroinstallationen.
Vor allem zwei Eigenschaften der Stadt sollen mit dem Motto Hafen der Vielfalt hervorgehoben werden: Zum einen der Hafen, um den sich das Stadtleben bewegt, zum anderen der multikulturelle Charakter der Stadt, in der 23 nationale Minderheiten registriert sind. Über 600 Programmpunkte sind avisiert, darunter eine Gustav-Klimt-Ausstellung, eine Show der Berliner Roboter-Band Compressorhead oder das Porto Etno Musikfestival, bei dem rund 100 internationale von Musikern aus Rijeka und Umgebung begleitet werden. Im Rahmen von Lungomare Art werden zehn internationale Künstler beziehungsweise Kollektive im Bereich der gesamten Kvarner Bucht ortsspezifische Kunstwerke an zehn Plätzen entlang der Küste und auf den Inseln entwickeln, die infolge als permanente Werke im öffentlichen Raum erhalten bleiben werden. In Rijeka selbst wird die Architektur des Fischmarkts und die Arbeit der Fischer thematisiert.

Das vielleicht bemerkenswerteste Projekt, dessen Finalisierung zwar erst im Jänner des kommenden Jahres geschafft sein soll, betrifft die Renovierung und Adaptierung der Galeb. Fast drei Jahrzehnte war sie die Amtsjacht von Staatspräsident Josip Broz Tito und immerhin musste man sich auch gegen eine Haltung durchsetzen, nach der der Plan einer Renovierung als „Jugo-Nostalgie“ bezeichnet wurde. Neben der Dependance des Stadtmuseums soll die Galeb künftig auch ein Hostel und ein Restaurant beherbergen, die Decks sollen zum öffentlichen Raum erklärt und frei betreten werden können. Umgerechnet steuert die EU 9,2 Mio. Euro für Restaurierung und Umbau bei.
Wenn auch die Galeb derzeit auf Stapel liegt, sei hier auf ein Projekt verwiesen, das zwar nicht Teil des offiziellen Programms der Kulturhauptstadt ist, aber im April und Mai in Rijeka umgesetzt werden soll. Der Grazer Künstler E.d Gfrerer hat für diese Zeit ein Atelierstipendium des Landes Steiermark erhalten. Sein Vorhaben, erzählte er mir vor etwa drei Monaten, sei es, „der Galeb zwei Meter ihres Bugs abzuschneiden“ – freilich nicht physisch. Vielmehr soll ein Teil des Bugs im Hafenareal, und wahrscheinlich in verkleinertem Maßstab, nachgebaut werden. Diese Dekonstruktion und Dislozierung müsste eigentlich schon genügen, um in der Rezeption die Geschichte des Schiffs, Jugoslawiens und des Staates Kroatien zu assoziieren.

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