26/12/2011
26/12/2011

Bürgermeister Mag. Siegfried Nagl, Univ.-Prof. Dr. Helmut Klages von der Hochschule Speyer, Beirats-Sprecher Ing. Raimund Berger.

Blick ins Publikum. Foto: Stadt Graz/Fischer

Ende November luden der Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl und der BürgerInnenbeirat mit Sprecher Raimund Berger bei der ersten öffentlichen Sitzung des Beirates für BürgerInnenbeteiligung zur Diskussion über Wege und (Un)Möglichkeiten, über Hürden und Grenzen der BürgerInnenbeteiligung ein. Der deutsche Soziologe und Verwaltungswissenschaftler Univ.-Prof. Dr. Helmut Klages von der Hochschule Speyer hielt ein Referat über die „Entwicklung von Leitlinien für die BürgerInnenbeteiligung“.

Bürgermeister Nagl begrüßte im Minoritensaal rund150 Gäste mit einer Mischung aus Zitaten und Botschaften: „Man muss dem Volk aufs Maul schauen“ (Luther), „Wenn man etwas 10 Jahre gemacht hat, muss man es anders machen“ (Gandhi), Freiheit bedeutet Verantwortlichkeit (B.Shaw) oder „Politik heißt sich einzumischen“

In Graz praktizierte Beteiligungsformen sind die Lebensindikatorenstudie, diverse Beiräte und die vorgeschriebene Beteiligung bei Bebauungsplanung und Stadtentwicklung. Als Beispiele für Projekte mit BürgerInnenbeteiligung nannte Nagl die Planungswerkstatt „Zeit für Graz“, die Neugestaltung der Annenstraße, den Masterplan Stadtpark und die Umgestaltung des Sonnenfelsplatzes. BürgerInnenbeteiligung findet aber auch in den Beiräten der Stadt Graz, im Jugend-Gemeinderat und im Kinderparlament statt. Nagl.

Beiratssprecher Raimund Berger nannte als Ziele des Beirats die Förderung und Umsetzung demokratischer BürgerInnenbeteiligung, die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Beteiligung und die Erarbeitung von Leitlinien für BürgerInnenbeteiligung. Mit Leitlinienentwicklung zum besseren Gelingen anhand der Beispiele Heidelberg und Leipzig beschäftigte sich das Referat von Univ.-Prof. Dr. Klages von der Hochschule Speyer. Damit dauerhaftes, lösungsorientiertes Kooperieren von BürgerInnen, Politik und Verwaltung funktioniert und eine Win-Win-Situation entstehen könne, müsse BürgerInnenbeteiligung für alle attraktiv werden. In Heidelberg werden seit 2010 in einem trialogischen Prozess, unter wissenschaftlicher Begeleitung von Univ.-Prof. Klages, Leitlinien für eine kooperative BürgerInnenbeteiligung erarbeitet. Leider dezimierte der etwas zu ausführliche Vortrag das Publikums und wurde von Moderator Peter Filzmaier abgebrochen. Trotz interessanter Aspekte entstand der Eindruck, dass langwierig und bürokratisch entwickelte Leitlinien BürgerInnenbeteiligung nicht attraktivieren und jüngere Menschen eher ausschließen. In der anschließenden Diskussion wurde von den im Publikum unterrepräsentierten „Jüngeren“ eine Einbindung in Beteiligungsprozesse über Social Media wie Facebook und Twitter gefordert.

Beiratssprecher Berger führte als bisherige Einbindung der Jugend die Einladung der „Kinderbürgermeister“ an. Weitere Kritikpunkte aus dem Publikum waren, dass Nagl, immer, wenn Wahlen anstünden, Aktionen zur BürgerInnenbeteiligung setze, die dann aber mehr oder weniger im Sande verliefen. (Als Beispiele wurde ein schubladisiertes Bezirksleitbild Andritz, das teure Projekt „Zeit für Graz“ und die aktuelle Veranstaltung genannt).
Kritisiert wurde weiters, dass der Beirat und seine Arbeitsweise nicht ausreichend bekannt seien und der Bürgermeister den Vorsitz habe. Die wachsende Zahl von Beiräten, die nicht demokratisch gewählt sind, wird als demokratiepolitisch bedenklich gesehen und es wird mehr direkte Demokratie gefordert.

Der Beirat für BürgerInnenbeteiligung hätte bei dieser Sitzung neu gewählt werden sollen. Da in der Geschäftsordnung aber eine Wahlordnung fehlt, wurde die Wahl auf das Frühjahr 2012 verschoben. Auf die Frage, ob jedes Jahr eine öffentliche Beiratssitzung vorgesehen sei, kam die erstaunliche Antwort des Beiratssprechers Berger: „Leider sehe die Geschäftsordnung dies vor, obwohl man bereits für diese erste Sitzung kein gemeinsames Thema gefunden habe.“
Der Beirat für BürgerInnenbeteiligung sollte im Sinne von Bürgermeister Nagls Eingangsworten den BürgerInnen mehr aufs Maul schauen.

Verfasser/in:
Elisabeth Lechner, Bericht
Karin Steffen

Sehr geehrte Frau Arch. DI Lechner,
Sie beschäftigen sich dankenswerterweise in Ihrem Beitrag mit der ersten öffentlichen Sitzung des Beirates für Bürgerbeteiligung, was uns zeigt, dass Sie Interesse an den Anliegen der Grazer Bürger haben - besten Dank dafür!
Einige Fakten zur Erklärung und auch zur Richtigstellung möchte ich gerne anführen:
Ein kritischer Punkt in Ihrem Beitrag ist, dass zu wenig zur Einbindung von jüngeren Bürgerinnen und Bürgern getan wird. Es gehört nicht zu den unmittelbaren Aufgaben des Beirates, sich darum zu kümmern, was aber natürlich nicht heißt, dass er nicht hocherfreut über ein Engagement derselben wäre. Auf Facebook und Twitter oder dergleichen Plattformen, wie gefordert, präsent zu sein, wäre ein willkommener Beitrag von und für interessierte jüngere Bürger. Wenn Herr Ing. Berger um das Bemühen dieser „Jüngeren“ lediglich anführt, die Kinderbürgermeister eingeladen zu haben, so entspricht das als Beispiel einer angemessenen knappen Antwort in diesem Rahmen. Wenn Sie hingegen Einsicht nehmen in die Arbeitsgruppen der Gemeinschaft von „MEHR Zeit für Graz“, die eng mit der Tätigkeit des Beirates verbunden ist, werden Sie entdecken, dass es durchaus auch Berufstätige gibt, die sich neben Broterwerb, Familiengründung und Karriereplanung noch die Zeit nehmen, freiwillig und ehrenamtlich mitzuwirken.
Die angesprochene Forderung nach mehr „direkter Demokratie“ ist berechtigt und die Mitarbeit bei der Erstellung strukturierter, verbindlicher Leitlinien für demokratische BürgerInnenbeteiligung in einer repräsentativen Demokratie gehört zu den vordringlichsten Aufgaben des Beirates. Wer sich dafür interessiert und sich aktiv einbringen will, ist herzlich eingeladen, sich unter www.mehrzeitfuergraz.at zu informieren. Hier ist auch die bisherige Tätigkeit des Beirates abrufbar.
Meiner persönlichen Meinung nach ist Information nicht nur eine Bring- sondern auch eine Holschuld. Und wenn sich die Jugend mit zwei Stimmen bei der gegenständlichen Veranstaltung gemeldet und größtenteils vorher, wie Sie erwähnen, schon während des Referates den Saal verlassen hat, muss an dem ernsthaften Vorhaben zur Mitarbeit Zweifel angemeldet werden. Wenn auch aus oben genannten Gründen verständlich.
Ihren Beitrag schließen Sie mit einem von Bürgermeister Nagl vorgebrachten Zitat und empfehlen damit dem Bürgerbeirat zur Themenfindung für die öffentliche Beiratssitzung ziemlich hart, dafür „dem Volk aufs Maul zu schauen“. Abgesehen davon, dass der Beirat seit zwei Jahren fast nichts anderes tut, als eben das zu tun durch die intensive Beschäftigung mit den Wünschen aus dem städtischen BürgerInnenbeteiligungsprojekt „Zeit für Graz“, obliegt diese Themenfindung nicht dem Bürgerbeirat allein. Und es war (siehe Wortprotokoll der Veranstaltung) auch nicht die Ideenarmut, sondern die mangelnde Übereinstimmung zu einem Thema, welches Bürger „hinter dem Ofen hervorlocken“ soll, um bei Wortspielen zu bleiben.
„MEHR Zeit für Graz“ ist eine ehrenamtliche, überparteiliche Arbeitsgemeinschaft, die sich in enger Zusammenarbeit mit dem Beirat mit der Umsetzung der Handlungsempfehlungen und Leitprojekte aus der Planungswerkstatt „Zeit für Graz“ beschäftigt. Viele Ideen daraus dienen zur Hebung der Lebensqualität der Grazerinnen und Grazer und ließen sich mit der Kreativität planender Architekten bzw. Architektinnen gut vereinen. Dazu können unterstützende Kommentare von Ihrer Seite hilfreich sein.
Karin Steffen,
langjährige Aktivbürgerin in Graz

So. 08/01/2012 10:32 Permalink
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