Am Podium v.l.n.r.: Wojciech Czaja, Nadja Shah, Christian Pöhn, Thomas Malloth, Irene Prieler;
 Foto: Bernhard Wolf

©: Bundeskammer der ZiviltechnikerInnen Arch+Ing

Beruhigungspille mit Placeboeffekt, Mosaikstein einer ganzheitlichen Gebäudebewertung, ein Instrument 
zur Bewusstseinsbildung oder eine Komponente unter vielen: Der Energieausweis ist und bleibt trotz 
Neuerungen umstritten. Das bewies die 15. Veranstaltung einer Podiumsdiskussionsreihe der
 Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten zum Thema Nachhaltigkeit in Wien.

Am Podium saßen:
_ Christian Pöhn, MA 39, Prüf-, Überwachungs- und Zertifizierungsstelle der Stadt Wien
_ Nadja Shah, Geschäftsführerin der Österreichischen Mietervereinigung
_ Thomas Malloth, Fachverbandsobmann der Immobilien- und Vermögenstreuhänder
_ Irene Prieler, grundstein ARCHITEKTEN, Wien
Moderation:
Wojciech Czaja, Journalist

Seit Anfang Dezember 2012 ist das neue Energieausweis-Vorlage-Gesetz in Kraft. Der neue Energieausweis gibt detaillierter als das Vorgängermodell Auskunft über die energetische Qualität eines Gebäudes. ExpertInnen nahmen Stellung:

Christian Pöhn von der MA 39, Prüf-, Überwachungs- und Zertifizierungsstelle der Stadt Wien, versteht den Energieausweis als kleinen Mosaikstein einer ganzheitlichen Gebäudebewertung. Die EU Gebäuderichtlinie 2010 für energieeffiziente Gebäude (EPBD- 2010/Energy Performance Buildings Directive), auf der das neue österreichische Energieausweis-Vorlage-Gesetz fußt, wurde nachgeschärft. Ziel bis 2020 ist, u.a. nur mehr Niedrigstenergiegebäude im Neubau zu errichten und zukünftige Mindestanforderungen müssen den Grundsätzen der Kostenoptimalität entsprechen. Trotzdem ortet Pöhn ein Grundübel – nämlich, dass die Messmethode der Gesamtenergieeffizienz den einzelnen EU- Mitgliedstaaten überlassen sei. Der Vorteil der österreichischen Lösung sei, dass die Kennzahlen unterschiedliche Aspekte berücksichtigten: Wärmeschutz (HWB – Heizwärmebedarf), Ressourcenschonung (PEB – Primärenergiebedarf), Klimaschutz (CO2) und Energieeinsparung (fGEE – Gesamtenergieeffizienz-Faktor). Ziel sei nun, die Methodik zu vervollständigen, insbesondere hinsichtlich der Erträge und der Wirtschaftlichkeit. Wohnen müsse trotz der 2020-Vorgaben leistbar bleiben und „Wohnbauförderung für Sanierung und Neubau muss wieder ihrem ursprünglichen Zweck zugeführt werden“. Pöhn mutet den Menschen zu, sich mit den Kennzahlen auseinanderzusetzen und appelliert an die bewusstseinsbildende Wirkung des Energieausweises.

Irene Prieler (grundstein ARCHITEKTEN) beleuchtete den Energieausweis aus Sicht der Architekten. In der von ihr dargestellten Matrix zur Nachhaltigkeit von Gebäuden ist der Energieausweis nur eine Komponente von vielen. Sie nahm das Individuum und seine Lebensweise in die Pflicht. Prieler sieht im Energieausweis ein politisches Steuerungselement: „Er beeinflusst auch die Architektur und Gestaltweise.“ Sie fordert die Berücksichtigung alternativer und visionärer Konzepte im nachhaltigen Planen und Bauen und die Möglichkeit, diese überhaupt entwickeln zu können. Der Energieausweis sei dennoch ein kleiner Schritt, um Architektur in ihrer Gesamtheit zu betrachten.

Thomas Malloth, Fachverbandsobmann der Immobilien- und Vermögenstreuhänder, sieht im Energieausweis ein adäquates Mittel zur Bewusstseinsschaffung. Jedoch nur, wenn es gelinge, die primäre Botschaft zu vermitteln: die Kosten des Energieverbrauchs. Die Auswirkung des Energieausweises auf den Markt sei eine Verschärfung der Wertestruktur zwischen energetisch optimierten und nicht optimierten Immobilien. „Am Markt der 1970er wurde für den Durchschnitt produziert und die Qualität der Wohnungen war sehr ähnlich. Heute ist die Produktion für den Durchschnitt wesentlich kleiner geworden, und Instrumente wie z.B. der Energieausweis trennen die Spreu vom Weizen.“ Malloth stellte den Gesamtpreis des Wohnens in Frage und sieht keine rechtspolitische Aussage, welche Kosten sich darin wieder finden müssen. Er wünscht sich einen Wandel von der ausschließlichen Betrachtung der Investitionskosten hin zu einem Fokus auf die Betriebs- und Lebenszykluskosten. Bei der Miete sei dementsprechend auch der Gesamtpreis wichtig. Dabei warnte er vor dem Diktat des billigsten Preises, um Wertunterschiede bei optimierten Gebäuden sichtbar zu machen. Den Energieausweis erachtet Malloth hier als bedeutungsvolles Mittel.

Einen Kontrapunkt liefert die Geschäftsführerin der Österreichischen Mietervereinigung Nadja Shah. Sie sei keine Befürworterin des Energieausweises. Die Praxis zeige keine Auswirkung auf Miet- und Kaufentscheidungen; die Begrifflichkeiten des Energieausweises sowie die Kennzahlen seien nicht verständlich – der Konsument könne somit nicht Zielgruppe sein. „Energie ist billig. Ich fürchte, nur über den Energiepreis kann ein Bewusstsein geschaffen werden. Erst wenn die Kosten für Energie in einem völlig anderen Verhältnis zur Miete stehen, dann wird sich das Entscheidungsverhalten ändern.“ In Liegenschaftsbewertungen gehe laut Shah die höhere Qualität von energetisch sinnvoll errichteten bzw. sanierten Gebäuden nicht ein. Die Methode des Ertragswertverfahrens sehe keine Berücksichtigung energetischer Qualität von Gebäuden vor. Auch in der Frage der Finanzierung habe energetisches Bauen und Sanieren keine Vorteile, die Zinshöhe bleibe immer gleich.

Vom Terminus technicus
Die DiskutantInnen waren sich einig, dass für eine Bewusstseinsschaffung zukünftig die Werte des Energieausweises anschaulicher dargestellt werden müssen. Den Menschen müsse ermöglicht werden, ein Gefühl für die Größenordungen zu bekommen und einen Bezug zum eigenen Verbrauch. Die Meinungen zu einer verbrauchsabhängigen Darstellung liefen jedoch auseinander: „Die Menschen müssen erkennen können, wie sich ihr Verhalten in Kosten niederschlägt“, befürwortet Malloth einen bedarfsorientierten Ansatz. Die Werte des Energieausweises seien als Richtwert zu verstehen, denn die tatsächlichen Werte weichen davon oft ab. Trotz der gewährrechlichten Bedeutung für die Richtigkeit des Energieausweises, stecke ein Strafsystem bei falscher oder keiner Ausstellung des Energieausweises in der Umsetzungsphase. Die PodiumsteilnehmerInnen waren sich einig, dass Anreizmodelle für energetisches Planen und Bauen der richtige Weg und einem Bestrafungsmodell vorzuziehen seien.

Föderalismus bis Frustration
Publikumsfragen waren, wie die Kennzahlen des Energieausweises in die Förderrichtlinien von Bund und Ländern sowie in die Kreditvergabe einbezogen werden könnten. Bundeseinheitliche Grundsätze, die länderspezifisch umgesetzt werden, verkomplizieren die Förderdebatte. Weshalb Förderungen unterschiedlich seien, wisse Pöhn nicht, die Unterschiede hätten jedoch manchmal sogar positive Seiten. Wie die Werte des Energieausweises bei der Kreditvergabe berücksichtigt werden könnten, ist für Nadja Shah ein zu kleiner Ansatz. Sie fordert eine neue Betriebswirtschaftslehre, die nicht einer geschädigten Umwelt, sondern der Umwelt an sich einen Wert zuspricht.

Verwirklichung von Utopien
Die Aufgabe von Fachleuten sei es, Visionen zu entwickeln, sagte Architektin Prieler. Technologische Lösungen stehen bereit, es benötige jedoch politische Rahmenbedingungen und die Finanzierung von Demonstrationsprojekten. Der Energieausweis sei zwar erst relativ kurz am Markt, die Menschen werden sich jedoch daran gewöhnen. Immobilieninserate werden in Zukunft mit anschaulich dargestellten Energieeffizienz-Kennzahlen geschaltet werden. Um Neubauten oder Sanierungen zu realisieren, müssten Architekten und Ziviltechniker ohnedies gemeinsam mit Auftraggebern eine Strategie entwerfen, um ein dem Budget entsprechendes Ziel stecken zu können. „Manche Leute hätten gern den Porsche, wenn sie nur den VW Golf bezahlen können. Jeder will das Beste vom Besten und nur mit einem guten und qualifizierten Team kann man gemeinsam für die stark divergierenden Anforderungen von Käufern und Mietern Lösungen finden.“

Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+