09/11/2018

Phantome der Wirklichkeit

Emil Gruber zur Ausstellung
Congo Stars.

Zu sehen bis 27.01.2019 im
Kunsthaus Graz

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09/11/2018

Congo Stars, Ausstellungsansicht, Kunsthaus Graz, bis 27. Jänner 2019 (Bild 1)

©: Emil Gruber

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Ville Fantôme, Phantom Stadt, nannte Bodys Isek Kingelez eines seiner flamboyanten Tableaus einer Stadt, die, wenn sie je erbaut worden wäre, Las Vegas wie ein walisisches Bergarbeiterdorf ausschauen hätte lassen.
Der 2015 gestorbene kongolesische Bildhauer wurde 2002 einem europäischen Publikum bekannt, als bei der Documenta 11 eines seiner farbenfrohen, aus allen möglichen Materialien und Gebrauchsutensilien zusammengefügten Modelle, gezeigt wurde.
In Congo Stars, der aktuellen Ausstellung im Kunsthaus Graz, sind einige wunderbare Beispiele aus dem Werk von Kingelez zu sehen. 

Ein Phantom ist im Regelfall etwas, das nur in der Fantasie existiert, das für den Großteil etwas Unsichtbares, nicht Existentes ist. Afrikanische Kunst hat etwas von diesem Phantomhaften. Überlagert vom Konfliktreichtum des Kontinents, der Gier nach Bodenschätzen, der Angst vor Migration und den Klischees von Safaris und wilder Natur in Vollendung, erschließt sich das reichhaltige Repertoire afrikanischer Künstler und Künstlerinnen, wenn diese in ihrem Land bleiben, nur wenigen aufgeschlossenen Weltkunstinteressierten.
Sieht man vom Sammeln ethnografischer Gegenstände, bei denen meistens Material seiner Funktion entledigt und zu Kunst ummontiert wurde, und von zeitgenössischer Musik ab, die teilweise sogar im Westen Massentauglichkeit erreichte, herrscht große Leere.

Nigeria kennen als einen der drei größten Filmproduzenten der Welt nur Filmfestivalgeher. Die überaus spannende Fotoszene in vielen afrikanischen Staaten bleibt ein dunkler Fleck. Der Bildenden Kunst ergeht es nicht anders, obwohl schon früh von Picasso bis Max Ernst europäische Kunstgötter sich von afrikanischen Skulpturen, Textilien oder Alltagsinstrumenten inspirieren haben lassen. Umso wichtiger ist es, den Kunstschatztruhen Afrikas nun endlich den Platz im Kanon zu geben, der ihnen schon lange zusteht.

Congo Stars öffnet eines dieser prall gefüllten Behältnisse, diesmal das der Demokratischen Republik Kongo. Die Ausstellung bringt rund 70 Künstlerinnen und Künstler, die in ihrer Heimat aber auch im Ausland leben, zusammen.
Als Gerüst dafür dient das Buch Tram 83 des in Graz lebenden Schriftstellers Fiston Mwanza Mujila. Er erzählt darin von einem nicht existenten Ort, der dennoch als ein lebendes Phantom, als eine Spiegelung menschlichen Zusammenlebens, überall auftauchen könnte.

In der Ausstellung selbst definieren Räume mit den Begriffen Straße, Bar, Heim, Ausbeutung, Spiritualität und Stars sechs Kapitel, die manches auf den ersten Blick trivial Wirkendes in einen gesellschaftlichen Kontext rücken, der die politische Dimension dahinter sichtbar macht. Zwei quer durch die Schaufläche laufende Timelines – einmal mit rein kongolesischer Geschichte, einmal mit österreichischen Bezügen zum Kongo – sind ein adäquates Hilfsmittel, um Inhalte der Exponate in einem größeren Ganzen zu sehen. So fällt auf, dass seit den 1960ern immer wieder ein künstlerischer Austausch zwischen Österreich und dem Kongo stattfand, der aber auch wieder durch politische Konflikte vor Ort unterbrochen wurde.

Günther Holler-Schuster, einer der fünf KuratorInnen, davon drei aus dem Kongo, wies auf zwei recht interessante Aspekte hin, die in der Ausstellung nicht so deutlich herausgearbeitet wurden. Einmal sind – und das ist durchaus auch wieder eine Analogie zum Sammeln von ethnografischem Material – viele der zu sehenden Arbeiten nicht unter einem Aspekt „Kunst“ entstanden. Gemälde werden oft als Gesprächsbasis für gesellschaftspolitische Themen angeschafft. Sie hängen in Vorräumen, gleich beim Eingang, um sofort eine Diskussionsgrundlage zu haben, wenn Gäste das Zuhause betreten. Dabei finden sich immer wieder Darstellungen, die explizit auch Thematiken wie Gewalt und/oder Sexualität zeigen. War nach längerer Zeit der Gesprächsstoff ausgereizt, wurde das Bild abgenommen, oftmals entsorgt und durch ein neues ersetzt.
Eine wichtige Aufgabe bleibt der Gebrauchskunst beim persönlichen Porträt. Ein Passbild wird zur Vorlage für eine Auftragsmalerei. Der Grund ist simpel. Die fotografische Vergrößerung ist meistens teurer.

Congo Stars zeigt nur eine Handvoll Frauen als Künstlerinnen. Nicht, dass dies so beabsichtigt war, erläuterte Holler-Schuster. Frauen sind zwar die, die im Hintergrund das tägliche Leben auf Schiene halten. Die Kunstszene im Kongo ist dagegen eine Männerbastion. Mehrere Versuche, an einzelne Künstlerinnen heranzukommen, scheiterten aus verschiedenen Gründen.
Allen Widerständen zum Trotz, kann eine der – trotz aller Tragik – poetischsten Arbeiten einer Künstlerin in Graz gesehen werden. Schon lange existiert in der Demokratischen Republik Kongo kein zusammenhängendes Verkehrsnetz mehr. Gosette Diakota Lubondo lässt in einen vor sich hin rostenden, ausrangiertem Eisenbahnwaggon noch einmal die Fiktion entstehen, hier reisen Menschen durch das Land. Mittels Doppelbelichtungen und Überblendungen werden Einrichtung und Passagiere zu Schemen – zu Phantomen der Wirklichkeit.

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Congo Stars
Kunsthaus Graz, bis 27. Jänner 2019

Kuratiert von:
Sammy Baloji, Bambi Ceuppens, Fiston Mwanza Mujila, Günther Holler-Schuster und Barbara Steiner

Im Rahmen des Festivals steirischer herbst 2018

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Bildunterschriften
1 _  Ausstellungsansicht
2 _  Hausmodell aus der Dynamic Africa Serie von Bodys Isek Kingelez
3 _  Manuva Mani:  Les viandes les plus preferées à Kinshasa
Das „am meisten bevorzugte“ Katzen- und Hundefleisch wird in diesem Restaurant angeboten. Ein Hinweis auf Armut und die untragbaren Zustände in der Hauptstadt der DR Kongo.
4 _  Wohnungsnot und damit verbunden die Auflösung von Anstand und Moral in Makala, einem der gefährlichen Bezirke Kinshasas
5 _  Diese Fußballmannschaft ist mit Papst Benedikt XVI als Tormann, Muhammar Gaddafi, Vladimir Putin, Barack Obama, Osama Bin Laden etc. sehr heterogen aufgestellt. Man beachte Silvio Berlusconi im Hintergrund bei seiner Lieblingsbeschäftigung.
6 _  Nagelfetische waren einmal wesentliche Instrumente der Rechtsordnung. Jeder eingeschlagene Nagel stand für einen abgeschlossenen Vertrag zweier Parteien. Bei Rechtsstreitigkeiten musste der Dorfälteste den richtigen Nagel wiederfinden und bis zu einer Lösung des Konfliktes entfernen. Dieser Fetisch hier ist im Raumfahrtzeitalter angekommen.
7 _  Gosette Diakota Lubondo:  The memory of things thematisiert den fragmentarischen öffentlichen Verkehr im Kongo
8 _  Der Tropenmediziner Armin Prinz war zusätzlich zu seinem beruflichen Interesse für traditionelle Medizin auch einer der wichtigsten Sammler von populärer kongolesischer Malerei. Immer wieder wurden Motive für die Einladungen zu den von ihm gegründeten Reisemedzinischen Tagungen verwendet. Prinz starb mitten in den Vorbereitungen zu Congo Stars. Die Ausstellung ist seinem Gedenken gewidmet.
9 _  Sapeurs sind Männer die Markenkleidung tragen und sich miteinander im Paradieren und Gut Aussehen messen. Es geht jedoch dabei nicht um ein Nachahmen westlichen Konsumverhaltens. Der Sapeur protestiert in dieser oftmals lange zusammengesparten Kleidung gegen Unterdrückung. Unter Mobutu war das Tragen von Anzug und Krawatte verboten.

Anonymous

Bei meinem Ausstellungsbesuchs wurde ich von einer zunehmenden Beschämung darüber ergriffen, dass wir generell unsere Augen vor dem Elend in Afrika verschließen. Wer es bis dahin noch nicht bedacht hat, wird spätestens in der Ausstellung damit konfrontiert, dass wir alle wenigstens durch unser Konsumverhalten die Ausbeutung im Kongo, in Afrika überhaupt, das ja reich an Bodenschätzen ist, vorantreiben, dass wir den Menschen dort durch den von uns verursachten Klimawandel, ihre Lebensgrundlage nachhaltig entziehen. Und anstatt Verantwortung dafür zu übernehmen, lassen wir jährlich 10.000de Flüchtende im Mittelmeer ertrinken, weil wir sie an unserem Kuchen nicht mitnaschen lassen wollen,... Das blutige Mittelmeer, an dessen Küsten wir weiter urlauben, als wäre nichts geschehen....
Wie werden wir uns der nächsten oder übernächsten Generation gegenüber rechtfertigen, wenn wir gefragt werden, was wir dagegen unternommen haben oder warum wir eben nichts unternommen haben?
...das waren meine Gedanken, als ich die Ausstellung am Freitag verließ...

So. 11/11/2018 10:03 Permalink

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