20/12/2016

Rede von 
Mathias Grilj zur Eröffnung der Ausstellung BEWEIS DER ENTSCHEIDUNGEN – 33 Architekturprojekte – ein Werkauszug, 2003.

Privatissimum vom Grilj

Jeden 3. Dienstag im Monat

Zur Person
Mathias Grilj (* Kamnik, SLO) lebt als freier Journalist und Schriftsteller in Graz.

20/12/2016
©: Mathias Grilj

Zu Werner und Gerald Wratschko

Ich bin so etwas wie ein Kurator der Galerie der Arbeiterkammer Steiermark. Nun blicke ich mit einer gewissen Sentimetalität auf die Ausstellung von Werner und Gerald Wratschko zurück und erinnere mich, dass für diese Schau Stundenten aus Wien und Linz angereist kamen. Bei der Vernissage habe ich ein paar Worte gesagt. Diese: 

"Architektur ist – und sie ähnelt darin dem Fußball – Architektur ist, wo sich jeder auskennt. Oder zumindest eine Meinung hat. Schließlich wohnen wir alle in Architektur, leben und bewegen uns dazwischen. Und sogar, wer unter einer Brücke wohnt, hat eine pragmatische und präzise Vorstellung von der Sache: Gute Brückenarchitektur ist, wenn es im Uferbereich windgeschützte Stellen gibt. Basta.
Ich stelle mir darüber hinaus vor, dass es in all den komplexen Schnittstellen von Ökonomie und Politik, wie die auch beschaffen und beisammen sein mögen, von pragmatisiert dumpfer Stadtplanung und erfahrungsgemäß noch dumpferer Bürokratie, von ästhetischen und praktischen Anforderungen sowie den wetterwendischen Wünschen der Auftraggeber nicht ganz einfach sein dürfte, Architekt zu sein. 
Zudem sagt George Sand bekanntlich: Ärzte können ihre Fehler begraben, aber ein Architekt kann seinen Kunden nur raten, Efeu zu pflanzen. 
Die Künstler sagen dir: Naja, ein Künstler bist du eigentlich nicht. 
Der Baumeister sagt: Naja, von Statik hast du nicht übertrieben viel Ahnung, so als Künstler. 
Der Polier, auf ein Detail angesprochen, sagt: Siiicher geht das. Um nach zwei Wochen zu sagen: Jeeeder hat gleich sehen können, dass sowas nicht geht. 
Die Anrainer sagen: Aber so wie der Fritz Hundertwasser gebaut hat, das hat schon irgendwie was Modernes, oder? 
Und der Bauherr sagt: Ähm, das mit dem Honorar verzögert sich etwas. Aber ein alter Schulfreund von mir ist verheiratet mit der Pedikeurin vom Pudel von der Frau von einem Bankdirektor – da geht sicher was. 
Zuletzt sagen die Mitarbeiter im Büro: Sicher leben wir von der Liebe. Aber entschuldige, wir müssen auch Miete zahlen.
Zwischen all diesen Andeutungen also ist man Architekt.
Wie tut man da? Was kommt dabei heraus? Somit zum Grazer Architektenduo Werner und Gerald Wratschko. Die beiden sind fleißig. Das Duo hat bislang Einfamilienhäuser ebenso gebaut wie Bürogebäude, eine Turnhalle ebenso wie einen Kindergarten oder ein Hallenbad. Und es wurde für seine Werke mehrfach ausgezeichnet. So ehrenhaft und nützlich solche Auszeichnungen sind, möchte ich etwas anmerken, von dem ich behaupte, dass es der Haltung von Werner und Gerald Wratschko entspricht: Es reicht nicht, der beste zu sein. Das ist relativ. Du musst wirklich gut sein, auch wenn du damit nicht zum Zug kommen solltest. Das bist du dir selber schuldig, das verantwortest du dem eignen Wissen und Gewissen. 
Gegenteilige und abschreckende Beispiele haben wir in dieser Stadt nicht erst seit dem signifikanten Kunsthaus. Laut Jury sei dies die beste Lösung gewesen. Auch wenn sie die Vorgaben der Auftraggeber wie nichts ins Nichts weggewischt hat. Aha, so geht Jury. Danke für die Aufklärung. Ob die Lösung wirklich gut ist, werde ich unbeirrt weiterhin – und zwar in vielerlei Hinsicht – bezweifeln. Aber im Moment geht es mir ja nicht um Bluff und Schnickschnack, es geht mir um Architektur. Da ist ein Wert. Architektur okkupiert Land und Auge und Gefühl. Das ist ihre Pracht, das ist ihr Stolz, das ist ihre Verantwortung.
Wovon wir uns eindrucksvoll und sachlich überzeugen können, ist, wie gewissen- und wie ernsthaft, wie verantwortungsvoll und liebesbewusst die Brüder Wratschko ihre Pflicht wahrnehmen. Ihre Architektur ist souverän – und plustert sich nie auf. Sie ist originell und pfiffig und elegant – und dabei ohne Eitelkeit und Manierismus. Sie ist stolz und selbstbewusst – und dabei stets im Dienste der Menschen, für die sie geschaffen ist. Die Qualität der Wratschkos ist augenscheinlich und nachvollziehbar: Sie vermögen es, Eigenständigkeit und Harmonie zu einer ebenso klaren wie in ihrer Schlichtheit verblüffenden Symbiose zu gestalten. Und – das klingt heutzutag geradezu reaktionär – sie wollen, dass sich die Leute wohlfühlen. Sowohl die Kleinen im Kindergarten, als auch die Angestellten in den Bürogebäuden, als auch die Familien in ihrem Nest.
Die Neugier dieser Galerie gilt dem Prozess, dem Werden, dem Entstehen. Bei der heutigen Ausstellung wird nachvollziehbar, wie jene Gebilde wachsen, die dann von vieler Hände Arbeit gebaut und verwirklicht werden, alles, wo man nachher wohnt und arbeitet und sich bewegt und lebt. Und dabei wird auch die Vorgangsweise der Gebrüder Wratschko deutlich: Es geht ihnen nicht um den genialen Geistesblitz, sie wollen – und sei es noch so umständlich und langwierig – alle Möglichkeiten und Optionen ausloten, ausprobieren, auf ihre Tauglichkeit prüfen. Entwerfen besteht zu einem Gutteil aus Verwerfen. Und dann noch einmal. Und noch einmal. Und wieder von vorn. Angesichts der affichierten Blätter verstehen wir die Rechnung, die Thomas Mann im Hinblick auf das so genannte kreative Schaffen aufgestellt hat: 10 % Inspiration, 90 % Transpiration. 
Es ist auch so etwas wie einen Einblick in die Geschichte eines Architekturbüros. Während heute das meiste natürlich der Computer nützlich und praktisch besorgt, es in all den Darstellungen aus allen Perspektiven und Bewegungen zeigt, haben die beiden ihre Pläne und Blätter noch von Hand machen gelernt. Damals, als eines der wichtigsten Arbeitsgeräte die Rasierklinge war, mit der man Patzer abgebschabt hat. Diese Blätter – sie erinnern mich, verzeihen Sie bitte das Pathetische, an Skizzen von Leonardo – sie haben Patina und Würde. Die Wratschkos gehen heute noch an alle ihre Werke mit der Hand heran, mit der Zeichnung, mit der Bleistiftmine von 6B. Ganz im Sinne eines Yona Friedmann, der gemeint hat: „Der Computer liefert die beste Entscheidung für den Computer, aber nicht die beste Entscheidung für wirkliche Menschen.“ Ich glaube, die bedenken mit sehr viel Herz auch den Satz von Jean-Philippe Vasall: „Das wichtigste Werkzeug eines Architekten ist sein Kopf.“
Wenn nun in allerjüngster Zeit landauf-landab soviel die salbenvolle Rede geht vom kreativen Potenzial in diesem Lande... Da, bitte, steht es. Es will nur gebraucht werden. Also aus mit dem „Gagaga“ und her mit den Aufträgen! Aber subito!
Was ich bei den Vorbereitungen für dies Ausstellung auch lernen habe können, ist zwar keine wissenschaftliche Kategorie, aber eine menschliche: Architektur – zumal die von Werner und Gerald Wratschko – ist schön. Und ohne Schönheit, wie wir wissen, geht die Welt den Bach hinunter. 
Euch beiden also nicht Efeu, sondern Lorbeer und Dank."

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