18/10/2016

Diese Hände da vor mir ...

Privatissimum vom Grilj

Jeden 3. Dienstag im Monat

Zur Person
Mathias Grilj (* Kamnik, SLO) lebt als freier Journalist und Schriftsteller in Graz.

18/10/2016
©: Mathias Grilj

Andere Hand, anderes Glück.

Die Hand muss klüger sein als die Zunge.

Milde Hand, starke Hand.

Man soll nicht auf die Gabe sehen,
sondern auf die Hand.

Ein guter Kopf hat hundert Hände.

Mit Händen greifen macht glauben.

Wer nach dem Schatten greift,
hat nichts in der Hand.

(Volksmund)

Diese Hände da vor mir...
(ein paar kurze Blicke)

... liegen jetzt wie Werkzeug, mit dem ich nichts anzufangen weiß, auf dem Tisch, so nah und so fremd. Aber seit es mich gibt, sind es meine Hände.
... haben Zeichnungen gemacht. Wie viele? Weiß ich nicht. Und? Naja. Einige sind erschienen. Hunderte waren in einem Zeichentrickfilm.
... haben Herzmassagen gemacht, manchmal erfolgreich – wie damals in Thal bei dem Kind, ich habe geweint vor Glück; manchmal nicht – wie damals bei dem alten Mann, dem meine Hände die Rippen gebrochen haben, das hat aber auch nicht geholfen. Ich habe mich dann besoffen.
... sind manchmal so kalt, dass es mich selber schreckt.
... haben tausende Windeln gewechselt und tausende Weihnachtsgeschenke eingewickelt und tausende Jausenbrote gerichtet und tausende Artikel geschrieben und Milliarden Haare gestreichelt und liegen jetzt so seltsam da.
... erinnern mich an andere Hände und Berührungen. Und erinnern daran, wen ich nicht berührt habe.
... schreiben Liebesbriefe.
... haben andere Hände gewaschen. Und nicht nur Hände.
... haben Hendl aufgespießt und papriziert, Fabrikfenster geputzt, in der Herrengasse mit Kreide Die Lesende von Fragonard auf den Asphalt geschmiert, am Güterbahnhof Waschmaschinen und Traktorreifen verladen und dem zittrigen alten Säufer die Bierflasche aufgemacht.
... sind dort gelegen, wo es Schmerzen gab, und haben gut getan.
... haben neulich Gitarrensaiten aufgezogen, aber verkehrt, wie für einen Linkshänder, und waren dann bei C-Dur etwas durcheinander. Da stimmt was nicht. Eben. Das Leben.
... haben eines Nachts zwei Männer, die mich überfallen haben, niedergeschlagen. Ist aber schon länger her. Damals war ich von meiner eigenen Schnelligkeit selber verblüfft.
... haben nach Sonnenuntergang die Tomaten und Gurken und den Paprika gegossen, und die Erde im Garten hat dazu fast wörtlich „gluck-gluck“ gesagt.
... waren da, als die Kinder schwimmen gelernt haben.
... waren immer so selbstverständlich vorhanden, ganz egal, was man getan hat. Geschirr abtrocknen, Tisch decken, Servietten falten, den Gästen den Mantel abnehmen, die Kerzen anzünden. Etc. Man sieht den Händen ihre vielen Geschichten gar nicht an.
... sehen den Händen meines Vaters immer ähnlicher. Dabei hatte der zu fast jedem seiner verkrümmten Finger eine eigene Anekdote, wie ich sie nicht habe: „Das da war beim Fußball, aber ohne böse Absicht. Das ist vom Gestapo-Verhör. Das da war beim Holzhacken. Der Kleine da war beim Fahrradunfall dabei. Das da war ein blöder ungarischer Soldat mit seinem Stiefel. Und das war dann auf der Baustelle, als der Tram heruntergekracht ist. Und warum der da so verbogen ist, weiß ich gar nicht mehr.“
... tragen einen goldenen Ring, dazu gibt es auch Geschichte und Geschichten.
... denen sieht man ihr Alter an. Das erstaunt einen manchmal.
... diese Hände können sich erinnern und erzählen Geschichten.

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