15/03/2016

Privatissimum vom Grilj


Jeden 3. Dienstag im Monat

Zur Person
Mathias Grilj (* Kamnik, SLO) lebt als freier Journalist und Schriftsteller in Graz.

15/03/2016
©: Mathias Grilj

Denn das Berühren selbst ist unersetzlich.
Bert Brecht

Gute Qualität, gutes Preisleistungsverhältnis,
Versandkosten ok, für mich persönlich ein wenig
zu groß, insgesamt in Ordnung, werde gerne
wieder bestellen.
Internet-Produktbeurteilung von Renate

Was nicht religiös ist, ist uninteressant.
Nicolas Gomez Davila

Alt werden bedeutet, ein Fremder zu werden.
Harald Martenstein

Love is such an easy game to play.
Paul McCartney


GESCHICHTE IN FESTHOLZ

Ich schreibe seit Jahren an diesem Schreibtisch da, aber ich habe noch nie über ihn geschrieben. Er kriegt immer wieder ein paar neue Brandflecken, von den Zigaretten, drüben hat sich auch Tinte festgemacht, als wollte sie Kontinente erfinden und behaupten, und da, wo das Holz abgesplittert ist, habe ich die Ritzen unbeholfen mit Wachs ausgegossen.
Jedenfall steht er da wie eine Festung. Mein Schreibtisch.
Vollholz. 19. Jahrhundert, solide Arbeit guter Handwerker, links und rechts die Ladenblöcke, fast einen Meter tief. Mittig eine breite Lade. Und darin alles, was ich nicht finde, wenn ich es gerade brauche. Sonst immer.
Erstmals habe ich mit diesem schweren Schreibtisch zu tun gehabt, als ich eines Winters ein Theaterstück geprobt habe. Das war dann im Forum Stadtpark und ein ziemliches Fiasko. Erfolg bei der Kritik, aber nicht beim Volk. Dabei ist es ein schönes Stück. Es handelt von Schönheit und wie man sie sieht. Oder nicht.
Jedenfalls hat uns damals Peter Gellner, der Künstler, sein Atelier als Proberaum überlassen, eine höllisch kalte Hütte, darin lehnten aufgezogene Leinwände, standen Berge von Büchern, um die man sich beim Gehen winden durfte, und thronte mittig eben dieser eine Schreibtisch. Ich weiß nicht, warum er so etwas Besonderes war. Er stand halt da. Ein Beweis für Stabilität, an der es uns gemangelt hat in dieser Phase des ständigen Zweifels? 
Ich kam dort jeden Morgen herein, heizte mit klammen Fingern den Ofen, und als der bullerte und es vormittags schon ziemlich warm war, kamen die Schauspieler und sagten „Brrr, arschkalt! Da kann man unmöglich proben.“
Ich umarmte sie und bezog Stellung hinter dem wuchtigen Schreibtisch, wie er da im Atelier stand, als wollte er mich verteidigen, und sagte: „Zieht euch bitte aus, wir fangen an!“ Dann haben sie mir beim Proben en passant die vollgerotzten Taschentücher auf den Tisch geschmissen. Ja, ich kann Zeichen lesen.
Und als zwei, drei Jahre später Peter wieder zufällig kein Geld hat, ruft er mich an und sagt: „Dir hat der Schreibtisch damals so gut gefallen, oder?“ Er verkauft ihn.
Ich gebe ihm sofort fünf Tausender, er hat mit nur einem gerechnet, und sage, er könne ihn immer zurücknehmen, dieser Schreibtisch sei ja etwas Heiliges. „Natürlich“, sagt er und lacht. Tags darauf haben wir ihn heraufgeschleppt.
Ich weiß nicht mehr, wie es damals gekommen ist, in einem Schanigarten, dass ich mit Christine Frisinghelli, als sie Intendantin des steirischen herbst war und ich unter ihr gedient habe, auf diesen Schreibtisch zu reden gekommen bin. Sie fragt jedenfalls: „Was? Der steht bei dir? Und hast du schon den Mechanismus bei der Geheimlade entdeckt?“ Und dann lacht sie.
Die Geschichte ist: das war einmal ihr Schreibtisch, sie hat ihn irgendwann dem Gellner geschenkt, einfach so. Und jetzt ist das Möbel da und wird von mir berührt wie etwas, das man liebt. Man gewöhnt sich aneinander. Einmal, als ich jung war, habe ich in einem Theatertext geschrieben: „Liebe wird aus Nähe und Gewohnheit.“ An diesem Schreibtisch überprüfe ich das damalige Postulat auf seine Brauchbarkeit. Und höre seinen Geschichten zu. Oder dichte sie ihm an.
Und Peter ist inzwischen tot.

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