17/11/2020

Kolumne
Schau doch! 01

von Peter Laukhardt

Ein „Dorf“ in der Stadt

Mit der Kolumne Schau doch! zeigt der Autor auf, dass es im Grazer Stadtraum auch abseits des Weltkulturerbes unersetzliches Bauerbe zu entdecken und zu schützen gibt.

Schau doch! erscheint jeden dritten Dienstag im Monat auf GAT.

17/11/2020

(1) Föllinger Straße 136, charakteristischer Erzherzog-Johann-Giebel bzw. -Portikus

©: Peter Laukhardt

(2) Flächenwidmungsplan Graz, Detail

©: Peter Laukhardt

(3) Föllinger Straße 28, Eingang mit Gusseisenglocke

©: Peter Laukhardt

(4) Neubauten – Bebauungskonzept, überarbeitet vom Autor

©: Peter Laukhardt

(5) Föllinger Straße 28, Straßenansicht

©: Peter Laukhardt

(6) Föllinger Straße, Neubauten

©: Peter Laukhardt

Ein Dorf in der Stadt

Es sind schöne Erinnerungen an einen viel zu früh verstorbenen gleichnamigen Schulkollegen und lieben Freund. Es war ein sonniger, aber kalter Wintertag. An einem zugefrorenen Teich versuchten wir, mit dicken Ästen und einem Holzkeil Eishockey zu improvisieren. Die Fläche war sehr klein, mehr als zwei Buben hätten sich darauf nicht wirklich flott bewegen können. Bald froren Hände und Beine, auch am Hosenboden wurde es kaltnass. Also, wärmen! Kein Problem, gleich über der schmalen Straße ein Zaun, wir öffneten das Gartentor, machten noch ein paar Schritte, stiegen ein paar Stufen hoch, klopften an eine massive Tür aus Holz. Die Mutter des Freundes öffnete mit einem Lächeln und bald sitzen wir mit roten Gesichtern bei einem heißen aromatischen Tee in Fühlweite eines wohl temperierten Kachelofens. Das große Zimmer schmückte ein Luster aus einem großen Wagenrad, darauf waren Glühbirnen montiert. Wenn ich daran denke, glaube ich, dass es im Advent war. Sicher ein Sonntag.
Ich habe vergessen, wie wir hingekommen sind, das war damals für Buben kein Thema. Die ganze Stadt lag ja in unserem Einzugsbereich. Da wir beide im Herz-Jesu-Viertel wohnten, muss die Tramway im Spiel gewesen sein. Von der Endstation war es für uns damals nur ein Katzensprung bis in das Dorf, das eigentlich keines war. Es gab zwar ein Wirtshaus, das lag aber an der Landstraße, von der die Dorfstraße abzweigte. Zur Schule war es weit, aber für damals keine Entfernung. Kirche hatte das Dorf eigentlich keine eigene, aber halt, das stimmt so nicht. Mir fällt da gerade ein, dass der Grazer Bezirk Mariatrost einst so hieß wie ein Teil davon heute: Fölling. Und die heutige Basilika gehörte dazu. Wohl in Unkenntnis seiner Bedeutung bezeichnet das Graz-Lexikon Fölling heute einfach als Gegend.

Das -ing des Dorfnamens könnte auf eine frühe bairische Besiedlung hinweisen, im Urkundenbuch von Zahn heißt es 1895 noch Felling. Im Rationarium oder Urbar, das König Ottokar II. von Böhmen für die Steiermark erstellen ließ, wird es schon 1265 genannt, aber als Veling und Villa Velinch, also doch ein Dorf. Es musste damals dem Herzog der Steiermark dreizehn Schaff Hafer in das Marchfutteramt geliefert werden. Ottackeri de Gretz, Ottokar IV. von Graz, der letzte aus dem Geschlecht der Udalrichinger, die als Freie zu Ministerialen des Markgrafen wurden und als Burggrafen den Schloßberg für den Landesherrn verwalteten, besaß dort noch Lehensgüter.
Föll, Fell oder Vel ergibt zunächst keinen Sinn. Hat es etwa mit Fohlen zu tun? Auch heute sind hier mehr Pferde als Menschen zu sehen. Hier sagt das Graz-Lexikon aber: Die Bedeutung des Namens ist unklar; es kommt sowohl eine Herleitung von fel(w)ing = Siedlung bei den Weiden bzw. von felding = Ansiedlung auf freiem Feld als auch aus dem slawischen bela = weiß bzw. belica = Weißenbach in Frage. Lassen wir es dabei.

Warum ich Fölling so mag? Weil hier Menschen mit Herz und Erdverbundenheit verstanden haben, das Erbe ihrer Vorfahren oder Vorbesitzer zu bewahren. In dem kurzen Abschnitt der Föllinger Straße haben sich nicht nur vier alte Bauernhöfe erhalten, sie sind dazu alle mit dem charakteristischen Erzherzog-Johann-Giebel bzw. -Portikus geziert. Einem selten gewordenen Accessoire aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, einer Empfehlung der von Erzherzog Johann gegründeten Landwirtschaftlichen Gesellschaft – entstanden, um eine bessere Erschließung der Bauernhäuser zu erreichen. In der nahen Mariatroster Straße 384 musste ein Portikus-Haus bereits einer Siedlung weichen.

Das schönste der Föllinger Bauernhäuser ist für mich natürlich das mit meinen Erinnerungen. (Bild 1) Das einfühlsam restaurierte Haupthaus mit seinem giebelgeschmückten Portikus, der großen Linde und dem alten Leiterwagerl in der Mitte der gepflegten Wirtschaftsgebäude, das alles gehört jetzt zu einem Pferde-Hof. Ein moderner Zubau aus Holz im Süden und Dachausbauten fügen sich in das Ensemble ein. Die Anlage ist eines der schönsten Beispiele bäuerlicher Baukultur im Grazer Raum und wäre meines Erachtens denkmalwürdig.  

Der zweite Grund für meine Begeisterung für Fölling ist der, dass es möglich war, der Grazer Stadtplanung bewusst zu machen, dass die Allgemeinheit hier einen Auftrag zu erfüllen hat; die Bewahrung alten Kulturguts. Bei der Überarbeitung des Flächenwidmungsplans der Stadt Graz ist es gelungen, dieses Fölling mit anderen Gegenden als Dorfgebiet zu implantieren. Zur Sicherheit gelang dasselbe beim Räumlichen Leitbild, allerdings nur für den Teil östlich der Straße. (Bild 2) Die Verordnung dazu sagt: Fortführung einer kleinteiligen Parzellierung bzw. des kleinteiligen Charakters, Fortführung des straßenraumbildenden Bebauungsprinzips, Proportionen und Maßstäblichkeit der Gebäude und Räume des jeweiligen Dorfgebiets sind aufzunehmen, Satteldach als vorrangige Dachform für Hauptgebäude.

Freude Nummer drei: Bei der Entwicklung des schon sehr heruntergekommenen Anwesens auf  Nr. 30 scheinen diese Grundsätze bereits ihre Feuertaufe bestanden zu haben. Das Haupthaus Nr. 28 mit dem Giebelvorbau, der schmiedeeisernen Glocke und der schönen alten Holztür bleibt erhalten, es zählte offenbar nicht zum Entwicklungsareal. (Bild 3)
An der Stelle eines kleinen, von vorne unansehnlichen Wirtschaftsgebäudes im Hof  entstand ein Familienhaus, das sich mit sechs gleichartigen Neubauten (1, 2 und 3 Garten-Wohnungen) den leicht abschüssigen Grund teilt. (Bild 4)
Was mich beeindruckt: das große L-förmige Stall- und Wirtschaftsgebäude an der Straße wurde nur im östlichsten Teil abgerissen, es dürfte nach Sanierung für Garagen oder Ahnliches genutzt werden. Ob es gelingen wird, dem Eck mit der pittoresken offenen Holzlaube und den Stadelluken darüber seinen Charakter einigermaßen zu erhalten, wird sich erst zeigen – es wird noch gebaut. (Bild 5) Leid tut es mir um die einem Kreuzstadel ähnlichen Nebengebäude und ein Stöckl mit Stadelluken im Hintergrund. Ob es nicht möglich gewesen wäre, ihre Grundstruktur für die Neubauten zu übernehmen? Immerhin wurde der Entwurf mit schwarzen Dächern nicht realisiert. Es sind rote Ziegel geworden, die schwarzen Solarplatten stören freilich. (Bild 6)

Fazit: Die Ausweisung Dorfgebiet hat dem schönen, kleinen Fölling und dem schönen, großen Graz ein Stück Baugeschichte bewahrt. Ob sich die neue Architektur hier gut eingefügt hat, lasse ich Befugtere entscheiden. Wie eine ungeordnete Bebauung aussieht, kann man allerdings knapp außerhalb der Zone sehen.
Jedenfalls ist die Gegend einen Ausflug wert. Also: Schau doch! Auch unter dem Link > grazerbe.at.

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