13/12/2022

Schau doch! 26
Durchgang verboten!?
Fall 2: Goltgasse und Keplerkeller

Die Kolumne Schau doch! von Peter Laukhardt erscheint jeden dritten Dienstag im Monat auf GAT und heute ausnahmsweise eine Woche früher.

13/12/2022

Bild 1: Goltgasse

©: Peter Laukhardt

Bild 2: Stempfergasse 6

©: Peter Laukhardt

Bild 3: Keplerkeller, Arkaden

©: Peter Laukhardt

Bild 4: Engegasse mit Goltgasse

©: Peter Laukhardt

Bild 5: Goltgasse von Südosten

©: Peter Laukhardt

Bild 6: Prokopigasse 14 mit Reiche

©: Peter Laukhardt

Bild 7: Prokopigasse 14, Reiche

©: Peter Laukhardt

Bild 8: Prokopigasse 16, Stiegenhaus

©: Peter Laukhardt

Zu den interessantesten Grazer Durchgängen zählen jene, die nicht, nicht mehr oder gerade nicht zugänglich sind. Dazu gehört der im Kern mittelalterliche Häuserkomplex zwischen Stempfergasse, Engegasse, Glockenspielplatz und Prokopigasse (Bild 1). Hier zeigt die Stadtverwaltung, dass sie nicht gewillt ist, die besonderen Schätze der Stadt freiwillig der Öffentlichkeit zu zeigen, Weltkulturerbe hin oder her.

Im Jahre 2001 hatte ich als Sachverständiger der ASVK einen Bauantrag zu begutachten, der von der damaligen Pächterin des „Keplerkellers“, Stempfergasse 6, ausging; sie hatte um Genehmigung zum Einbau einer Tür und eines Fensters zur nordöstlich anschließenden Reiche ersucht. Diese Idee habe ich tatkräftig und mit Erfolg unterstützt, hat doch dieses Gebäude auch die Hausnummer Prokopigasse 14. Es konnte so ein zusätzlicher Eingang zum Gastlokal geschaffen werden, was auch den feuerpolizeilichen Vorschriften zugutekam.

Kurz zur Baugeschichte: Das Haus Stempfergasse 6 – es steht unter Denkmalschutz – ist eine dreigeschossige Renaissanceanlage über mittelalterlicher Hofstätte, um 1560 unter Einschluss älterer Bausubstanz errichtet. Das vom Umbau betroffene Hinterhaus weist dreigeschossige Arkadengänge aus der Bauzeit auf. Wenn die Überlieferung stimmt, dann hat hier Johannes Kepler gewohnt, bevor er 1600 als Protestant aus der Stadt gewiesen wurde. 

Zum heutigen bzw. besser ehemaligen „Keplerkeller“ gehört auch der ebenerdige östliche Hofanbau. Aus dem Jahre 1919 gibt es einen Plan, wonach hier aus einem Magazin eine Goldschmied-Werkstätte werden sollte. 1934 wurde in der ehemaligen Werkstätte aber ein Gastlokal eingerichtet. Die Nordostfassade dieses Baus grenzt an die sogenannte „Goltgasse“. Sie hat ihren Namen vermutlich nach den hier ansässig gewesen Goldschmieden, 1572 ist im Haus Prokopigasse 16 der Goldschmied Heinrich Wildt genannt. 1919 besaß das Haus Stempfergasse 6 der Goldschmied und für die Gewerbepolitik verdiente August Einspinner. Die an dieser Stelle nur rund 1 Meter breite, von Schwibbögen überwölbte mittelalterliche Reiche verläuft bis zur Engegasse, ist aber derzeit nicht begehbar. 

Das kleine Stück der Nordwestfassade des Altbaus zeigt auf die Prokopigasse. Der Blick vom Mehlplatz auf diese nördliche Ecke des Baus gehört zu den eindrucksvollsten Stadtbildern von Graz; 2001 war er aber durch eine hässliche Holzabsperrung der Reiche entstellt. 

Es wurde dann mein Vorschlag in Zusammenarbeit mit dem Bundesdenkmalamt und dem städtischen Referat für Altstadterhaltung verwirklicht: Die Absperrung wurde weiter nach hinten verlegt, um den neu geschaffenen Eingang ins Gasthaus zu erreichen. Anstelle der hässlichen Holzabsperrung wurde von Mag. Liebl eine Gittertür konzipiert, die den Blick in die Reiche und damit den Beginn der „Goltgasse“ ermöglichte und den ersten Schritt zu einer späteren Öffnung der angeblich schmalsten Gasse Europas darstellen sollte.

Für die Grazer Fremdenführer ergab sich, als von mir durchaus mitangestrebte Lösung, nun auch eine willkommene Verbindung von der Stempfergasse zum Mehlplatz. Nicht immer einfühlsam abgewickelte „Durchmärsche“ haben aber dann die Pächterin veranlasst, das zu untersagen. 

Leider haben dann auch spätere bauliche Veränderungen, die von ASVK und Baubehörde genehmigt oder auch übersehen worden sind, diese schöne Situation wieder zunichtegemacht. Einer der nächsten Pächter hat die Organisation der Räume verändert und in die Reiche eine überdimensionale Abluftanlage eingebaut. Der Blick in den Beginn der Goltgasse war nun von dem blechernen Ungetüm verstellt und wurde zwangsläufig durch eine Abdeckung der Gittertür wieder unmöglich gemacht. 

Nach 2001 kam es zu Initiativen, die „Goltgasse“ zu öffnen, ja, es wurde die Öffnung sogar schon mit Fotos der erfolgreichen Proponenten gefeiert. Aber leider: es wurde nichts daraus. 

Wer sich heute die skurrile Situation ansehen möchte, muss das an drei verschiedenen Orten tun. 

1)  Der Hof des Keplerkellers, Stempfergasse 6, ist in der Regel offen zugänglich (Bild 2) und verdient in jedem Fall eine kurze Besichtigung. Dabei sind neben den Hofarkaden (Bild 3) die einzeln stehende Säule und der schöne Jugendstil-Wandbrunnen sehr beachtenswert; dass vor dem Kleinod aber Berge von Geschirr gelagert werden, dürfte wohl vom baldigen Ende des aktuellen Pachtverhältnisses zeugen. Der „Keplerkeller“, in dem vor Jahrzehnten ein von vielen Grazern geliebter Akkordeonspieler und G’stanzlsänger seine Karriere startete, hat leider nur selten die richtige gastronomische Linie gefunden. Wer erinnert sich noch an seinen Namen?

2) In der Engegasse gibt es die Möglichkeit, in die „Goltgasse“ zu schauen. Leider versperrt auch hier eine Holztür den direkten Einblick (Bild 4); diesen ermöglicht aber über das Stiegenhaus ein Zugang zu den Müllbehältern. Aber Achtung: wer die Tür hinter sich zufallen lässt, ist eingesperrt. Das ist auch dem Kolumnisten kürzlich passiert, aber er wusste sich zu helfen. Der Einblick in die „Goltgasse“ (Bild 5) ist von hier aus einzigartig. Ein derartiges Ensemble von Schwibbögen ist wohl kaum anderswo zu sehen. Das Gässchen ist an seiner engsten Stelle nur 70 cm breit und gilt daher als die schmälste Gasse Europas. Ob’s stimmt?

3) Am Ende der Prokopigasse ist nach der „Herzl-Weinstube“ der gedachte Zugang zur Gaststätte erkennbar, aber die Goltgasse kann man nur erahnen. Zum Trost empfiehlt sich ein Besuch des Stiegenhauses von Nr. 16, wie schon erwähnt, seinerzeit im Besitz des Goldschmieds Heinrich Wildt.

Zum Abschluss ein Appell an die Stadtverwaltung: Es kann doch einer viel gerühmten Welterbestadt wie Graz nicht wirklich so schwerfallen, dem Auftrag der UNESCO gerecht zu werden und ihre Schätze für den übrigen Erdball nicht nur zu bewahren, sondern auch zu – zeigen! Und die Begehung der einzigartigen Verbindung müsste ja auch möglich sein, notfalls mit einer der in Graz so beliebten Ampelregelung. Und schließlich wünsche ich dem lieben, alten Keplerkeller eine Wiederauferstehung. 

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