06/03/2017

Seestadt Bregenz - Ortsende
oder warum der Stadt die Zukunft (noch) nicht verbaut wurde. 

Emil Gruber berichtet in zwei Artikeln über den Stand der Dinge im Februar 2017 rund um die Planungen am Ufer des Bodensees in Vorarlberg.

Teil 2

06/03/2017

Bregenz, Seestadtareal Richtung Zentrum

©: Emil Gruber

Seestadtareal Richtung Bahnhof

©: Emil Gruber

2013 – projektierte Fußgängerzone in der Bahnhofstraße zwischen Seestadt und Altbestand

©: Amt der Stadt Bregenz

2012 – Seestadt Modell , © aicher-zt.at

2010 – Seestadt, Siegermodell Wettbewerb

©: ARGE Aicher, Zechner, Ludescher, Lutz

2013 – Seespange

©: Amt der Stadt Bregenz

2016 – Seestadt Pläne, © Jutta Berger, der Standard

oder warum der Stadt die Zukunft (noch) nicht verbaut wurde.  Teil 2

Ende Oktober 2013 wurden neuerlich überarbeitete Pläne vorgestellt. Die Gebäude der zukünftigen Seestadt rückten noch enger zusammen. Neben der Seespange, dem Übergang zum Bodenseeufer, war nur mehr eine weitere Sichtachse durch die Anlage projektiert. Bürgermeister Linhart erklärte die starke Abweichung zum ursprünglichen Modell mit dem Masterplan. Hier sei immer schon eine dichte Verbauung als Maßgabe enthalten gewesen. Neu war auch eine deutlich erweiterte, öffentliche Tiefgarage, die sich bis zum Bahnhofsbereich erstreckt und unter der Seestadt nunmehr zwei Ebenen erhält. Die insgesamt rund 1000 Stellplätze seien ein adäquater Ausgleich für die bisher vorhandenen Parkplätze. Die hinter der Seestadt liegende Bahnhofstraße wurde gänzlich zu einer Fußgängerzone. Der endgültige Baubeginn wurde mit Herbst 2014 und die Fertigstellung mit 2016 festgesetzt.
Im Frühjahr 2014 präsentierten die Betreiber stolz den ersten großen Store für die Seestadt. Die Modekette Zara beabsichtige, eine Dependance auf drei Ebenen mit rund 3800 m2 Verkaufsfläche in Bregenz zu errichten. Beinahe 20 % der für Verkaufsflächen vorgesehenen 21.000 m2 seien damit schon einmal vorreserviert.
Juli 2014. Prisma-Vorstand Bernhard Ölz war überzeugt, dass Anfang 2015 endlich der Startschuss zum Baubeginn gegeben werden kann. Man prüfe gerade zur Vorbereitung die Beschaffenheit des Untergrunds. Ansonsten seien Planung und Einreichungen auf Schiene. Die Nachfrage sowohl nach Geschäfts- und Büroflächen als auch nach den über 60 Wohnungen laufe sehr gut an.
Man werde etwas Zeit brauchen, stellte im Dezember 2014 Bürgermeister Linhart fest. Die endgültigen Baupläne sind nun eingereicht, jetzt prüft die Behörde. Trotzdem waren alle überzeugt, mit Sommer 2015 wird der Spatenstich erfolgen können. Nicht Bestandteil der Einreichung waren Pläne zum benachbarten Seequartier. Prisma erneuerte die Feststellung, ohne Namen zu nennen, dass das Mietinteresse an der Seestadt ungebrochen hoch sei.
Knapp ein Jahr später, Oktober 2015. Natürlich werde die Seestadt gebaut. Für Bernhard Ölz von Prisma gab es keine Zweifel. Die Detailplanung verschlinge viel Zeit, daher die Verzögerung. Auch stellte sich die teilweise Beschaffenheit des Untergrundes vom Bauareal – lose Kieselflächen – komplexer als erwartet dar. Die Baukosten werden auch dadurch auf 120 Millionen Euro ansteigen. Start der Grabungen werde nun Sommer 2016 sein und die Fertigstellung sei für Ende 2018 vorgesehen.
Anfang 2016. In der Bahnhofstraße finden erste Vorbereitungsarbeiten zum Seestadtbau statt. Abwasser- und Regenwasserkanäle werden verlängert. Vorbereitungen für die Adaptierung der Versorgungsleitungen werden getroffen. Erste Bauverhandlungen und gewerbebehördliche Verfahren werden durchgeführt. Die Betreiber gehen von einer Baugenehmigung im Frühjahr aus. Baustart bleibt Sommer 2016.
August 2016. Die Pläne zur Seestadt beginnen langsam zu erodieren. Einsprüche der Anrainer bremsen den vorgesehenen Baustart. Sie befürchten Schäden durch die Bauarbeiten an den teilweise denkmalgeschützten Bahnhofstraßengebäuden. Der Untergrund bereitet Prisma zusätzlich weiterhin viele Sorgen. Die ursprünglichen Investitionskosten werden nicht zu halten sein, gibt Bernhard Ölz zu. Erstmalig will er sich auch nicht mehr auf einen Bautermin festlegen. Der praktische Zwischenstopp verlangsamt gleichzeitig auch jede weitere Planung beim Seequartier und Bahnhofsareal.

Inzwischen hat sich auch eine Initiative von rund 70 Architekten und anderen Kulturschaffenden gebildet, die den Bau der Seestadt in der gegebenen Form als Katastrophe für Bregenz sehen. Besonders wird das Abrücken von der Kleinteiligkeit des ursprünglichen Siegermodells hin zu einem zusammenhängenden Bau unter Verlust der Sichtachsen kritisiert. Alle Durchgänge seien nun verschwunden, viel öffentlicher Raum gehe plötzlich verloren. Die Rückseite wird zu einem 250 Meter langen durchgehenden Bau. Auf der Seeseite entstehe somit ein unattraktiver Schlauch, der städtebaulich Bregenz massiv verschandeln werde. Das aktuelle Modell des Einkaufzentrums ist ein Modell für die grüne Wiese aber als innerstädtisches Objekt gänzlich ungeeignet. „Anstelle einer lebendigen Stadt entsteht ein introvertiertes Shoppingcenter ohne öffentlichen Raum und ohne Bezug zum Stadtraum”, so die Initiative.
Prismavorstand und Bürgermeister gingen entspannt mit diesen Argumenten um. „Kritik ist etwas Positives“, meinte der Bürgermeister, aber er verstehe nicht, warum nach so vielen Jahren, sich die Architekten erst jetzt, wo alles genehmigt und beschlossen sei, beschweren. Auch für Ölz war die Erregung unverständlich, schließlich wurde jede Änderung mit dem Gestaltungsbeirat der Stadt Bregenz besprochen und ist von diesem Gremium freigegeben worden.
Der Konflikt nahm Fahrt auf. Die Initiative, sie nannte sich nun SEEUNDSTADTUNDBREGENZ, begann für jedermann zugängliche Stadtspaziergänge zu organisieren, um die Bregenzer Bevölkerung direkt zu informieren.
Prisma präsentierte – im Konsortium der Kritiker waren auch zwei ehemalige wettbewerbsbeteiligte Architekten dabei – nochmals die seinerzeitigen Projekte inklusive Juryurteilen. Beide Projekte der nunmehrigen Projektgegner kamen unter anderem wegen ihrer durchgehenden Baukörper nicht in Frage. Die Initiative hielt dagegen, dass gerade das Siegerprojekt trotz Juryempfehlung nachträglich auch in eine Form abgeändert wurde, die so nie die Ausschreibung gewinnen hätte können. Man warf den Betreibern Intransparenz bei der Entwicklung der Seestadt vor, Informationen und wirklicher Planungsstand würden bewusst zurück gehalten.
Prisma konterte, trotz permanenter Gesprächsbereitschaft lehne die Initiative jede direkte Kommunikation ab. Gleichzeitig wurde von den Betreibern eine Chronologie der Informations- und Beteilungsveranstaltungen seit Projektbeginn präsentiert. In einem offenen Brief widersprach die Initiative dieser Sichtweise: "Unsere Anfrage an Sie um Zusendung eines aktuellen, aussagekräftigen Handouts blieb unbeantwortet. Stattdessen werden weiterhin alte Planstände veröffentlicht. Wir stellen nicht das Ergebnis des Wettbewerbs noch das beauftragte Architektenteam in Frage. Es geht uns einzig darum, der ehrlichen Erkenntnis Raum zu verschaffen, dass der Prozess „Seestadt“ zu einem für die Stadt Bregenz äußerst unerfreulichen Ergebnis geführt hat. Der Bau dieses Projekts widerspricht der positiven städtebaulichen Entwicklungen von Bregenz der vergangenen Jahre und darf daher nicht in dieser Form umgesetzt werden."
Die Medien schalteten sich immer intensiver ein. Die Vorarlberger Nachrichten veranstalteten Stammtische mit Live-Übertragung im Internet, an denen Vertreter beider Seiten diskutierten und die Bevölkerung direkt Fragen stellen konnten. In einer – natürlich nicht repräsentativen – Umfrage auf vol.at im Dezember waren von knapp 1200 Stimmen 55% mittlerweile gegen das bestehende Seestadtprojekt. Im Jänner 2017 gab es überhaupt nur mehr 17 % Zustimmung für die Seestadt.
Mit dem gebürtigen Bregenzer und Professor für Architektur an der Uni Linz, Roland Gnaiger, erhielten die Kritiker weitere prominente Unterstützung. Gnaiger sah das Seestadtprojekt als klassische Weiterführung der Fehlentwicklungen aus den 1980ern, als man schon einmal eine „Jahrhundertchance“ zu einer attraktiven Stadtentwicklung verpasste. Die abgeänderte Seestadt sei nur mehr „ökonomisch kurzsichtiger Pragmatismus“. Die aktuellen Adaptierungen verändern grundlegend die einstigen Vorgaben des Wettbewerbs.

Freitag der 13.1.2017: Die drei Projektträger verkünden in einer gemeinsamen Pressekonferenz das Aus. SEEUNDSTADTUNDBREGENZ sei aber nicht die Ursache. Als Gründe werden mangelnde Wirtschaftlichkeit und eine Kostenexplosion angegeben. Rund 140 Millionen Euro wären mindestens zu investieren gewesen. Besonders der Untergrund aus Seeton und Kies hätte den Bau der zweiten Tiefgaragenebene horrend verteuert. Rund 80.000 Euro pro Stellplatz müsste investiert werden. Bei einem Verzicht auf die zweite Ebene wären dagegen wieder zu wenige Parkplätze für das Gesamtareal vorhanden gewesen.

Epilog
Prisma behält sich vorerst das Grundstück. An eine Veräußerung sei laut ÖLz nicht gedacht. Bürgermeister Linhart ist weiterhin frohen Mutes und glaubt an eine neue Idee zur Seestadt 2.0. SPÖ und Grüne wollen einen Rückkauf des Geländes durch das Land. Landeshauptmann Wallner ist für alles gesprächsbereit. SEEUNDSTADTUNDBREGENZ führt ihre Stadtspaziergänge bis auf Weiteres fort.

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