28/11/2004
28/11/2004

"Die Kulturlandschaft der finnischen Sauna" von Katharina Trapp

Einer der letzten Schätzungen zu Folge gibt es in Finnland 1,7 Millionen Saunas. Aus unterschiedlichsten Materialien und in nahezu jeder Lage werden Saunas angefertigt und zum Baden genutzt. Sogar die unvereinbar scheinende Kombination aus Feuer und Eis ist in der Eissauna – eine Sauna, deren Wände aus Eisblöcken bestehen – verwirklicht worden und steht der Öffentlichkeit im Winter, neben Schwimmen im Loch eines sonst zugefrorenen Sees, verschiedener Orts in Finnland zur Verfügung. Als eine das ganze Leben begleitende Institution voller Bräuche und Glaubensvorstellungen ist die Sauna ein Teil der finnischen Identität geworden, die zusätzlich durch die Saunaschilderungen der Helden im Nationalepos Kalevala kulturell ihre Befestigung gefunden hat. Auch bei den Olympischen Spielen, unter anderen in Paris 1924, wurde eine Sauna als Symbol der finnischen Kultur gefeiert. Aus mitgenommenen Balken einer alten Getreidedarre – um für einen authentischen Geruch zu sorgen – wurde eine Sauna am Austragungsort aufgebaut, von den finnischen Sportlern in Gebrauch genommen und seither oft mit den finnischen Sporterfolgen, wie zum Beispiel die des legendären Läufers Paavo Nurmi, in Zusammenhang gebracht.

Obwohl die Sauna als finnisches Phänomen gilt und das finnische Wort „sauna“ in den meisten Sprachen Eingang gefunden hat, ist der Ursprung der Sauna umstritten. Die urfinnischen Wurzeln des Wortes „sauna“ sowie andere das Baden betreffende Wörter bezeugen aber, dass die Sauna unter den mit Finnen verwandten Völkern schon während der Bronzezeit bekannt war. Die ältesten erhaltenen schriftlichen Aufzeichnungen einer Sauna finnischer Art sind in den Reiseberichten des arabischen Forschungsreisenden Ibn Dasta aus dem Jahre 912 enthalten. In der Gegend des heutigen Moskaus fand er bei den Mordwinen, einer den Finnen verwandten Volksgruppe, eine Sauna mit einem kegelförmigen Zeltdach über einer Erdgrube, in der sich ein Steinofen befand. Bäder verschiedener Art gab es in vielen anderen Kulturen auch, die neben der körperlichen Hygiene auch der Stärkung der physischen und psychischen Gesundheit sowie der Beschwörung von Krankheiten dienten oder Teil des religiösen oder gesellschaftlichen Lebens waren. Die Wasserbäder der östlichen Kulturen waren, wie im frühen Indien, Voraussetzung für die eng miteinander verbundene Reinheit von Körper und Geist. Dagegen dienten die Wasser-, Dampf- und Schwitzbäder des antiken griechischen Badewesens und der römischen Thermen weltlichen Zwecken mit vielseitigen Möglichkeiten zu körperlichen, geistigen und gesellschaftlichen Aktivitäten. Bei der Badezeremonie der nordamerikanischen Indianer wurde im Schwitzbad ein ritueller Trancezustand erzielt, indem in einem geschlossenen Zelt gewisse Kräuter auf erhitzte Steine gelegt wurden.

In der finnischen Sauna sind die Traditionen der Badekultur des Heißluftbades und des Dampfbades vereinigt. Kennzeichnend für die Sauna ist der Aufguss, mit dem die Luftfeuchtigkeit verändert wird. Das finnische Wort für den Aufguss, „löyly“, bedeutete ursprünglich „Geist“ und durch den aufsteigenden Dampf wurde die Sauna, dem Volksglauben nach, mit der Geisterwelt verbunden. Die Sauna wurde als ein heiliger Ort angesehen, an dem man sich in rituellen Handlungen und durch Opfergaben an die Sauna- und Erdgeister, später im Christentum an Gott oder die Jungfrau Maria wendete. Die reinigende Wirkung der Sauna bezog sich nicht nur auf die körperliche Reinheit, sondern wurde auch in der Volksheilkunde, verstärkt durch Beschwörungen und der Verwendung von Saunaquasten, eingesetzt, um das Böse im Menschen, in Form von verschiedenen Krankheiten und Beschwerden, zu vertreiben. Die Schröpfung und das Aderlassen waren auch Methoden der Volksheilkunde, die in der Sauna praktiziert wurden und dadurch lange als Heilmethoden lebendig blieben. Als Bestandteil großer Feierlichkeiten, wie Weihnachten und dem Mittsommerfest oder der Brautsauna vor einer Hochzeit, markierte das Saunabad den Abschluss eines Jahres- oder Lebensabschnittes. Der Alltag und das frühere Wesen wurden in der Sauna abgelegt und die Feierlichkeit und Erneuerung entgegengenommen.

Die Geschichte der Sauna zeigt einen engen Zusammenhang mit den Lebensbedingungen und Bräuchen des Volkes. Die zum Teil in die Erde gegrabenen Erdsaunas, die auch als Wohnung dienten, werden als die ältesten Saunas gehalten. Durch die Holzblockbautechnik wurde die Errichtung eines Saunagebäudes ermöglicht, das als Grundtyp der finnischen Sauna bezeichnet wird und später wieder wegen seiner guten Badequalitäten an Bedeutung gewann. In dieser Sauna wurde nicht nur gebadet, sondern, besonders in Westfinnland, auch viele bäuerliche Arbeiten verrichtet, wie die Bereitung des Malzes u. a. für das Hausbier, das Darren und Behandeln des Flachses sowie das Räuchern des Fleisches. Diese Sauna war eine rauchfanglose, einfache Hütte mit annähernd quadratischem Grundriss und einem großen Ofen, der aus lose übereinander geschichteten, teils auch gemauerten Steinen bestand. Da kein Kaminrohr vorhanden war, quoll der Rauch durch die Zwischenräume der Ofensteine in den Raum und zog durch höher gelegene Luken in der Wand oder Decke ab. Die Rauchsaunas stellten eine große Brandgefahr dar, aber trotz diesbezüglicher Vorschriften wurde dieser Saunatypus noch im 19. Jahrhundert auch in den Städten gebaut. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden Saunas mit Kaminöfen ausgestattet und damit die Voraussetzung für die Etablierung der Sauna in der Stadt geschaffen.

Die zunehmende Industrialisierung hatte zu dichter besiedelten Städten geführt. Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Häuser allmählich mit Wasser- und Abwasserleitungen sowie mit Elektrizität versorgt. Die Sauna galt als bäuerlich und nicht zum städtischen Komfort passend, nach kontinentalem Vorbild wurde in einer Badewanne gebadet. Nur in den Wohngebieten am Stadtrand wurden noch am Anfang des 20. Jahrhunderts Saunas in den Höfen der Einfamilienhäuser in einem Gartenhaus oder Wirtschaftsgebäude integriert. Die Mehrheit der Stadtbevölkerung hatte jedoch keine eigenen Saunas und in den kleinen Wohnungen der Arbeiterschaft fehlten meistens auch sonstige Waschmöglichkeiten. Um ihre Bedürfnisse abzudecken, wurden seit Anfang des 19. Jahrhunderts öffentliche Saunas errichtet. Auf kontinentale Vorbilder zurückgreifende Badeanstalten und Heilbäder gab es bereits im 18. Jahrhundert und auch manche öffentliche Saunas warben als Badeanstalten außer mit den Diensten der Badefrauen, auch mit Masseuren, Schröpferinnen und Chiropraktikern. Der Großteil waren jedoch einfache Saunas für das Volk.

Durch die nationalromantischen Strömungen in der Kunst und das verstärkte Interesse an den finnischen Traditionen, besonders nach dem Erlangen der Unabhängigkeit 1917, erlebte die Sauna wieder eine Aufwertung. In den Künstlerateliers außerhalb der Städte, unter anderen von Jean Sibelius, hatte die Sauna einen wichtigen Stellenwert bekommen. Allmählich wurde die Sauna auch in den Sommervillen der Oberschicht akzeptiert und Architekten wurden zunehmend mit der Planung der Saunas beauftragt. Der wirtschaftliche Aufschwung nach 1917 ermöglichte auch der Arbeiterschaft die Errichtung einfacher Sommerhäuser, nach dem Wiederaufbau in der Nachkriegszeit wurde in den 1950er Jahren die Anschaffung eines eigenen Sommerhauses, mit zugehöriger Sauna, zu einem sich noch heute anhaltenden Trend.

Im Zuge der sozialen Erneuerungen nach dem ersten Weltkrieg gewannen auch gesundheitliche Aspekte an Bedeutung. In den 1930er Jahren wurden in vielen Berichten die Vorteile der Sauna aus medizinischer Sicht behandelt. In den Kellergeschossen der Hochhäuser wurden vereinzelt Saunas eingebaut, aber die Kaminführung der holzbeheizten Saunaöfen war material- und zeitaufwendig und erschwerte die Planung der darüber liegenden Wohnungen. Erst die Entwicklung eines strombeheizten, kaminlosen Elektroofens Ende der 1930er Jahre sowie die 1949 eingeführte staatliche Wohnbauförderung, die gemeinsame Saunaeinheiten für mehrere Wohnungen vorsah, förderte die Etablierung der Saunas in den Wohnbauten. Die gemeinsamen Saunaeinheiten in den Kellergeschoßen wurden aber oft wegen unzureichender Pflege, der unbequemen Lage und der Kälte in den Umkleideräumen beanstandet. Um die Attraktivität der Hochhauswohnungen zu steigern, wurden Wohnqualitäten wie in kleineren Wohnbauten angestrebt und neben größeren Balkonen und Terrassen sowie mehreren Nebenräumen, wurde auch eine dem Badezimmer zugeordnete Sauna als Verkaufsmagnet eingesetzt. Seit den 1980er Jahren gehört die Sauna zur Standardausstattung fast jeder Wohnung in Finnland. Als der Vermarktungswert der Sauna erkannt worden war, wurden Saunaräume in den unterschiedlichsten Bauvorhaben eingeplant: in Hotels, manchmal sogar im Badzimmer einzelner Hotelzimmer, in Schwimm- und Sportanlagen, in großen Passagierschiffen und selbst in Schulbauten und Kindergärten wurden Saunas eingebaut, für deren Planung oft namhafte Innenarchitekten herangezogen wurden. Auch für Repräsentationszwecke der Unternehmen wurden Saunaeinheiten mit zugehörigen Konferenz- und Aufenthaltsräumen entweder direkt im Betriebsgebäude oder in einer naturschönen Lage außerhalb der Stadt vorgesehen oder auch angemietet. Eine der letzten Entwicklungen in dieser Beziehung bietet die verglaste Saunaloge mit Konferenzräumen in der 1997 fertig gestellten Hartwall Eishockeyarena in Helsinki, aus der die Veranstaltungen nicht nur vom Konferenzzimmer, sondern auch direkt von der Saunakabine aus mitverfolgt werden können. Sogar für die staatliche Repräsentation hat die Sauna einen wichtigen Stellenwert bekommen und in der Präsidentenvilla sowie auch in den Parlaments- und Regierungsgebäuden und den finnischen Botschaften im Ausland, sind qualitativ hochwertige Saunaräume eingebaut, in denen ausländische Gäste mit einem Teil der finnischen Kultur in Berührung kommen können.

Die Auseinandersetzung mit der Sauna als Teil der Kultur ist auch in verschiedenen Installationen ein Thema künstlerischen Betrachtens geworden. Die IS10-Sauna als Installation der in Helsinki situierten Künstlergruppe TTIS (Teollisia Tilanteita / Industrial Situations mit Sami van Ingen, Juha van Ingen, Mikko Maasalo und Denise Ziegler) wurde im Oktober 1996 an mehreren Orten in Ontario, Kanada, aufgebaut, geheizt und zum Baden genutzt. Die zerlegbare, einer großen Transportbox ähnelnde Sauna mit einem finnischen holzbeheizten Ofen war sowohl eine Landschaftsskulptur, die mit den wechselnden Umgebungen in Dialog trat, als auch ein Platz für den Kulturaustausch mit der Ortsbevölkerung. Eine andere Art Kulturkonfrontation evozierte die finnische Architektin und Künstlerin Pia Lindman mit ihrer Performance im PS1 Contemporary Art Center in New York im Jahr 2000. Im Hof des Museums hatte sie eine einfache Sauna aus Holz aufgebaut, in der die Museumsbesucher baden und anschließend, falls sie wollten, sich im Freien von der Künstlerin mit kaltem Wasser übergießen lassen konnten. In der Sauna wurden die Badenden durch einen mitten durch die Sauna verlaufenden, roten Samtvorhang von einander visuell isoliert, aber durch Aufgüsse auf den gemeinsamen Saunaofen zur sozialen und physischen Interaktion eingeladen. Mit dieser Performance wollte die Künstlerin einen Ort für den Austausch verschiedener kulturellen, physischen und emotionellen Erfahrungen schaffen. Durch die Wechselwirkung zwischen Installation, Publikum und Künstlerin wurden sowohl Zuschauer als auch Badende mit ihren sozial und kulturell geprägten Vorstellungen, und somit gewissermaßen mit der eigenen Identität, konfrontiert.

Als Kunstobjekt im öffentlichen Raum wurde auch der zum Baden einladende Saunakubus Hot Cube des finnischen Künstlers Harri Markkula in einer Ausstellung zum Thema Landschaftskunst 1998 präsentiert. Die im Fluss, knapp über der Wasseroberfläche stehende Sauna, die den finnischen Saunaritus neu zu interpretieren versuchte, war als bewusster Gegenpol zur finnischen Strandsauna konzipiert. Vom Flussufer wurde die Sauna über eine Brücke erreicht, von der eine steile Treppe ins Innere herunterführte. Durch die Fußbodenroste wurde ein sowohl visueller als auch haptischer Bezug zum vorbei fließenden Wasser hergestellt. Wenn die Holzroste abgenommen wurden, konnte Wasser für den Aufguss geschöpft oder in den Fluss hinuntergetaucht werden. Bei einem anderen Sauna-Projekt des Architekten Rurik Wasastjerna wurden die Grenzen des physisch Erlebbaren bereits überschritten. In den als Bilder zu erlebenden Saunamodellen, die 1998 und in einer Fortsetzung 2001 in einer Galerie in Helsinki ausgestellt waren, wurde der Saunaritus in räumliche Strukturen aufgeteilt. Die seriellen Sequenzen des Saunabades wurden unter Berücksichtigung des Lichteinfalles und einer imaginierten Nähe zum Wasser in mehreren Pavillons oder getrennten Gebäudeteilen baulich umgesetzt. In dieser kontemplativen Annäherungsweise hat die Sauna eine neue Dimension als visuelle Kunstform erreicht.

In der neuen Sauna-Installation Sauna Obscura der finnischen Künstlerin Heidi Lunabba wurde die Umgebung visuell als filmisches Bild in die Sauna miteinbezogen. Die Sauna, die als schwimmendes Floß ohne fixen Standort im Rahmen einer Kulturwoche im Sommer 2004 präsentiert wurde, tritt in Kontakt mit den wechselnden Umgebungen oder auch mit den variierenden Verhältnissen an einem Standort. Die Sauna Obscura greift auf die magische Vergangenheit der Sauna zurück und kombiniert diese mit dem ebenso magisch erlebten Phänomen einer Camera Obscura. Die Sauna mutiert zum Inneren einer Kamera und die Umgebung wird auf die Wände, im Dampf und auf die Körper der Badenden projiziert. Das physisch und visuell Erlebte versetzt die Badenden in einen Grenzbereich zwischen eigenem Körper und der Umgebung, zwischen innerem und äußerem Raum. Die Sauna wird zum medialen Raum.

Verfasser/in:
ausgewählt von Ute Angeringer und Markus Gfrerer
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