05/08/2007
05/08/2007

sonnTAG 186

auch der nagele setzt auf den charme des zaunes eines bauerngartens, um gäste einzufangen und beisammen zu halten. der belgische edelschokoladenverkäufer zeigt sich urban. DESIGN ODER NICHT SEIN, DAS IST HIER DIE FRAGE.

die holzbuden um den kaiser josef-platz waren einmal auch nur verkaufsstände, die sich verfestigt haben. sie haben was barackenhaft-provisorisches an sich wie schrebergartenhütten. sie geben dem platz eine ländliche atmosphäre, passend zu den bäuerlichen marktfahrern, die sie umschließen. der markt ist eine ländliche insel inmitten der stadt. DESIGN MUSS NICHT SEIN.

stehen, sehen, sitzen, spitzen, ... auf was? dass die zeit oder wer vorüber geht. sehen und gesehen werden und die zeit tot schlagen als frühpensionist ­ marktplatz des a/sozialen? DE MIASSN A SIGN.

das urbane café kaiser josef hat die urbanste einzäunung seines gästereservoirs ­ seit neuestem. auch der hund kriegte eine bessere übersicht als beim dichten bretterzaun. nur die autos, die die kaum kurve kratzen, sind jetzt bedrohlicher. FEIN SEIN, DESIGN SEIN. oder DESIGN MUSS SEIN!

selbst die pop-größen von helmut utri aus dem popidole-sterz verkommen zur westernstaffage, die schwartligverkleidung machts möglich. AU FEIN, DAS SCHWEIN-DESIGN.

die jugend sucht wieder geborgenheit, wo, wenn nicht in einer holzfällerhütte? die bedienung allerdings ist fesch und immer freundlich. vielleicht ist das das geheimnis des zulaufs. KEIN DESIGN IST AUCH EIN.

für einsame hüttenabende gibt es in der höhle auch lektüre und musi. ES KANN AUCH INHALT SIGN.

der travertinrest der italoausstattung erinnert an mondäne zeiten als haubenlokal, jetzt herrscht unerbittlich stillose urigkeit. gut ist, was umsatz macht. DESIGN MUSS NICHT SEIN.

stadtlandholz

ich schrieb spontan einen beitrag für die stadtnummer der holzzeitschrift, aber es war darin zu wenig verzückung über die städtische rolle dieses wunderbaren werkstoffes und wurde daher von der liebenswürdigen redakteurin nicht goutiert. also schlummerte er sanft in meinem rechner, bis die karin (Wallmüller, Anm.) beim theisslwirt danach für das sommer-sonntags-gat gierte. so kommt der tiefsinn doch noch auf den holzweg:
die >almhüttn es gibt ja auch fahrräder aus holz. zumindest die felgen gab es eine zeit lang professionell sowie teile der autokarosserien von kombis besonders im amerika der 50er, aber auch beim fiat topolino, und ein englisches auto aus der vorkriegszeit, mit dem der vater während meiner kindheit eine zeit lang herumkurvte, hatte gar holzspeichen. machen kann man so ziemlich alles aus und mit holz, genauso, wie es sogar boote aus stahlbeton gibt, aber ob das auch sinn macht (sic), ist eine andere frage.
holz als werk- und baustoff ist vergänglicher als die meisten anderen und braucht schutz und/oder viel pflege. ganz extrem ist das bei booten wie z. b. früher am hilmteich, da nutzt auch der (transparente) 'bootslack' nichts, genau so wenig wie bei klobrillen oder küchenarbeitsflächen bzw. -fußböden. zumindest die schifferln werden daher so lange fett und bunt angebemselt, bis sie in ihrer lackschale verfault sind. denn das wasser ist ein 'hund', das findet immer einen zugang, meist dort, wo die einzeltrümmmer zusammengefügt sind. von jedem dachstuhl und jedem balkon weiß man: um alles in der welt trocken halten. darum ist das gute holz meist bedachelt, verblecht oder überhaupt unsichtbar. in den dachstühlen alter kirchen wohnen ja ganze wälder, und manch ein dachausbauer wohnt ja auch im scheunenartigen gebälk und kommt sich gut dabei vor – hab ich selber auch schon verbrochen –, aber die stadt ist von ihrem urverständnis nicht-land, daran ändern auch die putzigen fachwerkhäuser mancher alter reichsstädte nichts. holz in der stadt ist in den allermeisten fällen verkleidet und daher unsichtbar oder passt in seinen verwitterungsstadien selten ins urbane ambiente, so wenig wie die dazu passenden lederhosen, mit denen man sich garantiert keinen speil einzieht. selbst bei den gartenstadtsiedlungshäusern (cit. achleitner) der nazizeit wurde holz relativ sparsam angewendet, und wenn, ist es in beklagenswertem zustand, die fensterläden, die balkone, die vordachsäulen in ihrer dunklen verwittertheit wirken auch merkwürdig alpin.
wenn sich die leute vollholzfußböden in ihre wohnungen legen und vielleicht noch vollholzmöbel leisten, dann sind sie eh schon verarmt und zudem mit der pflege ausgelastet, sollte nicht alles sorgsam lackiert sein – pflegeleicht eben. aber dann leben sie eher in kunststoff mit holzkern denn in 'natur', weshalb die meisten die mit holzmaserung bedruckten kunststoff-"parketten" viel billiger und auch viel pflegeleichter finden. das ist schließlich der erste "holz"boden, den man sorglos in die küche legen kann und, ordentlich verleimt, sogar ins bad, aber – wir kommen zurück zur stadt – wie schaut denn das aus, so ein holzimitat zu den sanitärgeräten und den fliesen? anything goes, sagt die postmoderne, man muss nur noch den bodenbelag auch auf die wand klatschen, und badewanne, waschbecken und wc-muschel mit holzmaserung kann für die industrie kein großes problem sein. da weiß man dann, was heimeligkeit ist und geborgenheit, sogar ein heubad in der (pseudo)holzbadewanne wäre dann stilvoll. notfalls kann man ja einen adaptionsversuch mit dc-fix machen, sie wissen ja, die selbstklebefolie, die es auch in vielen holzdessins gibt.
holz, sagt mein freund, holz sei gesund, das strahle nicht wie stahl, bilde keinen faradayschen käfig wie die armierung der betonwohnbunker, das höchste der gefühle aber sei ein bett ganz aus holz, ganz ohne schrauben, ganz ohne jegliches metall. auf so einem liege ich nun schon die längste zeit, so gut wie vorher auf aluminium. die meisten anderen meiner möbel sind allerdings aus stahl, aus blech, assmannregal heißt das system, bücherregale, kücheneinrichtung, arbeitstische, alles in assmannstahlregal, auch das sofa ist eine reine assmannkonstruktion. wo nächtigt der freund, der ein bio-überzeugungstäter ist, wenn er nach graz kommt? auf dem assmann-blechsofa. und nirgends, gesteht er immer wieder verschämt, nirgends, und er ist eine wanderniere und kommt viel herum, nirgends ruhe er so gut wie auf der assmann-liege, vermutlich umgeben von einem kranz aus strahlen vom stahl, was sonst nur das kleine jesulein in der krippe mit seinem ganzkörperheiligenschein zusammenbringt.
wo werden wir also holz in der stadt unterbringen? holzstöckelpflaster hat es früher auf brücken gegeben, da waren die fuhrwerke ganz leise und die pferdehufe fanden halt, aber später für die autos bei nässe die reinste rutschpartie. hölzerne strom- und telefonmasten wirken auch recht anheimelnd, aber die gibt es eher in amerikanischen kleinstädten. manche schanigärten zäunen das gästevieh wie mit einem alten weidezaun ein, z. b. am grazer kaiser-josef-platz, da kommt man sich vor wie gemüse in einem bauerngarten. gleich daneben floriert eine 'windn' namens sägewerk mit nämlichem bauernzaun um die frischluftgäste, das ist, im gegensatz zum urbanen café kaiser josef, auch im inneren wie eine holzfällerhütte ausstaffiert, über der bar ein dach aus schwartling und auch alles andere die reinste hinterwäldlerausstattung, ausgenommen die bilder an der wand: alle pop-gfrieser von helmut utri aus dem popidole-sterz. früher einmal war das lokal ein exquisites haubenlokal im stil geschmäcklerischer italienischer urbanität, aber je mehr die nachfolger die travertinversatzstücke herausrissen, um so besser kam das lokal bei den jugendlichen an. jetzt hat es den charme eines partisanenverstecks und ist immer getreten voll. also: die gastronomie ist ziemlich holzanfällig, nicht nur am land.
mit val d'isere haben die franzosen in den 60ern einen urbanen wintersportort aus dem boden gestampft – die sind doch solche rationalisten – und wollten damit dem österreichischen gemülichkeitstschatsch die schau stehlen. inzwischen haben sie ihre buden mit brettern derart vernagelt, dass es dort aussieht wie in der husch-pfusch-kulisse eines westernfilms. aber das findet ja am land, im hochgebirge statt und nicht auf einem grazer stadtplatz. trotzdem: sex sells und holz heizt – den umsatz an, das wäre vielleicht doch ein grund, die stadt mit brettern zu vernageln. was sonst wenn nicht handel mit umsatz und gewinn ist das wesen der stadt?
vielleicht hat es auch mit dem genius loci zu tun, war und hieß doch der heute nach dem zweiten josef benannte grazer marktplatz früher >holzplatz was es noch gibt am josefsplatz außer den hölzernen marktbuden und den verkaufsständen aus holzplatten und -schragen, sind einige alte geschäftsportale in holz aus der gründerzeit. hoffnungsvoll werden sie immer wieder besiedelt und belebt, abgebeizt und neu lackiert, und immer wieder gehen die geschäftlein pleite. allein der hofbäcker edegger-tax mit seinem opulenten neubarocken holzportal ist erfolgreich, aber der steht auch in der innenstadt nahe dem franzensplatz, der inzwischen freiheitsplatz heißt. das pompöse denkmal des metternichschen doppelkaisers franz II-I steht allerdings noch dort, während der reform-josefzwo gegenüber der columbia sein dasein als büste fristet. dafür wird der im winter holzmäßig eingehaust, als wetterschutz vielleicht oder gar, um die grazer wenigstens zeitweise vor der aufklärung zu schützen?
gemütlichkeit verlangt nach holz, am besten in form einer bauernstube. den gipfel der gemütlichkeit erreicht der 'joalauf' zu weihnachten. da stellen wir uns gar einen ganzen baum in die stube und besingen ihn sogar, wenn er nicht gerade abbrennt und mit ihm die so gemütliche einrichtung. die ursache hat dieser brauch in einem corpus, nicht delicti sondern jesu, unseres herrn am kreuz nämlich, beide meist aus holz und immer seltener in den stuben. der maibaum hingegen wird zunehmend auch in den städten aufgestellt, ist aber eher heidnisch-ländlichen ursprungs, vielleicht weil man(n) im mai gern einen baum aufstellt, für den es kein holz braucht, es sei denn das vor der hüttn, ihrer.
heute wird ja holz häufig durch kunststoff 'substituiert', also ersetzt, wie z. b. die holzsprießeln der brauhausstühle in den gastgärten. ich sitze schlecht auf den plastikbelägen, so wie mir die kunststofftrümmer in den kasten der 'grazer fenster' hoch zuwider sind - gipsverbandfenster. die alten holzflügel muß man allerdings alle 10 jahre renovieren, die lacke werden ja immer schlechter, sagt der maler, aber es geht einfach nichts über die eleganten dünnen alten fensterprofile aus tannen- oder lärchenholz.
sollte wieder ein krieg über uns kommen, dann gibt es sicher wieder ein holzrevival. im letzten zumindest war ein holzkoffer so nützlich wie holzschuhe, die kriegsversehrten kriegten holzbeine und die automobilisten machten sich ihren antrieb mit einem gaskessel am buckel des fahrzeugs selber, inzwischen wieder eine technik mit zukunft. der allenthalben vorhandene offene kamin verhilft dann zur holzheizung. es wäre allerdings schade, wenn dann der stadtpark zur holzgewinnung abgeholzt würde, eines der wenigen wirklich legitimen vorkommen von 'offenem holz' in der stadt.
städtische vogelhäuserl haben natürlich genauso eine berechtigung für eine hölzerne existenz wie der 'urbane' bleistift, und das städtischste holz in form von papier ist bei aller computerei einfach nicht wegzukriegen. holz hat also in der stadt doch noch einige zukunft, aber trotz alledem:
die stadt ist aus stein (u./o. ä.), ist das beständige, das dauernde, das land ist das vergehende, das sich immer wieder erneuert, das vergängliche baustoffe liefert, den lehm, das stroh, die schindel, die balken – überhaupt das bauholz – und auch das material für die geräte, den leiterwagen, den rechen, den sensenwarf etc., aber das land industrialisiert, und nur mehr narrische städter haben ein haus aus gestampftem lehm mit strohdach und sensen senseless mit holzwarf, das einzige, was dort noch aus holz ist, ist oft die pfeife im mund des agrartechnikers, wenn der auf seinem holzlosen traktor holzlose geräte über die holzlose steppe zieht.
eines haben das entleerte land und die angehäufelte stadt gemeinsam: die entfremdeten hölzerenen phrasen aus dem fernsehen, und noch etwas kommt überall vor, der holzkopf, aus dem das gerede quillt.

ernot auffer, * 1942 kitzbühel, kindergarten zell am see, volksschule graz/huben/graz/huben/graz/huben/graz/huben in osttirol, realgymnasium innsbruck, architektur th graz, seither immer und wieder dies und das in graz.

Verfasser/in:
ausgewählt von Karin Wallmüller
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