25/05/2016

Das Referat für Bau- und Raumordnung der Abteilung 13 Umwelt und Raumordnung, Land Steiermark, ist für Angelegenheiten der örtlichen Raumplanung zuständig. GAT bat Mag.aAndrea Teschinegg, Leiterin des Referats Bau- und Raumordnung, zum Interview.

25/05/2016

Einkaufszentrum in Fohnsdorf. David Bauer (CC BY-SA 3.0)

Einfamilienhaus – der Wunsch nach individuellem Wohnen

©: Land Steiermark _ Amt der Steiermärkischen Landesregierung

Mag.a Andrea Teschinegg, Leiterin des Referats Bau- und Raumordnung

GAT bat Mag.aAndrea Teschinegg, Leiterin des Referats für Bau- und Raumordnung, zum Interview.

In den vergangenen Jahren hat sich hinsichtlich der Raumordnung in der Steiermark vieles verändert. Was waren aus Ihrer Sicht die wichtigsten Veränderungen?

Entscheidend war, dass im Jahr 2010 ein neues Raumordnungsgesetz (ROG) erlassen wurde. Der Prozess dahin war recht langwierig, es hat etwa vier Jahre gedauert, bis es zu diesem Gesetz gekommen ist. Das Raumordnungsgesetz 1974 wurde bis zu diesem Zeitpunkt bereits vielfach novelliert, wodurch es extrem unübersichtlich geworden ist. Dadurch musste ein systematisches und übersichtliches Gesetz geschaffen werden, welches auch auf neue Herausforderungen Bezug nimmt. Ein wichtiges Thema war dabei zum Beispiel die Baulandmobilisierung, die bereits gesetzlich verankert war, aber kompakt zusammengefasst wurde. Ein weiterer Schwerpunkt des neuen Raumordnungsgesetzes war die Stärkung des örtlichen Entwicklungskonzeptes (ÖEK) als relevantes Instrument für die Zukunft, welches Entwicklungsziele für einen Zeitraum von fünfzehn Jahren festzulegen hat. Begleitend dazu war der Wille gegeben, Flächenwidmungsplanänderungen, die mit dem ÖEK im Einklang stehen, in einem erleichterten Verfahren zu ermöglichen. Derzeit haben etwa zwei Drittel der steirischen Gemeinden ein genehmigtes örtliches Entwicklungskonzept. Wir gehen davon aus, dass in den kommenden Jahren auch die restlichen Gemeinden ein von der Landesregierung aufsichtsbehördlich genehmigtes ÖEK haben werden. Überdies hat eine Diskussion zum Thema Auffüllungsgebiete stattgefunden. Das neue Raumordnungsgesetz hat diesbezüglich die Anforderungen gelockert, was im Vorfeld scharf kritisiert wurde. Diese Erleichterungen waren aus raumplanerischer Sicht nicht ideal, wohl aber politisch gewünscht und mussten letztlich so akzeptiert werden. 2012 wurde durch eine weitere Novelle die Möglichkeit, bei einem Auffüllungsgebiet auch eine Erweiterung nach außen zuzulassen, geschaffen. Auch dies war letztlich politisch gewünscht. Insgesamt ist die Regelung des Auffüllungsgebietes ein kontrovers diskutiertes und schwieriges Thema.

Mit 1.1.2015 wurde die Gemeindestrukturreform wirksam. Wie beurteilen Sie diese aus Sicht der Raumordnung? Wurden die Chancen in diesem Prozess genutzt?

Aus unserer Sicht ist die Gemeindestrukturreform eine große Chance für die örtliche Raumplanung. Bisherige Fehlentwicklungen könnten in diesem Prozess bereinigt werden.

In welchem Zeitraum wird sich das bemerkbar machen?

Wir stehen da ganz am Anfang. Die neuen Gemeinden haben fünf Jahre Zeit, ihre ersten Raumordnungspläne – das ÖEK und den Flächenwidmungsplan – zu erstellen. Diese Fünfjahresfrist wurde im Zuge der legistischen Anpassungen im Zusammenhang mit der Gemeindestrukturreform gesetzlich verankert. Nach der bis dahin geltenden Rechtslage hätte eine Gemeinde sofort auf die geänderten Rahmenbedingungen reagieren müssen. Uns war aber klar, dass eine Gemeinde für diesen Prozess mehr Zeit benötigt. Wir fördern nun mit Know-How den Start von Leitbildprozessen in den Gemeinden. Dadurch sollen die Gemeinden herausfinden, wo es hingehen soll. Es wäre nicht sinnvoll, wenn Gemeinden ihre bisherigen Pläne einfach unverändert übernehmen. Es soll ein Meinungsbildungsprozess gefördert werden, idealerweise mit entsprechender Bürgerbeteiligung. Das passiert teilweise bereits. Wir stellen fest, dass heuer diese Schritte beginnen. Das vergangene Jahr wurde dafür genutzt, die Zusammenlegungen administrativ zu regeln.

Hinsichtlich der Raumordnung beginnt nun also eine spannende Zeit. Deutlich über 200 Gemeinden sind betroffen. Sind die derzeitigen Parameter in der Raumordnung diesen Aufgaben gewachsen und kann damit beispielsweise hinsichtlich der Energieraumplanung adäquat eingegriffen und gesteuert werden?

Das Raumordnungsgesetz liefert Antworten auf fast alle Fragen, sofern der Wille da ist, dies auch wirklich umzusetzen. Gerade das Thema der Energieraumplanung liegt uns sehr am Herzen. Wir haben zu diesem Thema bereits Veranstaltungen und Workshops organisiert und haben uns auch an einem EU-Projekt beteiligt. Wir sehen kein Problem darin, mit der jetzigen Gesetzeslage zukunftsfähige Konzepte umzusetzen. Nichtsdestoweniger wäre es sinnvoll, den Fokus in Zukunft noch stärker auf das Thema der Energieraumplanung zu legen – dazu braucht es aber den Willen der (Gemeinde-)Politik.

Wo, denken Sie, liegen hinsichtlich der steirischen Raumordnung Probleme?

Ich bin der Meinung, dass die Gesetzeslage bei uns als gut zu qualifizieren ist. Wir haben in Teilbereichen Vergleiche mit anderen Bundesländern durchgeführt und liegen hier im guten Mittelfeld. Das zeigt sich auch bei österreichweiten Raumplanungs-Konferenzen. Was mir fehlt, ist der Wille die vorhandenen Instrumente auch wirklich auszunutzen. Ich denke, dazu müsste man in Bewusstseinsbildung investieren, was wir durch Veranstaltungen zu Themen wie Bodenschutz, Ortskernstärkung und Energieraumplanung versuchen. Diese Themen sind untrennbar miteinander verbunden. Die Situation hinsichtlich der Auffüllungsgebiete ist natürlich nicht optimal. In diesem Punkt wäre es sinnvoller, wenn die Siedlungsschwerpunkte gestärkt und weniger Auffüllungsgebiete ausgewiesen werden. Wenn eine Gemeinde versucht, Siedlungsentwicklung durch die Ausweisung von Auffüllungsgebieten zu betreiben, dann ist sie selbst dafür verantwortlich, wenn ihr Ortskern stirbt.

Ist das Raumordnungsgesetz dahingehend zu zahnlos?

Die Instrumente wären da. Natürlich wäre es vernünftig das Gesetz in einigen Bereichen nachzuschärfen. Eine Diskussion über die Auffüllungsgebiete wäre sinnvoll. Ich kann mir vorstellen, dass das auch stattfinden könnte.

Die Raumentwicklungsprogramme sind vom Landesentwicklungsprogramm über das regionale Entwicklungsprogramm bis zum örtlichen Entwicklungsprogramm gestaffelt. Ist den Gemeinden in diesem System zu viel selbst überlassen? Sollte nicht vermieden werden, dass eine Gemeinde ihre Zersiedelung nach wie vor forcieren kann?

Hinsichtlich der regionalen Entwicklungsprogramme sind wir Vorreiter in Österreich. Die Teilraumzuordnungen geben hier die Richtung vor. Häufig werden wir aber von Gemeinden mit dem Wunsch konfrontiert, z.B. in Ortsrandlagen am Kreisverkehr ein Kerngebiet auszuweisen, weil eine Lebensmittelkette dort bauen will. Es gelingt uns inzwischen aber meistens erfolgreich, diese Vorhaben zu verhindern. Wir haben diesbezüglich auch auf Ebene des Raumordnungsbeirates einen Konsens. Im Zuge des Genehmigungsverfahrens müssen wir den Raumordnungsbeirat befassen und erst dann entscheidet die Regierung.

Im ROG 2010 wurde die Möglichkeit von Nutzungen im Gewerbegebiet eingeschränkt. Der Handel im Gewerbegebiet, welches üblicherweise in Randlagen der Gemeinde ausgewiesen wird, ist nun grundsätzlich ausgeschlossen. Darum versuchen viele Gemeinden das Kerngebiet in diese Lagen auszuweiten. Da fehlt häufig das Bewusstsein – die Gemeinden schaden sich letztlich selbst.

Zum Thema des ROG 2010 gab es im März 2010 eine Diskussion im HDA, in welcher die Auffüllungsgebiete diskutiert wurden. Damals wurde zugesichert, dass die Folgen der Gesetzesänderung evaluiert werden sollen. Ist das geschehen?

Es hat keine Evaluierung gegeben. 2012 wurden durch eine Novelle sogar die Möglichkeiten erweitert. Das war aber eine politische Entscheidung ohne unsere fachliche Expertise. Ich gebe offen zu, dass wir uns fachlich dagegen ausgesprochen haben. Die Praxis zeigt auch, dass uns diese Bestimmungen Probleme bereiten. Die Auseinandersetzung mit solchen Verfahren bindet viele Ressourcen. Ich würde eine Evaluierung sinnvoll finden, um zu überprüfen, inwiefern z.B. eine Rückkehr zur Regelung 2010 möglich wäre. Das Auffüllungsgebiet ist allerdings kein steiermarkweites Problem, sondern wirkt sich regional unterschiedlich aus.

Die Steiermark ist hinsichtlich der Zersiedelung kein Vorzeigeland. In einzelnen Regionen wie Hartberg und Fürstenfeld soll der Einfamilienhausanteil bei über 95% liegen. Warum hat sich das in der Vergangenheit so entwickelt? Gibt es Möglichkeiten die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren?

Das erste Raumordnungsgesetz hat es erst 1974 und damit relativ spät gegeben, erst 1980 gab es erste Flächenwidmungspläne. Bis dahin ist natürlich viel passiert. Im Vergleich zu anderen Bundesländern, beispielsweise Niederösterreich, ist die Landwirtschaft in der Steiermark relativ kleinteilig aufgestellt, was sich hier aus raumplanerischer Sicht auch negativ ausgewirkt hat. Die Höfe waren bereits klein strukturiert und es war Usus, dass die Kinder im direkten Umfeld bauten. Im Rahmen der regionalen Entwicklungsprogramme haben da inzwischen deutliche Einschränkungen stattgefunden, sodass neue Baulandausweisungen in solchen Lagen kaum mehr möglich sind. Letztlich sind die niedrigen Baulandpreise in diesen Regionen auch entscheidend.

Wie sehen Sie die Gesetzeslage hinsichtlich der Möglichkeiten zur Baulandmobilisierung?

Das ist der einzige Bereich, der aus meiner Sicht jedenfalls zu überarbeiten wäre. Die Baulandmobilisierung funktioniert nur mangelhaft. Die Regelungen sind nicht praxistauglich. Wir hatten im Vorfeld zum ROG 2010 einen anderen Vorschlag für Mobilisierungsregelungen, welche flexibler und aus meiner Sicht besser anwendbar gewesen wären. Es war aber dann der politische Wunsch, die Mobilisierungsregelungen nicht neu zu regeln. Überdies hat sich ein zusätzliches Problem ergeben: Durch die Gemeindefusionen werden die unterschiedlichen Standards der Mobilisierungsmaßnahmen in den Altgemeinden sichtbar. Diese Unterschiede im Zuge des ersten gemeinsamen Flächenwidmungsplanes auszugleichen ist eine Herausforderung, die eigentlich kaum lösbar ist. Wir arbeiten hier an anderen gesetzlichen Lösungen.

Finden Baulandrücknahmen tatsächlich statt und bergen diese Chancen?

Im Zusammenhang mit der Gemeindestrukturreform werden Baulandrücknahmen jedenfalls in verschiedenen Gemeinden ein wichtiges Thema sein. Entscheidend ist, dass eine solche Maßnahme immer gut zu begründen ist. Erst vor wenigen Wochen war der Fall einer Baulandrückwidmung, die vor 15 Jahren vorgenommen wurde, Gegenstand einer aufhebenden Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes. Aus Sicht des VfGH war das Vorgehen nicht ausreichend begründet. Alleine der Baulandüberhang dürfe keine Begründung sein. Da die fusionierten Gemeinden hinsichtlich ihres nunmehrigen Gemeindegebietes die Siedlungsentwicklung und Standorte evaluieren sollten, sollte es rechtlich möglich sein, Baulandrücknahmen zu argumentieren.

Wie sehen Sie die Einkaufszentren-Standortverordnung bzw. das Entwicklungsprogramm zur Versorgungsinfrastruktur?

Es wird eine große Herausforderung sein diese Verordnung im Lichte der Gemeindestrukturreform zu überarbeiten.

Wann wird das passieren?

Ich gehe davon aus, dass das in unmittelbarem Anschluss an die Überarbeitung der regionalen Entwicklungsprogramme erfolgen wird. Die Gefahr besteht darin, dass Gemeinden nun größer sind und daher auf größere Einkaufszentren-Verkaufsflächen Anspruch erheben könnten. Das soll und kann natürlich nicht so passieren. Ich bin gespannt auf die Lösungsansätze, die dahingehend von der überörtlichen Raumplanung kommen werden. Ich bin auch der Meinung, dass es sinnvoll wäre, das Instrument der Einzelstandortverordnung zu überdenken und zu hinterfragen, ob wir das überhaupt benötigen. Wenn wir über Themen für eine Novellierung des ROG sprechen, sollte auch das diskutiert werden.

Bei Betrachtung der gesamten Steiermark - wie beurteilen Sie die einzelnen Regionen hinsichtlich ihrer unterschiedlichen Probleme bzw. Chancen?

Im Raum Obersteiermark ist die demographische Entwicklung ein großes Thema. Da gilt es Fragen der Redimensionierung anzudenken. Wie können Gemeinden gesundschrumpfen, aber gleichzeitig gewisse Entwicklungen ermöglicht werden? Hier spielt immer das Thema der Ortskernbelebung eine große Rolle.

Auch in der Ost- und Südoststeiermark haben wir teilweise mit Bevölkerungsrückgang zu kämpfen, aber es gibt dort auch boomende Regionen, in denen die Gefahr einer weiteren Zersiedelung besteht. Die Frage der Pendelthematik ist dort ein großes Thema - die Menschen sollten in ihrer Region Arbeit finden. Auch hinsichtlich der ÖV-Erschließung gibt es hier Handlungsbedarf.

Die Bereiche Graz-Umgebung Süd und Leibnitz sind ebenfalls prosperierende Bereiche. Hier ist auf die Verkehrs- und die Luftsituation besonderes Augenmerk zu legen.

In der Weststeiermark gibt es diese Probleme nicht in dieser Schärfe.

Das Grazer Umland und Graz betreffend geht es um Fragen der Zusammenarbeit und der Synergien, beispielsweise auf dem Sektor Verkehr. Es hat hier in vielen Bereichen keine Gemeindezusammenlegungen gegeben, obwohl das aus raumplanerischer Sicht teilweise sinnvoll gewesen wäre. Im direkten Umfeld von Graz gibt es auf der einen Seite einen sehr starken Siedlungsdruck, auf der anderen Seite sind die Voraussetzungen – zum Beispiel hinsichtlich der Luftqualität – nicht die besten.

Eines der grundsätzlichen Probleme liegt darin, dass die klassischen Voraussetzungen, wie ein gesundes Umfeld, im ländlichen Raum besser sind – hier muss man auf eine sinnvolle Entwicklung der bereits bestehenden Siedlungsschwerpunkte das Augenmerk lenken, um starke Orte zu schaffen.

In Graz selbst ist das Wachstum vor allem unter dem Stichwort der Nachverdichtung ein Schwerpunkt der kommenden Jahre. Die Verkehrssituation stößt hier aber an ihre Grenzen. In Graz und Graz Umgebung Süd kommt auch noch die Hochwassersituation hinzu.

Was sind Ihre Visionen und Wünsche für die Zukunft der Steiermark?

Es wäre optimal, wenn wir es schaffen könnten, die Regionen in sinnvollen Bereichen konzentriert zu stärken. Es sollte dort ein lebenswertes Umfeld geschaffen werden, weil der Zentralraum Graz nicht alles aufnehmen kann. Arbeitsplätze, Bildungsmöglichkeiten und Lebensqualität sollten in den Regionen ausreichend vorhanden sein. Mir wäre wichtig, dass das Bewusstsein der Menschen für eine sinnvolle Raumentwicklung gefördert wird und die Einzelinteressen in den Hintergrund treten. Wir unterstützen dahingehend Projekte, welche bereits in Volksschulen zur Bewusstseinsbildung beitragen.

Wie sehen Sie das Bewusstsein dahingehend in der Politik auf Landes- und Gemeindeebene?

In der allgemeinen Diskussion über diese Themen ist das Bewusstsein vorhanden. Wenn es jedoch um den Einzelfall geht, dann werden in manchen Fällen die Vorsätze über Bord geworfen. Ich habe aber den Eindruck, dass in den neuen Gemeinden Politiker zu Gange sind, die ernsthaft eine sinnvolle und zukunftsweisende Raumordnungspolitik betreiben wollen. Auch glaube ich, dass durch die Gemeindestrukturreform und die so entstandenen größeren Einheiten eine bessere Entwicklung stattfinden wird. Ich sehe hier gute Ansätze.

Danke für das Gespräch!

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