15/04/2022
15/04/2022

Seit ein paar Tagen ist es möglich, Stellungnahmen zur angestrebten Novellierung des Raumordnungsgesetzes der Landesregierung zukommen zu lassen. Neben der peinlich kurzen Begutachtungszeit von insgesamt 10 Tagen, einer verhaltenen Kommunikationsstrategie diesbezüglich und dem Aspekt, dass vorab kaum Fachleute der Planungsseite in die Bearbeitung der Gesetzesnovelle eingebunden wurden, führt die Novelle auch inhaltlich vermehrt zu Unmut. 

Bis zum 14.4.2022 sind 17 Stellungnahmen eingegangen, die sich allesamt mit den Formulierungen der Novelle im Detail auseinandersetzen und darüber hinaus den fehlenden Weitblick ankreiden, der jetzt mit den Neuerungen hätte wegweisend und richtungsändernd sein können. Man darf berechtigterweise fragen, wann, wenn nicht jetzt, die Weichen für eine umweltverträgliche, die Bodenversiegelung eindämmende und den Individualverkehr reduzierende Gesetzeslage zu stellen sind?

Aber bevor die Novelle zur Gänze infrage gestellt wird, sollte differenziert werden. Eine Neuerung ist gut. Die bisherigen Stellungnahmen vermitteln ihre einzelnen Kritikpunkte. Unterschiedliche Standpunkte der Verfasser:innen sind erkennbar.
Weitere Eingaben sind noch bis Freitag, den 15.4. möglich. Zeit einen ersten Über- bzw. Einblick zu den Stellungnahmen zusammenzustellen.

Der Österreichische Städtebund, Landesgruppe Steiermark, vermerkt zum Beispiel, dass die Möglichkeit mehrerer Teilzentren für die Stadt- und Gemeindenentwicklung wichtig wäre. Die wichtigen Potenziale des öffentlichen Verkehrs werden damit angesprochen. „Zu § 22 – Inhalt des örtlichen Entwicklungskonzeptes: Im Absatz 5 sollte dahingehend eine Klarstellung erfolgen, dass in einer Stadt/Gemeinde unbedingt mehrere Zentrumszonen festgelegt werden können. So könnten z.B. mehrere Teilzentren in der Nähe öffentlicher Verkehrsknotenpunkte sinnvoll sein. Das sehen wir besonders für suburbane Gemeinden als wichtig für eine zukünftige Entwicklung an.“  
Wie in anderen Stellungnahmen auch zu lesen, wird die Zubauoption auf 300 m2 Bruttogeschossfläche als völlig kontraproduktiv kritisiert: „Zu § 33 Abs. 5 Z 2 – Freiland: Die Ausweitung der „Zubaumöglichkeiten“ auf 300 m2 Bruttofläche, unabhängig von der Größe des Bestandes, sehen wir kritisch. Es ist davon auszugehen, dass es dadurch zu einem weiteren Anstieg der Zersiedelung kommt.“
Zudem wird angemerkt, dass die Frist für Gemeinden, die Novelle umzusetzen, mit 3 bzw. 5 Jahren zu kurz gegriffen ist. Entwicklungskonzepte und Sachbereichskonzepte wie Flächenwidmungspläne müssten überarbeitet werden. „Diese Zeiträume sind aus unserer Sicht jedenfalls zu kurzgefasst und sollten aus Gründen der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit nochmals überdacht werden“, schreibt der Österreichische Städtebund.

Die WKO Steiermark gibt an, dass das Verfahren prinzipiell zu begrüßen ist, allerdings, „im Zusammenhang mit der äußerst kurzen Begutachtungsfrist und dem angekündigten Zeitplan zur Umsetzung der Novellen deutliche demokratiepolitische Defizite“, aufweist. „Wesentlich ist,“ so die WKO Steiermark, „dass die gesammelten Rückmeldungen aus dem Begutachtungsverfahren einer entsprechenden Prüfung und Bewertung zugeführt werden, auch wenn damit ein späteres Inkrafttreten der Novellen verbunden ist.“ Man rät also an, den Prozess mit entsprechender Offenheit und echtem Demokratiewillen zu gestalten. 
Viele Aspekte der Novelle werden von der WKO Steiermark unterstützt. So auch die gesetzlich verankerte Sicherheit, dass laufende Bauverfahren nicht unter die Novelle oder daraus entstehende Bausperren fallen werden. Das könnte dann heißen, dass zeitnah keine sichtbaren Änderungen zu erwarten sind. Zudem reklamiert die WKO bezüglich der Standorte von Einkaufszentren und bezüglich der Ausweisung von Solar- und Photovoltaikfreiflächenanlagen ein Anhörrecht. Dagegen spricht man sich gegen die Bestimmung aus,  Vorbehaltsflächen rein für den kommunalen Geschosswohnbau auszuweisen. Mit der Eingabe, „Wesentlich für die Steirische Wirtschaft ist jedenfalls, dass es sich für die Gewerbe- und Industriegebiete sowie Gebiete für Einkaufszentren in Abs. 2 um eine „Kann- Bestimmung“ der Gemeinden handelt“, die sich auf eine aktive Bodenpolitik inklusive Flächenankauf der Gemeinden bezieht, vertritt sie klar ihr Klientel. 

Als Interessensvertreterin der Planer:innen und Architekt:innen formuliert die Kammer der Ziviltechniker:innen Steiermark Kärnten ihre Stellungnahme vorbehaltlich der Kritik, dass die Begutachtungszeit mitnichten demokratiefreundlich ist. Wesentlich ist die Ergänzung bezüglich der Raumordnungsgrundsätze, die gut geheißen, aber als nicht einwandfrei umsetzbar betrachtet werden: „Es wäre dieses an sich positive Prinzip der Siedlungsentwicklung von „innen nach außen“ – hier im Gesetz als zwingender Grundsatz formuliert – daher ergänzend zu erläutern und mit Durchführungsbestimmungen auszustatten, um eine Umsetzbarkeit möglich zu machen.“ Aufmerksam macht der Abschnitt über die Sicherstellung von Flächen für leistbares Wohnen. Man fragt nach einer aktuellen Definition des „leistbaren Wohnens“ und bringt ein, dass sich in der Praxis die Frage stellt, „ob die Flächen enteignet werden oder durch die jeweilige Gemeinde zu „marktüblichen Preisen“ angekauft werden sollen, um sie dann für den „leistbaren Wohnbau“ zur Verfügung zu stellen." Darüber hinaus sieht die Kammer auch im Flächenrecycling Probleme in der praktischen Umsetzung. Heraus hebt die Stellungnahme den Klimaschutzaspekt. Damit gibt sie eine der wenigen Papiere ab, das sich deutlich auf EU Verordnungen und überregionale Klimaziele bezieht. „Es ist sicherlich allgemein bekannt, dass einerseits aufgrund gültiger Verordnungen der EU, andererseits auch der Vorgaben der österreichischen Bundesregierung „Klimaziele“ zu erreichen sind.“ Fehlende umsetzbare Gesetzesbestimmungen und/oder Verordnungen für die Gemeinden diesbezüglich werden eingefordert. Der Kammer fehlen auch Ideen und Angaben zur Erhebung von signifikanten Daten zu Leerständen und deren Mobilisierung. Auch mit den Anmerkungen bezüglich einer Erweiterung bestehender Gebäude im Freiland übt die Kammer scharfe Kritik an der vorgeschlagenen Gesetzesversion.

Die ShoppingCity Seiersberg GmbH hat verfassungsrechtliche Bedenken. Sie sieht eine Ungleichbehandlung verschiedener Handelsbranchen gegeben und formuliert deshalb, dass Verfassungsbeschwerden und mehrjährige Gerichtsverfahren die Folge der vorliegenden Novellierung wären. Grundlegend wird die Gefahr für den Wirtschaftsstandort Steiermark hervorgehoben. Daten oder Analysen, die diese Gefahr bestätigen werden allerdings weder innerhalb der Novelle, noch von der GmbH angegeben. 

Inkonsistenz der Raumordnungsgesetznovelle identifiziert die ARGE Vittinghoff*Pumpernig*Heigl, in einem Mangel an klaren Umsetzungsmaßnahmen für Siedlungsentwicklung und für die von Gemeinden zu beschaffenden Flächen für leistbares Wohnen. Ähnlich anderer Stellungnahmen hat sie auch entdeckt, dass Erweiterungen innerhalb von Freilandzonen deutlich größer ausfallen dürfen, als innerhalb von Dorfgebieten, was letztlich der Idee einer Verdichtung nach innen entgegenwirkt und einer Zersiedelung ins Land in die Hände spielt. Bezugnehmend auf die Auswirkungen auf laufende Bauvorhaben formuliert man: „In jenen Gemeinden in denen ein Paradigmenwechsel aufgrund der geänderten Planungsvoraussetzungen von Nöten ist, muss diese Bausperre früher ausgesprochen werden, um Fehlentwicklungen vorbeugen zu können.“ Man nimmt eine Gegenposition zur WKO ein.

Das Gemeindeforum Steiermark rügt die Aspekte der nicht weiter ausdefinierten Geruchszonen und Mängel bei der Behandlung der Fernwärmeerweiterung. Ähnlich wie andere Stellungnahmen bezeichnet man hier die BGF-Erweiterung in Freilandgebieten als „eigenartig“, da im Gegensatz dazu Dorfgebiete anders behandelt werden: „Die unadäquate Nachverdichtung im Freiland führt zu erhöhten Mobilitätsverhalten und Schaffung weiterer Zersiedelungstendenzen.“ 

Die Initiative Unverwechselbares Graz zeigt viele verschiedene und grundlegende Reformvorschläge auf. „Aktuelle gesellschaftspolitische relevante Raumordnungsfragen wie Bodenverbrauch, Bodenversiegelung, der Klimawandel und seine Folgen, Vorrang für den Ausbau öffentlicher Verkehrswege und alternativer Energieerzeugung“, seien praktisch nicht erfasst. Kritikpunkt ist unter anderen, dass die Abgaben für Leerstand und Zweitwohnsitze, "so moderat sind, dass der immense Bodenverbrauch und die Zersiedelung nicht wirklich eingebremst werden." 

Mehrere Einzelstimmen zeigen generellen Unmut über die zunehmende „Verschachtelung“ des ROGs und des BauGs durch viele kleine Novellierungen. Energie- und Umweltberater Gerfried Cebrat formuliert konkret Vorschläge, wie man grundsätzlicher das ROG hätte ausrichten können. Er argumentiert: „Durch die geringe Besiegelungsdichte in Personen pro km2 ergeben sich nicht nur hohe Aufwendungen für die Infrastruktur wie Wasser/Abwasser/Straßenerhaltung, sondern es steigen auch die Grundstückspreise. Es ist daher sehr wichtig Anreize zu schaffen um die Verdichtung dort zu fördern, wo eine Erschließung bereits vorhanden ist.“ Und ergänzt, „Die zulässige Bebauungsdichte sollte rund um Bahnhaltestellen automatisch ansteigen, der Grünlandanteil dort abnehmen. Im Gegenzug sollten bei nicht bewohnten Gebäuden welche wegen Spekulation verfallen, eine Umwidmung in Grünland - oder dort wo Naturräume verbunden werden sollen - in Naturschutzgebiet möglich sein.“ 

Da neben mehreren Kammern auch viele Gemeinden als Gemeindebund, die Stadt Graz, das Bundes-Finanzamt und die Umweltanwaltschaft Stellungnahmen abgegeben haben, entsteht das Bild, dass vor der Begutachtungsphase wenig Austausch über die Details der Novellierung stattgefunden hat. Die Gemeinde Gleisdorf zum Beispiel trat schon 2021 mit einer Petition an die Landesregierung heran, in der man sich – wohl vergeblich – dafür aussprach, dass Gemeindevertreter:innen in den Prozess der Novellierung eingebunden werden. Einigen Stellen lag dennoch vermutlich schon Mitte März der Entwurf zur Novellierung vor.

Der Tenor der meisten Stellungnahmen ist trotz kurzer Bedenkzeit und teils gegensätzlicher Standpunkte deutlich: Eine grundlegendere und radikalere, weniger kleinteilige Überarbeitung wäre die bessere Lösung. Die vereinzelten Novellierungen könnten versanden oder einfach nicht mit dem Tempo schritthalten, das bezüglich Klimaschutz, Energiewende und Mobilitätswende ansteht. Das wäre alles andere als positiv für den Standort Steiermark. Zudem wird durchgehend mehr Demokratiewille von der Landesregierung eingefordert. 

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