25/04/2012

Intelligente Stadtteilplanung statt Wildwuchs in der Vorstadt

25/04/2012

Smart City Projekt Graz Mitte, Modell

Architektur: Markus Pernthaler Architekten©: Markus Pernthaler Architekten

Ausschnitt der Präsentation des Stadtplanungschefs Heinz Schöttli, Graz.

Exkursion der Tagungsteilnehmer, hier im Hof des revitalisierten Franziskanerklosters.

Heinz Schöttli, Hans Schnitzer und Markus Pernthaler (v.re) erläutern in der Helmut-List-Halle das Konzept des neuen Stadtteils.

Das Modell zeigt die geplante Anlage von Wohnungen, Gewerbe und Infrastruktur rund um die Helmut-List-Halle. Planung: Architekt DI Markus Pernthaler

Auf die Reininghausgründe hin soll sich, nach dem Gebiet um die Helmut-List-Halle, der Stadtteil Graz-Mitte erweitern.

Die abendliche Podiumsdiskussion zur Stadt der Zukunft hob die Sinnfrage von Mobilität, Kommunikation und Konsum auf eine philosophische Ebene. Im Bild v.li: Georg Markus Kainz (Verein Quintessenz), Marion Gabernig (Schülerin HTL Villach), Theresia Vogel (Klima- und Energiefonds), Harald Rohracher (IFZ), Barbara Imhof (Liquifer Systems Group Wien), Erwin Fiala (Institut für Philosophie der Universität Graz). Fotos: J. Schiffer

Die Konzepte von Urbanität haben in den vergangenen Jahrzehnten manch radikalen Wandel durchgemacht. Inzwischen ist die technokratische Fortschrittsgläubigkeit mit ihren utopisch anmutenden Weltraumstädten wieder dem zunehmenden Bewusstsein untergeordnet, dass Stadtviertel in erster Linie Räume für soziale Interaktion und mehr Lebensqualität statt bloßer Effizienz sein sollen.

Während der Smart Cities Days 2012 diskutierten an der TU Graz von 12. bis 13. April internationale ExpertInnen über die „intelligente Stadt“ und die damit verbundenen Herausforderungen an Stadtplanung, Verkehrslösungen und Finanzierung. Neben Umweltaspekten wie Zero-Emission-Ansätzen mittels Solarenergie und E-Mobility stand auch die aktive Partizipation der BewohnerInnen bei der Gestaltung ihres urbanen Lebensraumes im Fokus verschiedener Referate und Workshops. Abgerundet wurde das Themenspektrum durch Best-Practice-Berichte aus Deutschland, der Schweiz, EU-weiten Initiativen sowie den USA.
Rechtzeitig zum Auftakt der Veranstaltung traf aus Wien die erfreuliche Nachricht ein, dass das Smart City Project Graz-Mitte gegen harte Konkurrenz aus anderen Bundesländern den Zuschlag für das einzige Leitprojekt beim 2. Smart City-Call des Klima- und Energiefonds des BMVIT gewonnen hat. Graz erhielt damit als einzige Stadt Österreichs den Zuschlag für ein umfangreiches Smart-Cities-Leitprojekt auf dem ehemaligen Gelände rund um die Helmut-List-Halle mit einem Volumen von Bundesförderungen in Höhe von 4,3 Millionen Euro aus dem Klima- und Energiefonds. Mit einem Gesamtvolumen von 16 Millionen soll hier ein erstes Kernstück des neuen Stadtteils Graz-Mitte bis 2016 als Musterprojekt verwirklicht werden.

Intelligente Stadtteilplanung statt Wildwuchs in der Vorstadt

Als vorbildlich in seiner urbanen Entwicklung gilt seit langem Freiburg im Breisgau, das 2010 sogar mit dem Preis „Europäische Stadt“ ausgezeichnet wurde. In seinem Vortrag referierte Prof. Wulf Daseking, Leiter des dortigen Stadtplanungsamtes, am Vorabend als Gastredner im Grazer Rathaus einen äußerst lehrreichen Einstieg in die Thematik, wie eine mittelgroße Stadt sich intelligent entwickeln kann. Aus seinen Ausführungen wurde für die anwesenden Tagungsteilnehmer schnell klar, dass dazu mehr gehört als das Hinklotzen von modern designten Wohnsiedlungen nebst angeschlossenen Parkplätzen und Shopping-Malls. „Als Stadtplaner bist du Langstreckenläufer (...). Langfristige Planung lautet daher das Rezept“, betonte Daseking.

Für den Stadtplaner Daseking bedeutet das Konzept der „intelligenten Stadt“ das Streben nach dem harmonischen Zusammenspiel von Ökologie, Wirtschaft und sozialen Aspekten. Dazu gehört auch eine konsequente Befolgung der selbst gesetzten Regeln in der Umsetzung von neuen Stadtteilen. Erste Priorität hat noch vor dem Einzug der ersten Bewohner der Anschluss an die öffentlichen Verkehrsmittel und die bestehende Radweg-Infrastruktur, was zum hohen Anteil von 30 % Fahrradverkehr an der gesamten Mobilität beiträgt. Eine soziale Durchmischung von Bereichen mit Einfamilienhäusern und Etagenwohnbauten, die sowohl Eigentums- als auch Sozialwohnungen beinhalten, hat sich bewährt. In den Erdgeschoßen sind durchgehend Geschäfte und Dienstleistungsbetriebe untergebracht, um Arbeitsplätze und regionale Einkaufsmöglichkeiten anzubieten. Kulturelle Einrichtungen, Kindergärten und Schulen runden das Angebot für die BewohnerInnen ab.

Freiburg weist einen hohen Grünlandanteil in geschlossenen Bereichen auf. Außerhalb der dafür vorgesehenen Entwicklungszonen gilt „selbst für einen Bill Gates“ für eine Baugenehmigung ein absolutes Tabu, was sich für das Graz der vergangenen Jahre leider nicht konstatieren lässt. Ein regelrechter Wildwuchs an unterschiedlichsten Wohn- und Gewerbebauten ohne jede planerische Koordinierung hat in den attraktiveren Lagen, vor allem im Osten und Süden der Stadt, früher als Erholungsräume dienende Gebiete sehr zu ihrem Nachteil verändert. Es bleibt zu hoffen, dass eine ähnliche Entwicklung in dem neu geplanten Stadtteil westlich des Hauptbahnhofes vermieden wird.

Lebensqualität im Einklang mit urbanen Strukturen

Die Herausforderungen für die Planung eines ganzen neuen Stadtteils liegen einerseits in Flexibilität bei der Nutzung und andererseits der Akzeptanz durch die Menschen, betonten Heinz Schöttli vom Stadtplanungsamt und Bertram Werle von der Stadtbaudirektion: „Die Stadtplanung initiiert Prozesse, keine vorgefertigten Pläne. Die Vorstellungen von urbanen Konzepten sind rapiden Änderungen unterworfen, was alle Planungen jedoch verbinden muss, ist das Bewusstsein der Komplexität eines transdisziplinären Prozesses, wie ihn die Anlage eines neuen Stadtteils darstellt.“ Damit verbindet sich für beide das Bild der Stadt als Labor, in dem neue Formen des Zusammenlebens erprobt werden.

Trotzdem sei die technische Entwicklung der jüngsten Vergangenheit nicht ohne Folgen für die Stadt der Zukunft, referierte Ina Schieferdecker vom Fraunhofer Institut (Projekt FOKUS) über die Bedeutung der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT): Die Optimierung der Stadt als System von immer komplexeren, ineinander greifenden Systemen erfordert ein ausgedehntes Netz für das Sensoring und Sammeln von Daten. Diese sollen möglichst für die Öffentlichkeit zugänglich sein und dadurch den BürgerInnen bei der Gestaltung des täglichen Lebens behilflich sein. Hans Kramar (Department für Raumentwicklung der TU Wien) berichtete über den globalen Wettbewerb zwischen Städten um bessere Standortqualität für Menschen und Unternehmen. Im Zentrum steht dabei die ökonomisch effiziente, sozial und ökologisch verträgliche Anwendung neuer Technologien für eine Lebensqualität der Bevölkerung und die Profilierung der Stadt im Wettbewerb nach „außen“. Eine Podiumsdiskussion brachte am Abend die philosophische Dimension für die Zukunft der Stadt ins Spiel: „Wie wollen wir leben?“, lautete der Titel der von Richard Obernosterer (Ressourcen Management Agentur) geleiteten Diskussion, u.a. mit dem Philosophen Erwin Fiala. Die Überlegungen der Diskutanten kreisten um die sinnvolle Anwendung von Technik sowie das Bewusstsein der Abhängigkeit von ihr, die den Menschen allzu leicht zu ihrem Sklaven machen kann. Risiken wie mangelnder Datenschutz und Störanfälligkeit von Systemen kamen ebenfalls zur Sprache. Als pointiertes Beispiel simpler, aber intelligenter Mobilität diente das Fahrradfahren, das zugleich den Besuch im Fitnessstudio – der nicht selten per Auto erfolgt – praktisch überflüssig werden lässt.
Am zweiten Tag der Veranstaltung standen Beispiele aus den USA und Kanada sowie Deutschland, der Schweiz und dem EU-Raum auf dem Programm. Einblicke in die kulturell und wirtschaftlich bedingt unterschiedlichen Ansätze in diesen Ländern geben die unter http://www.smartcities.at/service abrufbaren Präsentationen der TeilnehmerInnen.

Verfasser/in:
Josef Schiffer, Bericht
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+