20/07/2018

talkin' 'bout my generation

Sigrid Verhovsek berichtet vom ISG Symposium 2018 in Graz.

Im Fokus der internationalen Auseinandersetzung mit hervorragenden Referentinnen und Referenten aus Deutschland, der Schweiz, USA, Bosnien und Österreich standen Baudenkmäler der 1960er und 1970er Jahre.

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20/07/2018

ISG-Vorstand und ReferentInnen des Internationalen ISG-Symposiums 2018

©: Konstantin Knauder

Vortrag von Architekt Cukrowicz. Im Bild die mathematische Vorstudie zur Fassade des Voralberg Museums in Bregenz

©: Konstantin Knauder

Wenn Referenten Fragen stellen… (in diesem Fall Andreas Dopfer)

©: Konstantin Knauder

Gespräche während der Pause

©: Konstantin Knauder

Wohnhaus von Jože Plečnik in Ljubljana

©: Andreas Ledl

es fliegt, es fliegt…in Ljubljana?

©: Andreas Ledl

Das 9. Internationale ISG-Symposium beschäftigte sich vom 21.- 23. Juni 2018 mit der Frage, ob „New Heritage“, in diesem Fall das Baukulturerbe der jüngeren Vergangenheit, auch im Sinne eines Generationenvertrages soziokulturell bewusstgemacht und verankert werden kann.
Von vielen schlichtweg als hässlich empfunden, verschwinden derzeit viele Bauwerke der 1960er, 70er und 80er Jahre: aufgrund von Renovierungs-bzw. Sanierungsbedarf, weil sie den heutigen Maßstäben oder Normen nicht mehr angemessen sind, die ursprüngliche Funktion verloren gegangen und eine Umnutzung problematisch ist, oder weil sie einer neueren, besseren Investition im Weg stehen. Gerade die experimentelle Verwendung neuer Materialien und Konstruktionen führte oftmals dazu, dass diese ursprünglich innovativen Architekturen leider nur eine sehr kurze Lebenszeit aufweisen.

Am Donnerstag begann das Symposium wie gewohnt mit einem Empfang im Rathaus; leider waren sowohl Geschäftsführer Architekt Hans-Jörg Luser wie auch Mag. Gertraud Strempfl-Ledl erkrankt. Dank des Einsatzes von Doktorin Karin Enzinger, DI Andreas Ledl, ISG-Vizepräsident Arch DI Niklaus Ledergerber und einer perfekten Organisation im Vorfeld verlief die gesamte dreitägige Veranstaltung trotzdem reibungslos. Die offizielle Begrüßung in Vertretung von ISG-Präsident BG Mag. Siegfried Nagl übernahm Gemeinderat Peter Stöckler, danach wurde in einem erfrischenden Doppel-Impulsreferat von Mag. Daniela Freitag und DI Ingrid Frisch auf die Relevanz des Bildungsfaktors Baukultur hingewiesen. Im Anschluss präsentierte DI Dr. Andrea Jany das Projekt SONTE vor Ort in der Terrassenhaussiedlung.

Am Freitag führte dann „Neo-Moderator“ Niklaus Ledergerber durch das umfangreiche Programm im Bernardin-Saal des Franziskanerklosters:
Die Kunst- und Architekturhistorikerin Mag. Dr. Ingrid Holzschuh thematisierte zunächst „Fallbeispiele der österreichischen Nachkriegsarchitektur“, wobei die Frage im Raum steht, wie man dieses Erbe überhaupt erkennen, bzw. bewerten kann. Hier liegt noch einiges an Grundlagenforschung offen, Kenntnisse zu Biografie/Werdegang der weniger bekannten ArchitektInnen „der zweiten Reihe“ sowie dem Wert einiger bereits bis zur Unkenntlichkeit überformter und umgebauter Architektur fehlen.
Den abschließenden Appell von Ingrid Holzschuh, dass an den Universitäten und Architekturfakultäten zu wenig in diese Richtung geforscht wird, konnte DI Dr. Ingrid Böck ein wenig entkräften: Am Institut für Architekturtheorie, Kunst- und Kulturwissenschaften der Technischen Universitäten Graz laufen derzeit Forschungsprojekte zu Franz Schuster und zur Solarenergie-Architektur von Konrad Frey. Das ab 1976 geplante, 1978 – 1985 gebaute Haus Zankel war eines der ersten, wo versucht wurde, alternative Energien auf moderne Art zu nutzen; vielleicht wirkt es deshalb eher wie ein sehr expressives, postmodernes Labor denn wie ein „Familien-Wohnhaus“. Technische Gebrechen machen den finanziellen Aufwand der Erhaltung sehr groß, eine Sanierung wäre kostspielig. Und so kann man die Furie des Verschwindens nur dadurch „zähmen“, indem durch Dokumentation, Analyse und Aufzeichnung zumindest eine Spur erhalten bleibt, wenn schon nicht das Gebäude selbst.
Bei der amerikanischen Rechtsanwältin Susan Nial von Landmark West! stand dann weniger die Baukunst, bzw. das Denkmal im Vordergrund, sondern in ihrem unglaublich engagierten Vortrag dominierte die menschliche Perspektive: Kleinmaßstäbliche Häuser und Wohnblocks, ganze historische Viertel werden von den Hochhäusern großer Investorengruppen immer mehr aus dem Stadtbild von New York, vor allem aus Manhattan, verdrängt. Landmark West! kämpft gegen diese Praktiken an, ist aber trotz bestehender Denkmalschutzgesetze (Bard Act 1956) oftmals auf verlorenem Posten.
Johann Gallis berichtet von „Pannoniens brutalistischem Erbe zwischen Zerstörung und Wiederentdeckung“. Der Aufholbedarf an Schulbauten in den 1960er und 70er Jahren „bescherte“ dem Burgenland eine Fülle von Sichtbeton-Schulen. Als kulturpolitisches Experiment wurden zudem Kulturzentren wie Mattersburg oder Güssing im Stil des Neuen Brutalismus geplant, sowie einige Gesundheitszentren und Krankenhäuser. Nachdem heute bezüglich Brandschutz, Barrierefreiheit oder Bauphysik eine kritische Nutzungsdauer erreicht ist, stehen viele dieser Gebäude vor dem „Verschwinden“.
Dr. Sabina Tanovic MSc., sprach in “The Intangible Heritage: Designing as a Way of Preserving” auch über das immaterielle Kulturerbe; einem kollektiven Gedächtnis von und für Gemeinden, das sich räumlich manifestieren muss, um erhalten zu bleiben. Nach einer Definition des Unterschiedes zwischen Monument und Memorial berichtete sie vom “Path to Escape”, einem Tunnel in Sarajevo, der während des Krieges die von den Serben belagerte Stadt mit „draussen“ verband. Wie soll und kann man ein solches Denkmal “bewahren” und “zeigen”, ohne es in ein Spektakel, ein Gruselkabinett verwandeln?
Helene Schüler BA von der TU München berichtete von einem Studienprojekt, das sich dem „Haus der d…. Kunst/Haus der Gegenwart?“ in München widmete: Dieses erste große „Architektur-Projekt“ Hitlers war als Unterhaltungsgebäude für privilegierte Deutsche von Architekt Troost geplant worden. Die Unterkonstruktion besteht aus einem sehr feinen Stahl-Skelett, auch die Haustechnik war für ein Haus dieser Größe innovativ. Troost hat diese Moderne jedoch unter Neoklassizismus und „Blutdurst“-Marmor gut versteckt. Das von Helene Schüler vorgestellte, auf vielen Recherchen aufgebaute Studienprojekt fasst unter sorgsamer Berücksichtigung der Grundlagen die verschiedenen Möglichkeiten einer Sanierung bzw. eines Umbaues zusammen und stellt dazu verschiedene Aspekte – architektonische, städtebauliche sowie ideologische bzw. künstlerische – vor.
Ein sehr feines, kleinteiliges Projekt wurde von DI Architekt Andreas Dopfer von heneghan peng architects/Berlin vorgestellt: „Das Neue Museum Tonofenfabrik Lahr“, das zum „Impulsgeber einer Stadt im Umbruch“ wurde. Lahr im Schwarzwald hat etwa 40.000 Einwohner und wächst weiter; hauptsächlich durch Zuwanderung. Die Frage „Wer sind wir eigentlich“ stand im Raum, das Auseinanderdriften der städtischen Gesellschaft wurde bemängelt. Unter dem Leitgedanken „Zukunft braucht Geschichte“ wurde durch heneghan peng versucht, einen Identitätsanker zu setzen. Ein vor dem Verfall stehendes Industriedenkmal in prominenter städtebaulicher Lage wurde vor dem Verfall gerettet, „respektvoll“ renoviert und zu einem Museum für die Geschichte der Stadt umgeformt – und das heißt keinesfalls, wie Dopfer betonte, einen klinisch sauberen „Urzustand“ wieder herzustellen, sondern eine neue Perspektive zu schaffen.
Architekt DI Andreas Cukrowicz vom Büro Cukrowicz/Nachbaur in Bregenz sprach als letzter Referent des Tages über Grundsätzliches: Als erstes über die Möglichkeit, immer wieder „Nein“ sagen zu können als Prinzip einer Haltung im „Architekturgeschäft“. Stichworte wie „Wurzeln“ (Herkunft erkennen), „Material“ (nachhaltig, weil lokal und mit dem Ort verbunden), „Handwerk“ (als Gemeinschaftslösung), „Wert“ (keine Wegwerfprodukte bauen) oder „Zeit“ (wenn man ein Objekt liebt, darf es auch in Würde altern) wurden sehr prägnant thematisiert. Weiterbauen bedeutet für Cukrowicz, dass man Eigenheiten respektiert, nichts heiligspricht, aber auch nichts kaputtmacht.

Am Samstag stand die Exkursion nach Ljubljana auf dem Programm. Die letztjährige Referentin Univ. Prof. Architektin DI Marusa Zorec spazierte mit den begeisterten TeilnehmerInnen durch drei Generationen der modernen Architektur, angefangen beim in Ljubljana beinahe allgegenwärtigen Joze Plecnik, dessen eigenes Haus sicherlich einer der Höhepunkte der Tour war, aber auch Bauwerke der zweiten und dritten Architekten-Generation wie Edvard Ravnikar und Stanko Kristl wurden besichtigt. Gerade weil das Programm zeitlich und im städtebaulichen Kontext sehr dicht war, konnte man den inneren Zusammenhang zwischen den jeweiligen Lehrern/Schülern deutlich erkennen; somit wurde auch hier eine Art von Generationenvertrag lesbar.

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