31/03/2022

Talking Heads #1 

Mit der neuen Gesprächsreihe Talking Heads geht der Club Hybrid unter dem Titel Werkstatt für Stadtstücke in der Herrgottwiesgasse 161 in die nächste Runde. 

31/03/2022
©: Claudia Gerhäusser
©: Claudia Gerhäusser
©: Claudia Gerhäusser

Unter dem Titel Werkstatt für Stadtstücke geht der Club Hybrid in der Herrgottwiesgasse 161 in die nächste Runde. Das Projekt ist eines der wenigen, die es geschafft haben sich aus dem Kulturstadtjahr heraus weiterführend einem Programm zum Thema Stadtraum und Lebensraum zu widmen. Themen aus dem Jahr 2021 sollen in diesem Jahr weiter vertieft werden. Ebenfalls soll die Serie der Artist in Residencies mit Künstler:innen und Architekt:innen vor Ort 2022 wieder aufgenommen werden.

Selbst beschreiben die Initiatoren des Projekts den Club Hybrid als „einen Ort des Experimentierens, des Aus- und Darstellens und des Diskurses“. Aus diesem Grund ist eine regelmäßige Gesprächsreihe 2022 geplant, die konkrete Themen der Stadtplanung, der Stadtraumverteilung und der Beziehungen zwischen Stadt und Peripherie aufgreift. Talking Heads heißt diese Reihen, in der lokale Protagonist:innen auf internationale Akteur:innen treffen. Im Zentrum der Gespräche soll Graz stehen, dessen Situation als Ausgangspunkt für überregionale und vergleichende Betrachtungen genutzt werden soll. 

Eine erste Runde der Talking Heads fand am 15.3. im Clubhaus statt. Sie trug den sympathischen Namen Ahnung und Planung – Wem gehört die Stadt, wem gehört sie nicht? und signalisierte damit von Beginn an, dass es um eine Suche nach Stadtmacher:innen und deren Handlungsweisen gehen wird. Gäste der Diskussion waren mit Kai-Uwe Hoffer (Stadtplaner, Stadtbaudirektion Graz), Petra Petersson (KOEN Institut, TU Graz, realarchitektur.de), Ida Pirstinger (Referentin für Stadtentwicklung und Stadtplanung Büro Bürgermeisterin-Stellvertreterin Mag.a Judith Schwentner Stadt Graz, urbandensity.at) und Evelyn Temmel (Institut für Gebäudelehre, TU Wien, beltprojects.eu) vier Architekt:innen bzw. Planer:innen mit Graz Bezug. Thomas Edlinger als Kulturjournalist und künstlerischer Leiter des Donaufestival Krems kam als externe Stimme hinzu. Formuliertes Ziel für den Abend war es, den Austausch zwischen Praxisebene (Planung) und theoretischer Ebene (Ahnung) zu vermitteln, „jedoch ohne sich in den tagespolitischen Ereignissen zu verlieren“.

Thomas Edlinger setzte mit einem kurzen Vortrag über kulturelle Aneignung und Gegenaneignung im Allgemeinen den Rahmen, in dem das Gespräch stattfand. Er vermittelte einen Eindruck der Debatte, die sich um Aneignung von kulturellen Symbolen, von Orten und von Gesten entspinnt, wenn man Aneignung nicht allein als kulturelle Praxis, sondern auch als Besitznahme versteht. Edlinger ließ nicht aus, dass Aneignung fast immer auch diskriminierende Bestandteile aufweist. „Aneignung, Enteignung, Gegenaneignung – wir wissen heute nicht mehr was Wir ist. Cassierer schreibt dazu, dass es kein Wir mehr geben wird, dass es partikular sei, dass es immer ein Sie als Gegner gibt. Ein klarer Gegner führt zwangsläufig zu einem fundamentalistischen, einem zu starken Wir.“ Die Frage nach dem Wer sich Was, Wie aneignet und was die Verwendung von so scheinbar einfach zu definierenden Begriffen wie Wir für Konsequenzen nach sich zieht, veranschaulichte der Leiter des Donaufestivals durch einen Exkurs in die Popkultur. Er erklärte Boy Goerge zum Aneigner und damit zu einem Profiteur kultureller Zeichen von Minderheiten. „Heute“, so Edlinger, „ist die Kunstfigur Boy George mit seinen Videos so nicht mehr möglich. Man bringt der cultural appropriation mehr Skepsis entgegen und erkennt sie als Aneignung von Oben.“ Statt um eine kulturelle Aneignung sollte es explizit um kulturellen Austausch gehen. Im Zusammenhang mit Aneignung oder Übernahme rief Edlinger auch auf, über Copyright nachzudenken. Damit reflektierte Edlinger die in Graz in Stadtdiskussionen kaum differenziert gestellte Frage nach der Urheberschaft der Stadt. 

Ida Pirstinger, neue Referentin für Stadtentwicklung und -planung, sprach in ihren ersten Sätzen die Quintessenz des Abends aus. „Der WIR Begriff ist hier in Graz abhandengekommen. Stadt ist immer ein Gemeinwesen. Viele Häuser sind keine Stadt, viele Menschen, die miteinander interagieren sind eine Stadt.“ Sie sieht die Aufgabe der neuen Stadtregierung in der Beteiligung der Bürgerinnen und in der Arbeit, „an einem gemeinsamen Zukunftsbild und an einer Entwicklungsperspektive der Stadt“. Fast sah es so aus, als wäre damit alles zusammengefasst. Man verlor sich danach in einen zwar informativen und ansatzweise kontroversen Gedankenaustausch über Straßenplanung, anstehende Wohnbebauungen, konkrete Bebauungspläne, Autobahnen und öffentliche Verkehrsinfrastruktur in Graz, zurück auf eine weniger graz-politische Ebene, die auch den Kulturjournalisten Edlinger wieder in das Gespräch eingebunden hätte, schaffte es die Diskussion aber nicht mehr. Bis schließlich der Satz fiel, „Graz solle nun endlich aufhören, sich so falscher Vorbilder wie Wien zu bedienen und seine charakteristischen Eigenschaften mehr wertschätzen und herausarbeiten“. Ein Satz, den Evelyn Temmel in die Diskussion einbrachte und der als Empfehlung zu verstehen war, sich genauer mit der eigenen Verfasstheit – oder wie es jemand aus dem Publikum formulierte damit „wie Graz heute wirklich tickt" – zu beschäftigen und aus dem heraus, Szenarien und Planungen für die Stadt zu entwicklen.

Bemerkenswert ist der Umstand, dass an diesem inspirierenden Ort des Club Hybrids mit seinen temporären und aktionistischen, wie künstlerisch-architektonischen Spielfiguren und Spielobjekten der Graben zwischen Grazer tagespolitischen Problemen und einer übergeordneten Perspektive des Kulturwissenschaftlichen nicht kleiner, sondern tiefer zu werden schien. Statt wirklich mit-einander sprach man nach-einander oder „hintereinander-her“. Zu weit voneinander entfernt für ein gemeinsames Denken schienen die Protagonist:innen auf dem Podium oder vielleicht auch einfach zu höflich, um eine gewisse Verwunderung ob der Zielsetzung dieser Gemengelage eines vier zu eins – vier Planer:innen und ein Kulutrjournalist – auszudrücken. 

„Die Stadt der Zukunft braucht solche Orte, um neue Gesten einzustudieren, die sich dann auch im Alltag bewähren“, formulierte im August 2021 Christian Kühn im Spektrum der Presse bezüglich des Clubs. Die erste Runde Talking Heads könnte eine dieser neuen Gesten werden. Mit etwas mehr Ausgewogenheit zwischen den weiten thematischen Polen, etwas mehr Aktivität von Seiten der Moderation und einem kontinuierlichen Weiterentwickeln der angesprochenen Themen, ist die Reihe alltagstauglich. Auch, weil sie allen Interessierten uneingeschränkt offensteht und von dem Gedanken getragen wird, dass Diskursräume auch Nischen der Nicht-Kontrolle bieten müssen, wollen diese mehr als informativ sein. Für einen detaillierten Einblick in den Gesprächsverlauf sei der auf Facebook abrufbare Stream empfohlen.

Impulsvortrag und Gespräch können nachverfolgt werden auf Facebook: https://www.facebook.com/clubhybridgraz

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