22/03/2021

TYPISCH ÖSTERREICHISCH

Zur Identität der österreichischen Raumkultur

Rezension von Sigrid Verhovsek

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TYPISCH ÖSTERREICHISCH
Zur Identität der österreichischen Raumkultur
Hg.: Printschler, Josef-Matthias
Das Buch enthält neben Texten über 350 Abbildungen, Grafiken, Inforgrafiken, Fotos.
Mit Beiträgen von: Andreas Wolfgang Puck, Benjamin Altrichter, Bettina Landl, c/o now, Josef-Matthias Printschler, Kooperative PRISTA, Lore Stangl, Yusuf von Nemse.
Gespräche mit: Jutta Berger, Horst Ragusch, Unbekannt
Entstanden im Rahmen des Margarethe Schütte-Lihotzky Stipendiums 2019
Verlag: mev - metatektur eigenverlag, Stuttgart, 2020
Softcover, Fadenbindung
ISBN 978-3-9820370-2-8

22/03/2021

TYPISCH ÖSTERREICHISCH. Zur Identität der österreichischen Raumkultur. Aus dem Inhalt. Screenshot von S. Verhovsek, siehe Link > http://www.metatektur.org/

©: Sigrid Verhovsek

Umschlag vorne: TYPISCH ÖSTERREICHISCH. Zur Identität der österreichischen Raumkultur. Screenshot von S. Verhovsek, siehe Link > http://www.metatektur.org/

©: Sigrid Verhovsek

Umschlag hinten. Screenshot von S. Verhovsek,
siehe Link > http://www.metatektur.org/

©: Sigrid Verhovsek

Auf den ersten Blick fehlen mir die Fragezeichen: Gibt es so etwas wie „Typisch österreichisch“ (und was wäre das, angesiedelt zwischen Qualtinger und Sissi). Und: vorausgesetzt, es gäbe darüber hinaus eine typisch österreichische Raumkultur (also einen fahrradfahrenden Fisch) – wie soll man sich deren Identität bloß imaginieren?
Aber ja, als Verhandlungsgrundlage zu einem zukünftigen Diskurs ist die Formulierung durchaus dienlich: Wie schaut – quer durch Österreich – der Bestand an sogenannter anonymer Architektur aus, wie ist unser Raumbild geprägt und wie prägen wir unsere Räume?
So zumindest lautete die Fragestellung des interdisziplinäres Projektes von metatektur (siehe Link > metatektur.org), einer Formation um Josef-Matthias Printschler und Lore Stangl, aus dem schlussendlich diese Dokumentation entstanden ist. Vom Oktober 2019 bis Juli 2020 wurde „im Spannungsfeld von künstlerischer Intervention und theoretischer Auseinandersetzung (...) um eine mögliche gegenwärtige Identität der österreichischen Architektur oder Baukultur“ nachgefragt.
Um es gleich am Anfang zu sagen: An dieser Aufgabe zu scheitern, ist beinahe ein Naturgesetz. Dennoch ist der Versuch nicht nur legitim, sondern wesentlich für die Schärfung der eigenen Position(en).

Der Fokus des vom Schütte-Lihotzky-Stipendiaten Josef-Matthias Printschler im Eigenverlag herausgegebenen Projektberichts liegt auf neun „repräsentativen Siedlungsstrukturen“ Österreichs, wobei behauptet wird, dass dies die neun Landeshauptstädte wären. Zudem sollen vor allem gebaute Strukturen des „Nichtfachmannes“„des Pfuschers, des Amateurs, des Laien, des Dilettanten“ betrachtet werden, anonyme Architektur also.

Bregenz, Innsbruck, Klagenfurt, Graz, Eisenstadt, Wien, St. Pölten, Oberösterreich und Salzburg werden in drei Wochen – vom 19.08.2019 – 06.09.2019 „erfahren“(?) und der roadtrip wird gerahmt durch drei Interviews (Tischgespräch, Turmgepräch, und Anonymes Interview), und „beendet“ durch Positionspapiere geladener AutorInnen wie Bettina Landl, c/o now, Andreas Wolfgang Puck oder Benjamin Altrichter. Zwischendrin findet man immer wieder großformatige Visualisierungen von Daten der Statistik Austria zum Thema Baugeschehen in Österreich, sowie eine sehr hübsche Zeitleiste zum Thema Entwicklung und Nebengeräusche des österreichischen Baugeschehens.

Die Reise beginnt mit einer Einleitung, und hier wird im feuilletonhaften Stil ein bisschen alles oder nichts gesagt. Sätze wie „Die österreichische Architekturseele ist eine 'Häuslbauerseele' (...), die sich zu einem großen Teil von den dazugehörigen und obligatorischen 'Schöner-Wohnen' - Magazinen und Katalogen leiten lässt“ – nun gut, eine Verallgemeinerung, die wir alle schon mal spitzer formuliert haben, wobei unsere eigene Seele natürlich immer ausgenommen wurde.

„Die gegenwärtige Ästhetik der Normalarchitektur geht mit einer Ortlosigkeit und dem Verlust (...) einer ortsspezifischen Identität einher“ – Marc Auge war augenscheinlich Reiselektüre. Aber dann doch auch die Erkenntnis: „Das identitätsstiftende Potential von Gebäuden oder Räumen wird in der jeweiligen Gesellschaft laufend neu verhandelt, transformiert und assimiliert.“
Und der Satz: „Architektur ist kein probates Werkzeug, um gesellschaftspolitische Probleme zu lösen.“ – kann im Sinne von Lucius Burckhardt nicht oft genug widerholt werden, wobei sich die hier angesprochene Hybris tatsächlich weniger bei den „Häuslbauern“ findet, sondern eher bei den „Profis“ im Planungsgeschehen.
Die flankierenden Grafiken sind schön gestaltet, teils extrem informativ, teils jedoch abseits der transportierten ungeheuren Datenmenge eher nichtssagend: Niederösterreich hat in jeder Bauperiode die meisten Neubauten...ist ja auch das flächenmäßig größte Bundesland, und auch die Einwohnerzahl liegt nur knapp unter der von Wien: Das bedeutet, es ist genug Klientel und viel Platz zum Einfamilienhaus-Aufstellen da. Überraschung.

Der innere Monolog der Rundreise besteht aus einprägsamen Bildstrecken, die in ihrer Optik dann tatsächlich eine Art Typologie zeigen, die von Stadt zu Stadt doch erheblich variiert – aber vielleicht liegt das auch am jeweils herrschenden Wetter.

Tisch- und Turmgespräch, die anlass- oder besser ortsbezogen die Reise unterbrechen, sind spannende Interviews – hier wäre ein Mehr sehr schön gewesen. Aber das 'Anonyme Gespräch', ein angeblich abgehörtes Telefonat eines betrunkenen Maurers auf einer öffentlichen Bank, soll anscheinend lustig sein, bewirkt jedoch nur Irritation in Bezug auf die Intention und ist in dieser Form nicht nur aus wissenschaftlicher Sichtweise ein absolutes no-go.

Die Positionen am Ende des Buches stellen zwar die je eigene Position des Autors/der Autorin dar, umranden das ganze Thema, jedes auf eine eigene, kleinteilige Weise, ohne den Anspruch auf irgendeine Allgemeingültigkeit oder das Wissen um eine generelle Typologie zu erheben. Hier ist im Besonderen das Gespräch von c/o now mit der Kooperative PRISTA hervorzuheben, das sehr sensibel und kenntnisreich mit der Thematik der (Architektur-)Identität spielt, immer vor dem Kontrast des jeweiligen Kulturerbes von Österreich und Deutschland.

Fazit
Als Anregung zu einem zukünftigen Diskurs über Möglichkeiten des Typischen durchaus geeignet, aber das der Thematik geschuldete Scheitern ließe sich auch anders, eleganter, feiner gestalten: Die nach der Einleitung kommentarlos aneinandergereihten Reisefotos deuten einen möglichen Weg an, der danach in den Positionen konsequent weiter verfolgt wird – eine Typologie lässt sich vielleicht am ehesten in einem Kanon verschiedener Stimmen und Meinungen herausfiltern.
Die Frage nach dem Typisch Österreichischen bleibt also weiter unbeantwortet, und das ist auch gut so.

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