08/05/2020

Unterwegs immer zuhause

Wie es zum Wohnen auf Rädern kam, erzählt Emil Gruber im

Teil 1 – Die frühen Jahre

08/05/2020

William Gordon Stabels, 1885, sitzend vor seinem 'Wanderer'. Auf der rechten Seite sein Diener Foley. Screenshot E. Gruber, s. Link > spiegel.de

©: Emil Gruber

Der 'Touring Landau' der Pierce-Arrow Motor Company um 1910, Foto: Division of Work & Industry. Bild der PIONIERE-Ausstellung im Erwin Hymer Museum, Bad Waldsee (s. Link > erwin-hymer-museum.de)

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Das 'Fahrbare Haus' von Hermann Kiekebusch um 1910. Bild der PIONIERE-Ausstellung im Erwin Hymer Museum, Bad Waldsee (s. Link > erwin-hymer-museum.de)

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R.R. Conklins 'Landyacht' um 1915, Foto: United States Library of Congress. Bild s. Link > commons.wikimedia.org

©: Wikimedia Commons

Das Gerippe des ersten 'Dethleffs' um 1931, Foto: Dethleffs GmbH. Screenshot E. Gruber, s. Link > dethleffs.de

©: Emil Gruber

Einleitung
Die Covid19 Maßnahmen werden in den nächsten Monaten dramatisch unser Sommerurlaubsverhalten verändern. Abgesehen davon, ob wir überhaupt Österreichs Grenzen überschreiten können, stellen sich auch bei einem Inlandsaufenthalt viele Fragen. Wie reglementiert wird das Übernachten in den Fremdenbeherbergungsbetrieben tatsächlich sein? Wieviel Zeit wird vergehen von der Reservierung bis zum tatsächlichen Platz in einem Restaurant? Wie lange darf/soll man/frau überhaupt nach dem Essen an einem Lokaltisch gemütlich sitzen bleiben, wenn jede weitere Konsumation für Wirte zählen wird? Wird sich der Lock-Down-Umsatzverlust in der Preisgestaltung der Gastronomie auswirken? Werden Schutzmasken, Desinfektionsmittel und Plexiglastrennwände überhaupt Lust auf Hotel und Lokal erzeugen? 
Das selbstbestimmte Reisen könnte heuer eine wichtige Rolle im Urlaub spielen. Ein Teil der GAT-Leser wird diese Variante kennen, vielleicht regelmäßig nutzen. Als Alternativ-Tipp für den Sommer daher eine dreiteilige Geschichte des mobilen Wohnens in der Freizeit. Nur das „Bleib dahoam“ ist geräumiger.

Teil 1 – Die frühen Jahre
“The man who is master of a caravan enjoys that perfect freedom which is denied to the tourist, whose movements are governed by the time-table. He can go where he likes, stop when he lists, go to bed at the hour which suits him best, or get up or lie daydreaming, knowing there is not a train to catch nor a waiter’s convenience to consult. If the neighbourhood does not suit the van-dweller, all he has to do is to hitch in the horses and move to more eligible quarters. The door of his hotel is always open. There is no bill to pay nor anybody to ‘remember;’ and, if the accommodation has been limited, the lodger cannot complain of the charges. In a caravan one has all the privacy of a private residence…" (aus: William Gordon Stabels, The Cruise of the Land-Yacht ‘Wanderer‘ – Thirteen Hundred Miles in my Caravan, 1886)
Mit der Nutzung von Pferden oder Ochsen als Zugtiere in der Menschheitsgeschichte begann die Zeit von Karren und Wagen als Transportmittel. Sie waren offen, mit Planen überdacht, klassische Kutschen, aber auch schon rudimentär gezimmert, wie die Karren der immer auf Wanderschaft befindlichen Schafhirten. Die ersten Vorläufer von Wohnmobilen kamen Anfang des 19. Jahrhunderts auf. Diese kompakt aus Holz gebauten Pferdewagen wurden noch ausschließlich für Menschen, deren Arbeit ständigen Ortswechsel verlangte, genutzt: Schausteller, Zirkusmenschen, fliegende Händler, Feldarbeiter oder Forschungsreisende hatten so Werk- und Wohnstatt zugleich. Mitte des Jahrhunderts entdeckten Sinti und Roma, die bisher in Zelten lebten, den Wohnwagen als neues Transportmittel.

1885 ließ sich der Arzt und Abenteuerschriftsteller William Gordon Stabels dann den ersten Wohnwagen für ausschließlich private Zwecke konstruieren. Der Wanderer war ein luxuriös ausgestattetes Gefährt. Die Wände bestanden aus Mahagoni. Ein kleines Kücheneck war im Eintrittsbereich vorhanden. Im Salon gab es einen Tisch und das Sofa wurde für die Nacht zu einem Bett umgewandelt. Ein Perserteppich zierte den Boden. Kerzenständer und Uhr waren an den Innenwänden befestigt. Halterungen für Musikinstrumente sowie für „a navy sword“ und „a good revolver“ sicherten Objekte der Muse und der Sicherheit. Der von zwei Pferden gezogene Wanderer wog über zwei Tonnen. Stables erste Reise ging von England nach Schottland, ständig bestaunt von der Bevölkerung. Auf unübersichtlichen Straßenabschnitten wurde sein Diener mit einem Dreirad vorausgeschickt, um entgegenkommende Gefährte und Reiter vor dem besonderen Transport zu warnen.
"The roof of the Wanderer is painted white. I am often asked, Is it not very hot in summer? But the answer is “No, because with the doors open there is always a delightful breeze. Then, wood being a conductor, and there being so much ventilation, as soon as the sun goes down the caravan becomes as cool as can be desired." (aus: William Gordon Stabels, The Cruise of the Land-Yacht 'Wanderer' – Thirteen Hundred Miles in my Caravan, 1886)

Der Wanderer fand rasch Nachahmer in Großbritannien. Aus zehn Männern und einer Frau bestand 1907 der erste Caravan-Club. Die sich selbst als „Gentlemen Gypsies“ bezeichnenden Gründungsmitglieder wählten Gordon Stabels zum ersten Vorsitzenden. In den USA schuf 1910 die Pierce-Arrow Motor Company mit dem Touring Landau, einem Vorläufer der Motorhomes, das erste selbstfahrende Camper-Mobil. Es hatte, neben ausgetüftelten Stauräumen im hinteren Teil,einen Schlafplatz, ausziehbare Stufen und sogar eine Indoor-Toilette. Ebenfalls 1910 ließ sich der deutsche Kunstmaler Hermann Kiekebusch praktisch ein Haus mit drei Zimmern, Küche und Toilette um ein Auto bauen. Trotz einziehbarer Wände war die Breite der Konstruktion für eine normale Straßenbenützung nicht geeignet. In Frankreich tüftelten Marcel Carre und sein Sohn Alain an einem ersten Wohnmobil. Sie bauten dazu einen Renault um. Im hinteren Teil des Wagens fügten sie zwei Kojen übereinander ein. Die untere Koje war faltbar, wurde nachts zu einem Doppelbett. Aus Essecke mit Tisch und einem Holzofen, der auch als Herd verwendet werden konnte, bestand der vordere Bereich. Das Auto hatte Platz für vier Personen, wog 2,7 Tonnen. Es wurde nach dem Bezirk benannt, in dem es zugelassen war: Loiret.
Den eigentlichen Ur-Wohnwagen entwickelte der Engländer W.A. Riley. 1913 setzte er eine speziell konstruierte Wohneinheit auf das Chassis eines Talbot. Der 1.Weltkrieg unterbrach aber die weitere Arbeit. Einen der ersten Wohnwagen, der an ein Automobil gehängt wurde, stellte 1914 der Engländer Fredrick Alcock her. Das Design war fortschrittlich. Der Caravan hatte für die Zeit eine revolutionäre Bauweise. Er war stromlinienförmig, im Profil ähnelte er einem Vogelflügel. Ein Lancaster des gleichen Jahrgangs wurde sein Zugfahrzeug. Auch hier verhinderte der Krieg eine mögliche Serienproduktion. 1915 wurde in den USA ein Wohnmobil auf ein Busfahrgestell gesetzt. Roland Ray Conklin, ein vermögender Investor und Immobilienmogul, wollte für seine Reise von New York nach San Francisco keinen Komfort missen. Das Fahrzeug wurde mit drei separaten Räumen, einem Badezimmer, sowie einer Terrasse mit Sonnenliegen auf dem Dach ausgestattet. Ein Heizkessel sorgte für heißes Wasser und Wärme in den Räumen. Stauräume für 100 Kilo Eis und Lebensmittel für zwei Wochen vollendeten den Luxus.
Ab 1919 begannen Automobile mehr und mehr die Pferde als Zuggerät zu ersetzen. In diesem Jahr nahm in Birmingham auch W.A. Riley, nun gemeinsam mit seinem Sohn die Arbeit an seinem Wohnwagen wieder auf. Inspiriert von den Verwundetenversorgungs-Trailern an der Kriegsfront, gelang ihnen das erste Serienmodell eines Wohnwagens. Rund 50 Stück des Eccles Caravan wurden in einem ersten Abschnitt gebaut. Alle konnten verkauft werden.
Ein anderer Wohnwagenpionier aus 1919 hatte weniger Erfolg, obwohl er bei den Materialien sehr visionär dachte. Richard St. Barbe Baker verwendete für den Prototyp seines Wohnwagens überschüssige Teile aus der noch jungen Luft- und Raumfahrtindustrie. Jahrzehnte später werden solche leichtgewichtigen Elemente Standards im Wohnwagenbau werden. Sein Navarac war jedoch mit vier Rädern nach dem Vorbild der Pferdekutschen ausgestattet. Diese Bauweise war aber zu dieser Zeit zugunsten der Zweiradbauweise nicht mehr gefragt. Die Produktion des Navarac kam nie in Schwung und wurde wieder eingestellt.
In den Roaring Twenties war dann endgültig in den USA und in Großbritannien ein regelrechter motorisierter Camping-Boom ausgebrochen. Mehr und mehr Hersteller wie Piggot Brothers, Raven, Cox, boten ihre Modelle an, Campingplätze schossen aus dem Boden, Fachzeitschriften berichteten über die moderne Art der Freizeitgestaltung. Bertram Hutchings, eigentlich auch ein Pionier, der schon in den 1910er Jahren noch von Pferden gezogene Wohnmobile entwarf, gründete seine Winchester Company. Mit dem Voyageur brachte Hutchings ein regelmäßig adaptiertes, für lange Zeit sehr erfolgreiches, Modell auf den Markt.
Am europäischen Kontinent kam das Phänomen „Wohnwagen“ erst viel später durch die Beziehung zwischen einem Peitschenfabrikanten und einer Landschaftsmalerin in Schwung. Fridel Edelmann störte es sehr wegen der vielen Dienstreisen ihres zukünftigen Ehemanns ständig Trennungen in Kauf nehmen zu müssen. „So etwas Ähnliches wie einen Zigeunerwagen, in dem wir gemeinsam fahren und ich noch malen könnte, das wäre das Richtige für uns“, schrieb die Künstlerin 1931 an Arist Dethleffs. Der war sofort Feuer und Flamme. Gemeinsam entwickelten sie die Pläne. Nach nur wenigen Monaten hatten sie ihr „Wohnauto“ fertig. Der erste Caravan Deutschlands, der an ein Automobil gehängt werden konnte, war einsatzbereit. Das vollständig aus einem ummantelten Holz-Gerippe bestehende Gefährt hatte sogar eine Waschmaschine mit an Bord. Dethleffs mit Sitz in Isny im Allgäu ist heute der größte Hersteller in Europa. Rund 12.000 Reisemobile und Caravans werden jährlich gebaut.

Fortsetzung folgt…

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