26/11/2014

Die Urban Future Global Conference fand am 18. und 19. November 2014 im Messe Congress Graz statt, wo über 1000 KonferenzteilnehmerInnen aus 43 Ländern die Zukunft der Städte diskutierten.
Mehr als 190 ReferentInnen sprachen zu den Themen Mobility, Ressources/Energy, Communications, Living & City Planning und Government.

GAT berichtet in 4 Teilen:

City Planning

Die, 25.11.2014

Communications

Mi, 26.11.2014

Living

Do, 27.11.2014

_ Urban Future Bar

Fr, 28.11.2014

26/11/2014

URBAN FUTURE Global Conference 2014 in Graz

©: Stadt Graz - Baudirektion

„The past is always tense, the future perfect.”
Zadie Smith

Die Lunchpausen waren gerade lange genug, um sich auf der Urban Future Global Conference zwischen bis zu sechs parallel laufenden Sessions zu entscheiden. (Die Entscheidung nach der richtigen Menüwahl wurde davon beinahe in den Hintergrund gedrängt.)

Nach einem sehr interessanten, wenn auch nicht wirklich innovativen Opening von Living und City Planning (Kommentar von Chair Jean Marie Corneille Meuwissen, O.Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn. Architekt an der TU Graz: smart is nice…) fiel meine Tageswahl auf den Themenblock Smart Communications, gestaltet von der Karl-Franzens-Universität Graz.

Groß- und Kleinprojekte in Ballungsräumen
Demokratische Entscheidungsfindung im Spannungsfeld der Interessen

Entspannt eingeleitet von Chair Univ.-Prof. Dr. Stefan Storr, Vize- und Forschungsdekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, waren in dieser Session sehr unterschiedliche Persönlichkeiten und immenses Fachwissen aus Forschung und Praxis versammelt.

Der erste Vortrag vom Politologen Dr. Prof. Wolf Linder von der Universität Bern kreiste mangels einer „existierenden einheitlichen Theorie zur urbanen Politik“ um einen topologischen Ansatz und beschrieb fünf gravierende demokratische Probleme der Stadt, deren Auflösung großes Regenerationspotenzial beinhalten würde:

  • Demokratische Präsentation
    Die Auflösung der Stadt in Kernstadt und Umland verlagert eine ehemals politische Einheit auf mehrere Entscheidungsebenen, der zudem die räumliche Deckungsgleichheit fehlt. Das Verkehrssystem (Verbund) funktioniert auf Basis anderer Grenzen oder räumlicher Einheiten, wie zum Beispiel die Stadtplanung oder das Gesundheits- oder Versorgungssystem. Für den Bewohner stellt sich die Frage, wer wo wie vertreten ist, ein Forum für Gesamtfragen fehlt.
  • Fiskalische Inzidenz
    Der Verlust der räumlichen Deckungsgleichheit spiegelt sich wiederum in der Frage von Zahlern und Nutzern, eine Diskussion, die bei kulturellen Belangen (wer zahlt für das Stadttheater, das auch die Bewohner des Speckgürtels nützen) oftmals, bei Fragen der Segregation (Oberschicht kann sich weite Wege zu Arbeitsplätzen in der Stadt leisten) weit seltener geführt wird. Gerade diese Frage ist aber nicht immer monetär zu lösen: Wie will man die Luft- oder Lärmverschmutzung in einer Stadt der immer längeren Wege finanziell abgelten? Die Intransparenz der Frage (wer wird wirklich benachteiligt) endet bei Verhandlungslösungen zudem oft im biblischen „Wer hat, dem wird gegeben“.
  • Relevanzverlust demokratischer Entscheidungen im Prozess der Globalisierung
    Von – zugunsten des Städtewettbewerbs mit Steuererleichterungen – gekeilten Großinvestoren ohne lokalgesellschaftliche Einbettung kann man sich kaum verantwortungsvoll gestaltende Stadtplanung erwarten.
  • Konfliktintensität urbaner Politik
    Jede Agglomeration ist nicht nur ein Zentrum per se, sondern bedeutet gleichzeitig durch die Zerstörung der Umwelt und der regionalen Kultur sowie durch die Zunahme gesellschaftlicher Ungleichheit ein wachsendes Protestpotenzial, das aber durch die Zerstörung der Agora keinen öffentlichen Raum mehr zur Verfügung hat. So findet neben dem Typus des immer passiver agierenden Wahlvolkes auch eine gewisse Institutionalisierung der Proteste als globaler Trend statt, in dem die Rolle der Social Media noch nicht ganz deutlich abzusehen ist.
  • Großprojekt Stadtteil
    In diesem Sonderproblem, das zugleich eine große Chance darstellt, kumulieren nun alle vier Probleme. Ein neu zu gestaltender Stadtteil ist eine urbane Welt ohne Bürger, die ja bei der Planung noch nicht da sind. Durch diese neuen Dörfer entstehen aber möglicherweise auch neue Formen der Demokratie – „Macht aus dem Nichts“. Neue Partizipationsformen bieten gerade hier enormes Potenzial, wobei aber die Bilanz der bürgerschaftlichen Teilnahme von Machtlosigkeit bis zu großem Einfluss variiert.

Univ.-Ass. MMag. Dr. Harald Stelzer vom Institut für Philosophie an der KFU referierte über das Thema der politischen Gerechtigkeit. Die in der Stadt als einem immens verdichteten Raum auftretenden divergierenden Forderungen verlangen nach einem allgemein annehmbaren Ausgleich: Im Idealfall eine Entscheidungsfindung, die unparteiisch alle Bedürfnisse berücksichtigt und allen Betroffenen ein Mitspracherecht gewährt. Dieser Anspruch scheitert, wie in der gleich darauf folgenden Diskussion schnell klar wurde, meist schon an der Frage nach der Grundgesamtheit: Wer ist eigentlich genau betroffen und darf mitentscheiden?

Direkt anschließend an die Frage nach gerechter Entscheidungsfindung folgte ein sehr interessanter Impuls von Dr. Erich Visotschnig (ISYKONSENS International): Entscheidungen unter Mitwirkung Vieler: Systemisches Konsensieren. Dargestellt wurde diese Idee sehr eingängig durch ein einfaches Rechenmodell mit vier Freunden, die gemeinsam essen gehen wollen und sich unter vier Restaurants für dasjenige entscheiden, gegen das jeder der Beteiligten am wenigsten einzuwenden hat. „Nicht das soll geschehen, was die meisten wollen, sondern was den wenigsten weh tut.“ Konsens durch den geringsten Gruppenwiderstand klingt im Ansatz logisch, aber in der Fragerunde kamen schnell berechtigt scheinende Einwände:
Bekommt dann nicht automatisch derjenige Recht, der am lautesten und schnellsten NEIN schreit? Bis zu wie viele Menschen können an einer solchen Art der Entscheidungsfindung erfolgreich teilnehmen? Wenn jeder sich selbst vertritt, wer vertritt dann das Gemeinwohl, wer schützt die Schwachen?

Der vierte Vortrag des Tages von Magistra Cornelia Maier vom österreichischen Umweltdachverband behandelte umweltrelevante Einwendungen bei Großprojekten: Öffentlichkeitsbeteiligung durch NGOs anhand der Umweltverträglichkeitsprüfung der Staustufe Graz-Puntigam. Dem großen Aufwand, den Bürgerinitiativen als Parteien in UVPs haben (enormer Zeitaufwand, Rechtsschutz, Finanzierung organisieren, Unterstützung aquirieren), steht oftmals nur geringer Erfolg gegenüber: Der Vorzug von wirtschaftlichen Interessen bedingt, dass ca. 90% aller Projekte nach langer Zeit doch genehmigt werden – umweltverträglich (?) –, wobei hierfür manchmal einfach die geltende Gesetzeslage angepasst wird.

Tenor aller vier Redner der Session

  • Partizipation formt (Erfolg stimuliert, Misserfolg deprimiert).
  • Frust über zu geringe Teilhabe am Entscheidungsprozess führt zu Rückzug und zu noch geringerer Teilhabe.
  • Bürgerbeteiligung ist nicht nur wünschenswert, sondern eine große Chance, alle Menschen wieder in den politischen Prozess einzubinden.
  • Bürgerbeteiligung erfordert zumindest beratende, umfassende Information durch die sogenannte „Führungselite“.

In der anschließenden Diskussion kamen die konträren Zugänge vor allem bezüglich Durchführung einer Partizipation nochmals zur Sprache. Aber genaugenommen gehört  dieses gemeinsame, diskursive Aufstellen der Regeln ja bereits zu diesem besonderen Prozess einer Beteiligung.

Terminempfehlungen

Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+