30/08/2022

Verkauft. Die letzten Tage im Wiener Funkhaus 

Das Wiener Funkhaus, ein legendäres Radiogebäude aus den Dreißigerjahren wurde 2016 verkauft um dort Luxuswohnungen zu errichten. Die Radiomacher*innen übersiedeln nach und nach auf den Küniglberg, wo sie in Zukunft weitab vom Stadtzentrum in Großraumbüros arbeiten werden. Ein zugegebenermaßen sentimentaler Blick auf ein Architekturjuwel von Sabine Nikolay, die das Privileg hat, seit 2005 ständig im Wiener Funkhaus zu arbeiten.

30/08/2022

ORF Funkhaus, Argentinierstraße 30A, 1040 Wien

©: Redaktion GAT

ORF Funkhaus, Sabine Nikolay im Eingangsbereich zum Radiokulturhaus

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ORF Funkhaus, Sabine Nikolay im "Großen Sendesaal"

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ORF Funkhaus, Sabine Nikolay im Studio

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ORF Funkhaus, Stiegenaufgang im Foyer

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ORF Funkhaus, hofseitig

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ORF Funkhaus, Blick in den Garten des Theresianums

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ORF Funkhaus, Deckenleuchten

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ORF Funkhaus, Sabine Nikolay in ihrem Büro

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In einem österreichischen Leben das Mitte der Sechzigerjahre begonnen hat, spielte das Wiener Funkhaus eine wichtige, ja geradezu identitätsstiftende Rolle. Seine Adresse - Argentinierstraße 30A, 1040 Wien - kannte ich wie es mir scheint schon immer. 

Das Wiener Funkhaus ist nicht irgendein Gebäude. Es ist kein seelenloses Bürohaus in dem sich eben auch Studios befinden. Das Wiener Funkhaus ist ein Symbol für Österreichs Geschichte ebenso wie ein Ort, an dem diese Geschichte mitgestaltet, geschrieben, vermittelt und aufbewahrt wird. Das Wiener Funkhaus – wiewohl aus der dunkelsten Zeit der Republik Österreich stammend – stand zunächst für den Ort an dem die Propaganda gemacht wurde. Das Radio trieb die Massen an den Volksempfängern an. Schon vor 1945 war das Radio allerdings auch jenes Medium, über das man freie Informationen erhalten konnte, wenn auch unter Lebensgefahr. Heute ist das Funkhaus ein Symbol für Demokratie, Presse- und Redefreiheit in einer für Journalistinnen und Journalisten nicht gerade einfachen Ära. Es gilt, sich gegen falsche Informationen durchzusetzen, gleichzeitig aber die neuen Kanäle im Netz zu nutzen, selbst nicht Falschinformationen aufzusitzen und auch, sich nicht instrumentalisieren zu lassen – und das bei zunehmend prekären Arbeitsverhältnissen, auch im staatlichen Medienunternehmen ORF. 

Das Funkhaus ist ein Stiljuwel aus den Dreißigerjahren. Eine architektonische Ikone mit zahlreichen denkmalgeschützten Flächen, eines der letzten bis vor kurzem zur Gänze erhaltenen Zweckgebäude aus einer architektonischen Ära in der die Wiener Schnörkel einer funktionalen Klarheit wichen, in der aber doch Ästhetik im Detail, durchdachte Raumgestaltung und die Möglichkeit für einen Arbeitsalltag mit hoher Lebensqualität gegeben sind. 

Im Jahr 1935 begann der Bau des Wiener Funkhauses nach den Plänen von Heinrich Schmid und Hermann Aichinger unter Mitarbeit von Clemens Holzmeister. Auftraggeber war die 1924 gegründete staatliche RAVAG, die Vorgängerin des ORF. Als reichsdeutsche Truppen am 12. März 1938 die Grenzen zu Österreich überschritten, war der Bau noch nicht fertiggestellt. Hitlers „Anschlussrede“ vom 15. März 1938 wurde noch aus dem Ravag-Gebäude in der Johannesgasse 4A und vom Sender Bisamberg ausgestrahlt. Die RAVAG wurde von den neuen Machthabern aufgelöst und in die Reichsrundfunkgesellschaft eingegliedert. Der „Reichssender Wien“ wurde zu einer der gleichgeschalteten Außenstellen des „Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda“. 

Die neuen Machthaber ließen das Funkhaus fertig stellen. 1939 erfolgte die Inbetriebnahme des Hauses nach den unveränderten Plänen von Schmid, Aichinger und Holzmeister. 

Das Funkhaus war ein architektonisches Meisterstück und ist bis heute, nach seinem Verkauf und dem bereits begonnenen Umbau, ein Meisterwerk geblieben. Ein Büro- und Sendergebäude, das – wenn auch mit zahlreichen Erweiterungen, Renovierungen und Neueinbauten sowie technischer Nachrüstung – seit 83 Jahren seinen Zweck erfüllt – und mehr als das. Den Radiomacherinnen und Radiomachern wurde im Haus eine hohe Lebensqualität geboten. Sie saßen in Zimmern zu maximal vier Personen, meistens aber zu zweit und die Chefs ohnedies immer alleine. Zimmer, die die richtige Größe hatten, die man persönlich gestalten konnte. Zimmer mit Schiebefenstern aus den Dreißigerjahren die man öffnen, und aus denen viele von uns einen Blick in den grünen Theresianum-Park genießen konnten. Das wichtigste an den Zimmern war allerdings die Türe. Eine Türe die man zumachen konnte, die garantierte, dass die hohe Qualität unserer Sendungen gewahrt blieb: in Stille und Konzentration konnten wir schneiden, texten und fertige Beiträge abhören. Die relativ kleinen Büros waren auch die Chance, die Pandemie ohne Sendeausfälle zu überstehen: wir machten uns innerhalb der ersten Woche einen Plan, wie wir aus dem Homeoffice arbeiten und nur für Produktionen und deren Vorbereitung ins Haus kommen konnten ohne Kolleginnen und Kollegen zu treffen. Die Regieplätze, in denen man mit einem Tontechniker oder einer Tontechnikerin an einem Beitrag arbeitete haben fast alle Fenster, die man öffnen kann. Mit Masken und regelmäßigem Lüften kamen wir gut über die Lockdowns. 

1945 wurde das Funkhaus bei Bombenangriffen schwer beschädigt. Ein Teilbetrieb konnte jedoch aufrecht erhalten werden und am 6. April 1945 ging die letzte Sendung des Reichssenders Wien über den Äther. Nach dem Ende des 2. Weltkriegs teilten sich die Besatzungsmächte das Haus. Es wurde zur Heimstätte eines französischen, britischen, amerikanischen und sowjetischen Besatzungssenders. 1953 folgte die Gründung des Österreichischen Rundfunks, der ebenfalls aus dem Funkhaus sendete. Kurz danach erfolgte der Wechsel zum UKW-Spektrum, der Sender Kahlenberg ging in den Versuchsbetrieb. 

Ab 1955 sendete der österreichische Rundfunk mit einem über die Jahre erweiterten Spektrum an Radio- und Fernsehsendern aus dem Wiener Funkhaus. 

Doch das Haus war und ist mehr als „nur“ ein Radiogebäude: Es ist ein Ort der Begegnung. Wie oft habe ich bei Interviewanfragen am Telefon den Satz gehört: „Sind Sie im Funkhaus? Ja? Na dann komm’ ich zu Ihnen! Es ist immer schön in dieses Haus zu kommen!“ Ein Sentiment das viele Kolleginnen und Kollegen auch nach Jahren der Arbeit dort teilen.

Ich erinnere mich an meinen allerersten Besuch im Funkhaus. Ich war sprachlos, die Architektur war geradezu überwältigend. 

Wenn man die Eingangstüren durchschritten hat, steht man in einer hohen lichten Halle die zur Gänze mit Naturstein ausgekleidet ist. Ein paar Stufen führen hinauf zum Empfang. Rechts und links führen Treppen vor Glasziegelwänden zu Arbeitsräumen und Treppenhäusern. Weiter vorne links befindet sich die offene Treppe zum dritten Stock. Sie liegt zur Gänze vor einer Glaswand. Wer hier hinaufsteigt, kann in den angrenzenden Garten und Park schauen. Das Treppengeländer ist ein Wunderwerk des Designs der Dreißigerjahre. Die Gangbereiche vor den Etagen sind  großzügig gestaltet mit zusätzlichen Fenstern nach Norden. An den Decken und Wänden sind die Original-Lampen angebracht und im dritten Stock steht ein alter Besprechungstisch auf dem Gangplateau: massives dunkles Holz mit ebensolchen ledergepolsterten Sesseln. 

Neben dem Empfang im Hochparterre liegt das mit einer Glaswand abgetrennte „Aquarium“, ein gartenseitiger Sitzungssaal in den ab dem frühen Nachmittag die Sonne scheint. Davor hohe Bäume. Naturstein an den Wänden, Originallampen und eine alte Uhr sind noch vorhanden, ebenso wie die schon etwas wackeligen Fenster und Holz-Jalousien. Die Fenster gehen bis auf Kniehöhe hinunter, an Nachmittagen hört man die Stimmen der Kinder der benachbarten Schule. In einer Ecke ist ein Waschbecken aus Marmor mit Messingwasserhahn und es gibt einen kleinen Abstellraum in dem Büromaterial, Mineralwasser, Möbel und allerlei technische Hilfsmittel aufbewahrt wurden. Jedes Detail hier ist durchdacht und aufwändig gestaltet. 

Ja....und dann wären da noch das Studio 3 mit den Wandgemälden von Hilda Jesser, der denkmalgeschützte Sendesaal mit Originalbestuhlung – jeder Sitz ist fußfrei und quietscht, kracht oder knirscht garantiert nicht. Weiters die Künstlergarderoben für das bis heute bestehende Rundfunkorchester, das legendäre Hörspielstudio mit Badezimmer, verschiedenen Bodenbelägen und Treppen und allerlei Gerätschaft mit denen man Sounds erzeugen konnte. Vieles davon erscheint uns heute nicht mehr zeitgemäß? Mag sein. Aber ob wir wirklich im Großraumbüro das Ö1-Programm in der gewohnten Qualität produzieren können, werden wir sehen -  nein - ....... hören. 

Apropos sehen: 

Als allerletzte Ausstellung vor dem Umzug der Ö1-Crew auf den Küniglberg werden seit 1. Juli 2022 im Gang vor der Kantine Arbeiten des Wiener Malers Christoph Srb gezeigt: zweieinhalb Jahre lang porträtierte er Ö1-Mitarbeiterinnen und –Mitarbeiter und gab den bekannten Stimmen damit Gesichter. Sie alle werden von diesem Ort, der so viele Jahrzehnte eine besonders hohe Bedeutung für die demokratische österreichische Zivilgesellschaft war, verschwinden.

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