20/05/2009

Ute Angeringer-Mmadu im Gespräch mit Johnny Winter (Sargfabrik) im Rahmen der Artikelserie der ARGE W:A:B zum Baugruppenthema.

20/05/2009

Einblicke von außen: das Badehaus

©: Ute Angeringer-Mmadu

Wohnanlage Sargfabrik, Schwimmbad,Planung: BKK-2 ZT GmbH. Foto: © Herta Hurnaus

Wohnanlage Miss Sargfabrik, Straßenfassade, Planung: BKK-3 ZT GmbH. Foto: © Herta Hurnaus

Zersiedelung in der Steiermark, Bezirk Hartberg, Foto: E.mil

Einfamilienhausidyll in der Steiermark, Foto: E.mil

im Vergleich dazu: Luftaufnahme Bayern, Deutschland, Foto: E.mil

Kulturhaus Sargfabrik, No Chicken in the Bus, 05.03.2009, Foto: Kulturhaus Sargfabrik

Sargfabrik, auch nach 13 Jahren gibt es noch immer wenige Vorhänge, Foto: uam

Wohnanlage Sargfabrik, Blick vom Innenhof,Planung: BKK-2 ZT GmbH. Foto: © Herta Hurnaus

Was spricht gegen langfristig, nachhaltig und selbst gestaltet?

Von Ute Angeringer-Mmadu

Oder anders gefragt: Warum haben die Sargfabrik und ihre Miss trotz ihrer Vitalität und Ausstrahlungskraft noch immer keinen Nachwuchs? Auf der Suche nach möglichen Antworten auf die Frage, warum wir noch immer in den Westen Wiens zur ehemals größten Sargfabrik der Donaumonarchie pilgern, zu einem äußerst lebendigen "Wohnmodell", dessen Protagonisten beispielgebend zeitgemäße Anforderungen an das "Wohnen" formulierten, umsetzten und noch immer vorleben. Im Gespräch mit Johnny Winter, einem der Architekten der Sargfabrik und der Miss Sargfabrik.

Nähert man sich dem "Wohnen" abseits seiner technisch-ökonomisch-juridischen Definition als dem Verfügen über Wohnraum, auf der philosophischen Ebene, dass Wohnen untrennbar und wesentlich mit der menschlichen Selbstdefinition in Raum und Zeit verflochten ist und Seins- und Sinnfragen, vermutlich seit den frühesten Tagen der Menschheitsgeschichte, berührt (Alfons Dworsky), so stellt sich die Frage, ob wir die Entscheidung darüber, wie wir wohnen wollen, wirklich Werbestrategen, Wohnbau- und anderen Entscheidungsträgern überlassen wollen.

Denn eigentlich spricht gar nichts gegen das Bauen in der Gruppe!
Außer, dass es einiger Menschen bedarf - je mehr desto besser - die bereit sind, sich auf den Prozess des gemeinsamen Planens, Bauens und des Miteinander-Wohnens einzulassen, mit einem bis zu einem gewissen Grad unbestimmten Ausgang. Denn das ist prozessorientiertem Handeln immanent, dass das Ergebnis nicht zu 100% vorhersagbar ist.
Vielleicht liegt gerade in dieser Unsicherheit der Knackpunkt einer gesellschaftlichen Befindlichkeit: Es wird zwar zunehmend regulierend und normierend auf das Individuum einzuwirken versucht, Sicherheiten vortäuschend auf der einen Seite, weil es solche auf der anderen Seite nicht mehr gibt. Spitzen sind in jeder Hinsicht unerwünscht, das Dazwischen, das Unbestimmte soll nicht mehr schmackhaft sein. (Dass Leben so nicht funktioniert, hat schon die Entwicklung in manchen Gated Communities in den USA gezeigt, wo das Leben der Bewohner derart vorhersagbar geworden war und so langweilig wurde, dass randalierende Schauspieler engagiert wurden, um dem geschlossenen System wieder ein bisschen Leben ein zu hauchen.)

Keine Frage, der Prozess war im Falle der Sargfabrik nicht immer einfach, galt es doch Bedürfnisse, Ideen, Wünsche und Vorstellungen von mehr als 30 Personen unter ein Dach zu bringen. Das dauerte von der Gruppenfindung, über die Gründung des "Vereins für Integrative Lebensgestaltung" 1987 bis zur Fertigstellung der Sargfabrik mehr als 10 Jahre. Am Anfang standen die Unzufriedenheit über den teuren und den Traditionen der Kleinfamilie verhafteten Wohnungsmarkt sowie eine unscheinbare Annonce. Mit der Entscheidung für die ehemalige Sargfabrik, galt es nicht nur planerische Grundsatzentscheidungen zu treffen: der ursprüngliche Gedanke, die Fabrik umzubauen, musste aus Kostengründen aufgegeben werden. Dennoch blieb man bei der Idee, den Grundriss beizubehalten, genauso wie das Spiel mit den Höhen 2,26m als Maß, das sich aus der Halbierung der ursprünglichen Höhe ergab. Diese Entscheidungsfindungen erfolgten über den Pragmatismus der Kosten- Nutzenrechnung hinausreichend als gedankliche Referenz an die ursprüngliche Fabrik. Wegbereitend mussten neue Fördermodelle gefunden werden; durch die Wahl der Rechtsform "Wohnheim" konnten spezielle Förderungen der Stadt Wien in Anspruch genommen werden. Anstelle der vermehrt gewünschten gewerblichen Nutzungen setzte man einen kulturellen Schwerpunkt, eine Entscheidung, die sich als stimmig erwies, das Kulturhaus SfabrikG (Sargfabrik) setzt seit langem Impulse, die weit über "das Dorf in der Stadt" - so die Eigendefinition - hinausreichen. Das vielfältige und internationale Programm von Jazz für Kinder, über das "La Danza Globalista" bis zum "Ball der Sargfabrik"bedient das Publikum eines größeren Aktionsradius. Besonderen Bekanntheitsgrad genießt das Badehaus, das rund um die Uhr geöffnet von Bewohnern und Badeclubmitgliedern genutzt werden kann und mehrmals im Monat seine Pforten für die Öffentlichkeit im Rahmen des "public bath house" öffnet. Das Seminarhaus Sargfabrik, ein Kindergarten nach Grundsätzen von Maria Montessori sowie ein Cafè Restaurant sind weitere Einrichtungen, die nicht nur der hauseigenen Gemeinschaft zugute kommen.
Mittlerweile ist der VIL - Verein für Integrative Lebensgestaltung ein professioneller Betrieb.

Die Planung sei mit sieben Personen schwieriger als mit 30, so Architekt Johnny Winter. Es sei nämlich einfacher im Großen durch Diversität der Räume Gleichwertigkeit der einzelnen Wohnungen zu erzielen. Schließlich bringen mehr Menschen auch mehr Freiflächen und Möglichkeiten für Gemeinschaftsräume, die eigentlich die schönsten Räume sind, denen am meisten Aufmerksamkeit zuteil wird. (Das erscheint logisch, wenn es darum geht, Gemeinschaft zu stärken, spricht aber gegen die landläufige Meinung, dass Gemeinschaftsräume ohnehin nicht gewünscht und nicht genutzt werden.) Außerdem durchlaufen gruppendynamische Prozesse immer ähnliche Phasen, insofern macht es wenig Unterschied, wie groß die Gruppe ist.

Wichtigste Voraussetzung, einen so lange andauernden Prozess durchzuhalten, der eigentlich erst mit dem Zusammenleben so richtig beginnt, ist eine gemeinsame innere Haltung! Kein leichtes Unterfangen, dass sich aber lohnt, wenn man den Bewohnern der Sargfabrik und Miss Sargfabrik Gehör schenkt. Elke Krasny hat im Oktober 2008 Stimmen der Bewohner für den Katalog zur Ausstellung "wohnmodelle. Experiment und Alltag"(1) aufgenommen und zu einem eindrucksvollen Stimmungsbild dieses Modells zusammengefasst.

Ein vorgebrachtes Argument, warum es keine Folgeprojekte der Sargfabrik und ihrer Miss gibt, lautet, dass sie in ihrer Form nicht übertragbar ist und somit ein singuläres Phänomen darstellt. Dabei gilt es zu bedenken, dass im Grunde jedes Baugruppenprojekt bis zu einem gewissen Grad ein einzigartiges Projekt darstellt, weil es aus einem sehr individuellen Zugang heraus entstanden und auf die jeweiligen Bedürfnisse zugeschnitten ist. Nichts desto trotz könn(t)en wir aus Beispielen lernen, denn gerade die Sargfabrik hat wie kaum ein anderes Projekt aufgezeigt, wie es möglich ist, Alternativen zu setzen und damit den Weg für ähnliche Experimente zu bereiten.
Kaum ein anderer Lebensbereich wie das Wohnen ist so sehr mit unserer Identität verknüpft, dass wir ihm durchaus viel mehr Zeit und Energie widmen sollten, anstatt uns auf das Konsumieren zu beschränken.

Vielleicht gibt ein abschließender Exkurs zur aktuellen Situation des Wohnbaus in der Steiermark Aufschluss, warum Baugruppenprojekte bei uns so rar sind

Schenkt man aktuellen Wohnbau-Studien Glauben, so ist das Einfamilienhaus im Grünen immer noch das Objekt der Begierde, in dem die Wohnwünsche nicht nur der Steirerinnen und Steierer kulminieren. Und das obwohl eigentlich nicht mehr viel für diese Form des Wohnens spricht: Spätestens seitdem der "Foot Print"(2) boomt, sollte jedem klar sein, dass auch das Passivhaus am Stadtrand und darüber hinaus wenig zur Schonung unseres Planeten beiträgt, seit dem Börsenkrach Ende letzten Jahres ist es auch kein Geheimnis mehr, dass die Investition ins Eigenheim auf Kredit nicht der sicherste Schlüssel zum privaten Glück ist. Schließlich hat die Zersiedelung bei uns Ausmaße angenommen, die jenseits ästhetischer Kategorien unverantwortlich scheint, wenn man Ressourcenverbrauch und -vernichtung in Form von dauerhafter Bodenversiegelung, aufwändiger Infrastruktur, etc. bedenkt. (Am 20. Mai findet in Graz ein Kongress zu diesem Thema statt, siehe Link)
Hinzu kommt, dass auch der gesamtgesellschaftliche Befund nicht gerade auf "Trautes Heim, Glück allein" und das auf Dauer steht, vielmehr leben wir längst in Lebensabschnitten mit den dazu gehörenden Partnern, irgendwann im netten Patchwork, um schließlich vielleicht "outgesourct" zu werden, in Ermangelung anderer Möglichkeiten der Altersversorgung.
Der seit geraumer Zeit proklamierten Flexibilitätsrevolution, die uns alle so elastisch macht, steht das einmal in die Wiese gestellte Häuschen, das eine Lebenssituation zumindest auf Jahrzehnte einzementiert - mit "massiv" wird noch immer sehr effektiv geworben - diametral entgegen.
Ebenso wie der Realität, dass in absehbarer Zeit mehr als die Hälfte, in Hundert Jahren prognostizierte 3/4 der Bevölkerung ohnehin in urbanen Räumen leben wird.
Pierre Bourdieus Kritik am Eigenheim - wiewohl schon in die Jahre gekommen - dass "wohl nur wenige Märkte so sehr wie der Häusermarkt vom Staat nicht nur kontrolliert, sondern regelrecht konstruiert werden"(3), scheint immer noch zutreffend, wenn man sich Fördermodelle für Privatpersonen vor Augen führt und den Bildern der Werbung Aufmerksamkeit schenkt.
Im Übrigen lag bereits für André Godin (1817-1888), Sozialutopist des 19. Jhs. und Begründer der Familistère Godin (4), das Glück des Menschen nicht in den allein stehenden, von einander isolierten Arbeiterhäuschen, die er als unreflektierte Wünsche der Unwissenheit ablehnte. Somit ist die Kritik am Eigenheim für alle so alt wie seine Erfindung als Kind des industriellen Zeitalters.

Bleibt als Alternative das immer gleiche Angebot der Wohnbaugenossenschaften an Wohnungen für eine Familie mit ein bis zwei Kindern, ohne Innovation und Rücksichtnahme auf sich ändernde Rahmenbedingungen, denn es wurden bereits "alle Möglichkeiten unterschiedlichster Wohnformen durchexerziert, (...), aber nichts war wirklich durchschlagend oder nachhaltig und wir können das Rad nicht jeden Tag neu erfinden."(5) Dann gibt es noch den freifinanzierten Wohnungsmarkt und die rühmlichen Ausnahmen.

Dabei gab es auch in der Steiermark einmal ein Modell, das sich genau so nannte, das "Modell Steiermark". "Über die Beteiligung zur Qualität" lautete ein Motto des Arbeitskreises 12 "Bauen und Wohnen", das genau jene Qualitäten festschrieb, die wir nunmehr anderswo suchen.
Das, was in den 1980er Jahren aufgeschrieben wurde, nahm bereits in den 1960er Jahren mit der Planung und späteren Errichtung der Terrassenhaussiedlung der Werkgruppe Graz seinen Ausgang. (Die Wohnzufriedenheit in der Terrassenhaussiedlung ist nach wie vor sehr hoch, genau so wie jene anderer Partizipationsprojekte). Forderungen von damals waren unter anderem, dass die zukünftigen Bewohner vor Planungsbeginn zum größten Teil feststehen, dass diese Bewohner ein umfassendes Mitspracherecht erhalten genauso wie eine hohe architektonische Qualität und eine Vielfalt an Wohnungsgrundrissen und Wohnformen. Aber das war in einem anderen Jahrhundert.

(1) Elke Krasny, Das Dorf in der Stadt. Stimmen über die Sargfabrik, in: Katalog zur Ausstellung, wohnmodelle. Experimente und Alltag. Housing Models. Experimentation and Everyday Life, Hg. Oöiver Elser, Michael Rieper, Folio Verlag Wien 2008, S. 262 ff.

(2) "Der ökologische Fußabdruck", mit dem wir berechnen können, wie viele Erden notwendig wären, würden alle so leben.

(3) Pierre Bourdieu u.a., Der Einzige und sein Eigenheim, Erweiterte Neuausgabe der Schriften zu Politik und Kultur 3, Hg. Margareta Steinrücke, VSA-Verlag Hamburg 2006, S.85.

(4) Rudolf Stumberger, Das Projekt Utopia, Geschichte und Gegenwart des Genossenschafts- und Wohnmodells "Fmilistère Godin", VSA-Verlag 2004.

(5) Dr. Siegfried Kristan, Leiter der Abteilung 15, Wohnbauförderung, im Interview: "Wohnbauförderung NEU: Mut zur Qualität, aber das Rad nicht jeden Tag neu erfinden!" 14.09.2006 auf www.gat.st

Johnny Winter, Architekt, BKK 1989-1992 (mit Peter Raab und Josef Zapletal), BKK-2 1993-1999 (mit Christoph Lammerhuber, Axel Linemayr, Florian Wallnöfer und Evelyn Wurster, BKK-3 (mit Franz Sumnitsch), 2000-2005, BKK-4, winter-08, winter-09.

OBJEKTDATEN ZU DEN PROJEKTEN

SARGFABRIK
Planung: BKK-2 Architektur ZT GmbH, Wien
Wohnbauträger, Bauherr, Organisator: Verein für integrative Lebensgestaltung (VIL)
Finanzierungsmethode: Öffentlich (Wohnbauförderung Wien)
Planungsbeginn: 1986
Baubeginn: 1994/4
Fertigstellung: 1996/9
Grundstücksfläche :4.711 m²
Anzahl der Geschosse: 1-7
Bruttogeschoßfläche: 6.968 m²
Wohnnutzfläche gesamt netto: 5.570 m²
Wohnungszahl: 75 öffentlich geförderte Wohnungen, die dem VIL gehören und an Mitglieder vermietet werden
Wohnungsgrößen: 40-60m² Wohnungen gruppieren in größere Einheiten, bis zu sechs Einheiten kombiniert
Öffentliche und gemeinschaftliche Einrichtungen: 2.000m² insgesamt: Schwimmbad, Restaurant und Café, Dachgarten, Waschküche, Kindergarten, Seminar- und Veranstaltungsräume, Büros
Parkplätze: 7

MISS SARGFABRIK
Planung: BKK-3 Architektur ZT GmbH, Wien
Wohnbauträger, Bauherr, Organisator: Verein für integrative Lebensgestaltung (VIL)
Finanzierungsmethode: Öffentlich (Wohnbauförderung Wien)
Planungsbeginn: 1998
Baubeginn: 1999
Fertigstellung: 2000
Grundstücksfläche: 850 m²
Anzahl der Geschosse: 9
Bruttogeschoßfläche: 4.371 m²
Wohnnutzfläche gesamt netto: 2.920 m²
Wohnungszahl: 39 öffentlich geförderte Wohnungen
Wohnungsgrößen: 50-70m²
Gemeinschaftseinrichtungen: 325 m² insgesamt: Bibliothek, Gemeinschaftsküche, Waschküche, Partyraum
Parkplätze: 3

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