14/09/2010
14/09/2010

Volksschule Mariagrün, Bestand

Fotos: MB

Im vergangenen August wurde der europaweite 2-stufige Architekturwettbewerb zur Planung einer neuen Volksschule in Graz-Mariagrün ausgeschrieben, ein Wettbewerb, der sich in mancher Hinsicht von anderen unterscheidet.

Im Jahr 2005 wurde festgestellt, dass die bestehende Volksschule in Mariagrün nicht nur metaphorisch aus allen Nähten platzt. Der Mindeststandard des Landes Steiermark gibt beispielsweise 60 m² für einen Klassenraum vor, zwei der Klassenräume im Bestand weisen 27 m² und 28 m² auf und liegen im Dachboden. Der Turnsaal der Schule misst 84 m² anstatt der geforderten 180 m². Es gibt keinen brauchbaren Hofbereich, keine Pausenhalle, keine Gruppenräume, keinen eigenen Sportplatz.
Nachdem der akute Platzmangel außer Zweifel steht, wurde seitens der Stadt Graz zu Beginn die Möglichkeit des Ausbaues am bestehenden Standort geprüft. Dort ist bereits jetzt die Bebauungsdichte um etwa das Dreifache überschritten und die Fläche der Schule müsste etwa verdreifacht werden. Es wurde nach eingehender Prüfung festgestellt, dass ein Um- oder Zubau nicht sinnvoll sei.

Da der nahe gelegene Kindergarten in der Schönbrunngasse auf einem immens großen Grundstück liegt, bot es sich an, auf diesem Areal einen Neubau vorzusehen. Gemeinsam mit der auf demselben Grundstück neu errichteten Kinderkrippe ergäben sich schließlich Synergieeffekte hinsichtlich Essensversorgung, Nachmittagsbetreuung und Erreichbarkeit.

Nachdem dieses Vorhaben bekannt wurde, formierte sich im beschaulichen „Mariagrüner Winkel“ rund um einzelne Eltern und den Architekten DI Hermann Eisenköck eine Gruppe von Projektgegnern, welche – entgegen aller logischen Fakten – vehement für einen Zubau am Bestand eintrat. Vor allem der idyllische Nukleus von Kirche, Pfarrhof und bestehender Schule wurde als Argument genannt.
Im Rahmen mehrerer öffentlicher Diskussionen unter Beteiligung der Schuldirektorin Fr. Eva Hütter, des Leiters des Stadtschulamtes Dr. Herbert Just, der damaligen Stadträtin Fr. Mag. Eva Maria Fluch sowie Frau Dr. Susanne Herker, Leiterin des Instituts für innovative Pädagogik und Inklusion an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Graz, wurden vor versammelter Mariagrüner Elternschaft die Nachteile des gegenwärtigen Standortes den visionären Möglichkeiten am neuen Standort gegenübergestellt.
Die letzte dieser Debatten fand Anfang 2009 im Grazer Rathaus statt. Bereits im Rahmen dieser Informationsabende berichteten vor allem Fr. Dr. Herker und Hr. Dr. Just enthusiastisch von neuen Schulmodellen, deren Architektur unter dem Schlagwort „der Raum als dritter Pädagoge“ (erster sei der Lehrer, zweiter der Mitschüler) eine verstärkte Rolle im Schulalltag darstelle. So würden herkömmliche Klassenzimmer in Zukunft ausgedient haben, stattdessen themenbezogene Räume den Forschergeist der Kinder unterstützen und für Abwechslung sorgen.

Diese Veranstaltungen, in denen der überwiegenden Mehrheit der Eltern die Nachhaltigkeit eines Neubaues aufgezeigt wurde, liegen nun mehr als ein Jahr zurück. In der Zwischenzeit waren die GBG (die Grazer Bau- und Grünlandsicherungs GmbH) sowie das Stadthochbauamt nicht untätig. Gemeinsam mit dem Stadtschulamt unter Dr. Just einigte man sich darauf, die Idee des neuen Schulkonzeptes weiterzuverfolgen. Im Rahmen mehrer Workshops wurden Eltern (allen voran Sabine Prettner als Präsidentin des Elternvereins der Volksschule), Lehrpersonal und Schüler intensiv eingebunden. Die Einbeziehung der Kinder koordinierte das Kinderbüro Steiermark unter Mag. Bernhard Seidler.
Es wurden mehrere Schulen besichtigt (HS Wolfsberg bei Leibnitz, VS St. Jakob im Walde, VS Markt Allhau) und mit Spezialisten für Schulplanung Gespräche geführt. Vor allem a.o. Univ. Prof. DI Dr. Christian Kühn (TU Wien, Institut für Gebäudelehre, Vorsitzender der Architekturstiftung Österreich) trug wesentlich zur Entwicklung des Konzeptes bei.

Dem laufenden Architekturwettbewerb liegt ein Schulkonzept zugrunde, welches für die kommenden fünfzig Jahre funktionieren soll. Voraussetzung dafür war, dass die Direktion und der Lehrkörper die Schulform pädagogisch mittragen.

In der neuen Mariagrüner Volksschule soll der Klassenraum eine untergeordnete Rolle spielen. Die Klassenzimmer werden als „Home Base“ betrachtet und kleiner ausgeführt als im Landesstandard gefordert. Vier Klassenzimmer und ein offener Lernraum werden zusammen einen Raumcluster bilden. Es wird einen solchen Lerncluster für die erste und zweite Schulstufe geben und einen weiteren für die dritte und vierte Klasse. Weiters sollen Teamräume als Arbeitsplätze für das Lehrpersonal sowie ein Besprechungszimmer anstelle des herkömmlichen Konferenzzimmers entstehen. Die Minimierung und Multifunktionalität der Verkehrsflächen soll bewirken, dass Nutzflächen und Kosten denen einer herkömmlichen Schule entsprechen.
Der Bau soll in Passivhausbauweise erfolgen und wird baubiologisch betreut werden.

Das Engagement der Vertreter der GBG (Mstr. Ing. Rainer Plösch, Ing. Martin Eisenberger), des Hochbauamtes Stadt Graz (DI Heinz Reiter), des Stadtschulamtes (Dr. Herbert Just), des Elternvereins der VS Mariagrün (Sabine Prettner) und des Lehrkörpers der VS Mariagrün (Dir. Eva Hütter) ist hervorzuheben und allen Beteiligten hoch anzurechnen, wäre es doch wesentlich einfacher gewesen, ein altbewährtes Standard-Raumprogramm auszuschreiben. Nun liegt es an den teilnehmenden Architektinnen und Architekten, die Chance zu nutzen und die hohen Erwartungen zu erfüllen.

Verfasser/in:
Martin Brischnik, Bericht
Martin Brischnik

Die Unterbringung von Schule, Kindergarten und Kinderkrippe am Standort Schönbrunngasse soll die Nutzung von Synergien (Nachmittagsbetreuung, Schulwege etc.) in Zukunft deutlich fördern. Für zahlreiche Eltern von Geschwisterkindern werden sich die Wege vereinfachen, die Lage in der Schönbrunngasse liegt zudem deutlich zentraler als die der Bestandsschule im „Mariagrüner Winkel“. Beide Faktoren sollen die fußläufige Erreichbarkeit fördern - ein Ansinnen, welches im Sinne der Nachhaltigkeit meiner Ansicht nach als positiv zu bewerten ist. Betreffend den geplanten Grundstücksabtausch, welchen ich ebenfalls kritisch betrachte, habe ich persönlich interveniert und mich bei Bürgermeister Nagl, Stadtrat Eisel Eiselsberg sowie den GBG Geschäftsführern für den Behalt des betroffenen Grundstücks eingesetzt. Ich weise Ihren Vorwurf mangelnder Kritikfähigkeit daher zurück. Ich stehe aber zu meiner Meinung, dass Raum, Luft und Licht für Kinder wichtig sind und freue mich, dass das klassische Konzept Schule im Rahmen des Wettbewerbes VS Mariagrün hinterfragt wird. In einer lichtdurchfluteten, großzügigen Kinderkrippe bzw. Schule sehe ich daher eher eine Bereicherung für Kinder und Eltern, als die Entwertung eines Grundstückes, welches bislang zu großen Teilen ungenutzt war. Äußerst kritisch gilt es meiner Ansicht nach nun die Nachnutzung der bestehenden Schule zu betrachten. Nach Fertigstellung des Neubaues der VS Mariagrün soll der Kindergarten temporär dorthin übersiedeln, sodass das Bestandsgebäude des Kindergartens in der Schönbrunngasse umgebaut werden kann. Danach ist, bis hin zu einer zusätzlichen, kleineren Schule, alles offen.

Fr. 17/09/2010 10:51 Permalink
Elisabeth Lechner

... bin ich aber froh dort nicht Mitglied zu sein.
Herr Brischnik, ich frage Sie,
was bitte ist besonderes an einem wettbewerb, der ein wunderschönes naturareal der stadt graz mit historischer bausubstanz weiter und endgültig entwertet bis zerstört. der erste teil des Entwertungsprozesses ist bereits realisiert- die kinderkrippe die bereits einen großteil des als schützenswert begutachteten baumbestands wegrasiert hat, obwohl im wettbewerb verlangt war, möglichst viele Bäume zu erhalten- aber die praxis im bauen läuft eben doch anders.
zu ihrer info: der großteil des grundstückes ist als freiland ausgewiesen. bereits die errichtung der kinderkrippe verstößt gegen die widmung - im freiland darf man nur zubauen und keine freistehenden neubau errichten!!!!
für die schule sollen laut verkehrskonzept parkplätze im freiland, errichtet werden, dazu müssen wieder bäume geschlägert und stützmauern errichtet werden.
wissen sie auch, dass ein Teil des Freilandes von der GBG verkauft wird oder bereits wurde, um den Grundstücksankauf für die Schule zu finanzieren? ist es wirklich anstrebenswert an einem standort mehrere 100 kinder zu konzentrierern? die dann noch täglich mit dem PKW angeliefert werden? von ihrem immens großen grundstück wird bei vollnutzung nicht mehr viel übrig sein.
also ein bißchen mehr kritsiche betrachtung der sache wäre für einen Artikel in Gat doch angebracht, sonst fragt man sich, ob dies nicht eine wahlwerbeeinschaltung der stadt ist.

Fr. 17/09/2010 8:49 Permalink
Architekt DI Hermann Eisenköck

Im gegenständlichen Artikel werde ich mit “einzelnen Eltern” als Projektgegner dargestellt.
Faktum ist, ich habe lediglich eine Gruppe von nachweislich 80zig Befürwortern für den derzeitigen Standort Mariagrün fachlich beraten.
Diese hauptsächlich aus betroffenen Eltern bestehende Gruppe ist zumindest gleich groß, wie die Gruppe der Befürworter für den Standort Schönbrunngasse.
Hier lieber Berichterstatter bitte ich um etwas mehr demokratische Fairness!
Diese Gruppe hat lediglich eingefordert, von einem unabhängigen Fachmann die Erweiterbarkeit des Bestandes überprüfen zu lassen,
da die Pauschalgegenargumente, der auf den Standort Schönbrunngasse fixierten Beamten, mit der Überschreitung der Bebauungsdichte bzw. mit einer erforderlichen Widmungsänderung, gegen den Bestandsausbau doch etwas zu dürftig waren.
Beides sind keine ausreichenden Argumente, da mit der Ausweisung ‘Sondernutzung Schule’ die Bebauungsdichte nicht mehr relevant ist.
Der Standort Schönbrunngasse liegt überdies derzeit ebenfalls in reinem Wohngebiet und ist von einem dichten, qualitätsvollen Baumbestand besetzt.
Die verkehrstechnische Erschließung ist - wie allseits bekannt - äußerst problematisch. Die negativen Verkehrsgutachten werden vorsorglich nicht erwähnt.
Abgesehen von den wesentlich höheren Kosten am Neubau-Standort, vergibt man die Chance eine der letzten dörflich-urbanen Zentren innerhalb der
Stadtgrenzen von Graz zu schaffen bzw. zu erhalten. Dieses zu gestalten wäre auch eine wesentlich spannendere Aufgabe für Architekten, als zwischen
dichtem Baumbestand eine Schule hineinzuzwängen.
Arch. DI Hermann Eisenköck

Mi. 15/09/2010 8:56 Permalink
Arch. DI Martin Brischnik

Ihre erwähnte fachliche Beratung hat vor allem versucht nachzuweisen, dass der Umbau der bestehenden Schule, welche nur etwa ein Drittel des geforderten Raumbedarfes umfasst, wesentlich günstiger käme, als der Neubau. Probleme mit der enormen Hanglage am Standort der bestehenden Schule, Fragen der Barrierefreiheit und Einschränkungen durch die bestehende Raumaufteilung wurden ebenso außer Acht gelassen wie der Mangel an Außenflächen. Der Vorschlag, große Volumina einzugraben, hätte dunkle Innenflächen nach sich gezogen. Die Kostenersparnis, welche auch über die Medien gegen den Neubau vorgebracht wurde, scheint unrealistisch. Zudem wurde argumentiert, dass kleine, dunkle und enge Klassenräume viel eher dem Bedürfnis von Kindern entsprächen als große, helle Räume. Die Kinder würden aggressiv werden, wenn sie zu viel Bewegungsraum hätten.
Die Gruppe von etwa 80 Personen formierte sich tatsächlich aus wenigen aktiven Projektgegnern, welche noch vor Bekanntwerden der Umstände, Unterschriften gegen einen Neubau sammelte und die Angst der Bevölkerung vor zeitgemäßer Architektur erfolgreich zu nutzten wusste. Viel zu häufig wird auf diese Art und Weise in frühen Projektstadien negative Stimmung gegen Projekte verbreitet (vgl. Spielberg 1).
Die Objektivität hinsichtlich der Standortprüfung scheint insofern gegeben zu sein, als für die Stadt Graz ebenso wie für die GBG keinerlei Vor- oder Nachteile aus der Entscheidung entstanden.
Das „dörflich urbane Zentrum“ im Mariagrüner Winkel bleibt nunmehr städtebaulich erhalten und kann durch eine ganzjährige Nachnutzung des bestehenden Schulgebäudes belebt werden. Der immense Ausbau des Baukörpers hätte den Nukleus aller Wahrscheinlichkeit nach empfindlich gestört.
Der qualitätsvolle Baumbestand am Grundstück in der Schönbrunngasse ist zu großen Teilen überaltert, sodass der Kindergarten bereits jetzt aufgrund herabfallender Äste Teilbereiche sperren muss. Mehrere Bäume mussten bereits aus diesem Aspekt gefällt werden.
Schließlich sprechen Sie die Probleme der Verkehrslösung in der Schönbrunngasse an. Es stimmt, dass hier noch Adaptierungen nötig (und geplant) sind. Die Anbindung an das Grundstück der Bestandsschule würde sich allerdings noch deutlich schwieriger gestalten, da hier alleine aufgrund der Topografie deutlich weniger Raum zur Verfügung steht und zudem die fussläufigen Wege zu öffentlichen Verkehrsmitteln deutlich weiter sind.

Mi. 15/09/2010 1:45 Permalink
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