14/08/2018

Wolkenschaufler_13

Die Kunst des Wettermachens

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14/08/2018

Klaus Schafler, „Hacking Kulmland“, Pischelsdorf, 1. Oktober 2011, 14:14 Uhr

©: Wenzel Mraček

Messstation, 13:18 Uhr

©: Wenzel Mraček

Herbeiführung des Albedo-Effekts, 13:58 Uhr

©: Wenzel Mraček

13:58 Uhr

©: Wenzel Mraček

14:38 Uhr

©: Wenzel Mraček

15:56 Uhr

©: Wenzel Mraček

18.51 Uhr

©: Wenzel Mraček

Die Kunst des Wettermachens
… everywhere you go you always take the weather with you …
Crowded House

Wenngleich die momentane Hitzewelle sich während meines Schreibens (6. August 2018) mit prognostizierten und einigermaßen erträglichen 30° C äußern sollte, wird sich die Situation in den kommenden Tagen wohl um ein paar Grad verschärfen. Infolge der Hitze und Luftfeuchtigkeit entwickeln sich regelmäßig Unwetter, die durch den Einsatz der Hagelflieger im Raum Graz bisher erfolgreich kontrolliert werden konnten. Mit dem Thema Wetter war ich anlässlich eines Konzepts des steirischen Künstlers Klaus Schafler im Jahr 2011 beschäftigt. Damals, unterstützt durch die Einwohner der Gemeinde, überzog Klaus Schafler den Hauptplatz von Pischelsdorf mit (umweltverträglicher) weißer Farbe.

Anlagen und Klima
In seiner Studie Losing Our Cool (1) kam der US-Autor Stan Cox 2010 zu der Ansicht, mit zunehmendem Gebrauch von Klimaanlagen in den USA seit den 1990er Jahren habe sich auch das Sozialverhalten der Menschen geändert. Dies zeigt sich in dem Phänomen, dass sich Amerikaner nachweislich weniger im Freien, dagegen vermehrt in klimatisierten Räumen aufhalten. Nach Cox entsprechen die Kosten für Klimaanlagen in den USA einem Fünftel des gesamten Aufwandes für Energie. Dabei muss man sich gewahr sein, dass diese Art der Klimatisierung von Innenräumen eine Temperaturerhöhung im Außenraum mit sich bringt – eine der Ursachen für die globale Klimaerwärmung.
Wenn sich also eine technisierte Wohlstandgesellschaft offenbar dazu bequemt, das künstliche Klima der Innenräume – winters beheizt, sommers gekühlt – dem „natürlichen“ Klima im Freien vorzuziehen, ist solchem Verhalten allerdings auch geistiger wie körperlicher Tribut zu zollen (2). Mit dem sukzessiven Rückzug geht nach Cox eine Minderung des Umweltbewusstseins einher. Man verschließt sich quasi den Umweltproblemen. Physisches Erleben der Natur weicht dem medial vermittelten zu Hause. Sportliche Betätigung im Freien wird durch Indoor-Aktivitäten in klimatisierten Hallen ersetzt. Mangels wirklicher Treffen schließen Kinder weniger wirkliche Freundschaften, und Barbecues werden bestenfalls noch im Garten zubereitet – verzehrt werden sie immer öfter im Haus. Überhaupt nehmen Beziehungsprobleme zu, weil man einander auf die Nerven geht und mit dem vermehrten Aufenthalt in den klimatisierten Räumen könnte auch Fettleibigkeit in Zusammenhang stehen, meint Stan Cox. Die Menschen, schließt der Medienphilosoph Florian Rötzer in seinem Artikel über Losing Our Cool, „wollen […] nicht mehr der Willkür der Natur ausgeliefert sein, sondern in angenehmen Wunschwelten leben“ (3). Und die werden unter anderem mit Klimaanlagen geschaffen.

Seit der Erfindung der Feuerstelle – oder bereits mit dem Gebrauch von Kleidung – haben die Menschen wohl immer schon, mehr oder weniger lokal, das natürliche Klima beziehungsweise meteorologische Phänomene manipuliert. Allein das spürbare Temperaturgefälle einer freien Feuerstelle bildet eine Art klimatisierten Raum.
In größerem Stil, mit brachialen wie subtilen Methoden, versuchte man in Europa seit dem Spätmittelalter in den Wetterverlauf einzugreifen respektive lokale meteorologische Phänomene zu lenken. Spätestens seit 1600 schoss man in der Steiermark mit Mörsern in Gewitter- und Hagelwolken. Ebenfalls in der Steiermark kam es in den Jahren 1506 bis 1510 zu einem Hexenprozess, im Zuge dessen man neun Frauen verurteilte, weil sie durch „Wettermachen“ Ernteschäden verursacht hätten (4). Für gute Ernte, infolge des von ihnen arrangierten günstigen Wetters, sorgten im Friaul des 16. und 17. Jahrhunderts die Benandanti, die in Trance gegen Schlechtwetterdämonen kämpften (5).
Der Wetterzauber hatte längst sein Ende gefunden, als 1838 der Meteorologe James Espy den US-Senat bat, ihn bei seinem radikalen Plan zu unterstützen. Ganze Wälder wollte Espy abbrennen lassen, um mittels aufsteigender heißer Luft der Landwirtschaft zugutekommende Regengüsse auszulösen. Für sein Vorhaben konnte er allerdings keine Sympathien finden. Als wirklich effektiv erwies sich Bernard Vonneguts Entdeckung im Jahr 1947, Wolken mit Silberjodid zu impfen, so Hagel aufzulösen und Regen zu erzeugen. Bis heute praktiziert, kam die Methode während des Vietnamkrieges in der Operation Popeye durch die US-Militärs zum Einsatz. Der über den Ho-Chi-Minh-Pfad geleistete Nachschub des kommunistischen Nordens sollte durch Verschlammung infolge künstlichen Regens unterbunden werden. Erfolgreich war die Operation offenbar nicht (6).
Angesichts auch in Österreich seit etlichen Jahren zu konstatierender Unwetterereignisse und der wohl nicht unbegründeten Annahme, diese stünden in direktem Zusammenhang mit einer weltweiten Klimaveränderung, führen Exempel historischer Wettermanipulation gegenwärtig in den Bereich des Geo-Engineerings, Überlegungen zu hochtechnisierten Methoden, dem Klimawandel beizukommen. Spiegel im Weltall etwa könnten die Sonneneinstrahlung von der Erde ablenken. Wer aber, und nach welchen Verhandlungen, wäre befugt, das Wetter in welchen Zonen unseres Planeten zu kontrollieren? Was wären die Risiken? Die wahrscheinlich banalste Überlegung ist, ob man mit lokal hergestelltem Regen andernorts Wassermangel verursacht. Seit 1995 betreibt die US-Army in Zusammenarbeit mit Wirtschaftsunternehmen und Universitäten einen riesigen Radiosender in Alaska, der elektromagnetische Wellen in die Ionosphäre schickt. Der Zweck von HAARP (High Frequency Active Auroral Research Program) ist die Erforschung von Funkwellenausbreitung und ihre Verwendung bei Kommunikation und Navigation. Einer der Initiatoren, der Plasmaphysiker Ben Eastlund, hofft, mittels Radiowellen eines Tages die Jet Streams lenken und den von ihnen bewirkten Wärmeausgleich auf der Erdoberfläche steuern zu können (7).
Gegenüber solchem Ansinnen wirkt die Aufstellung von Artilleriekanonen und Raketenwerfern während der Olympischen Spiele in Peking 2008 vergleichsweise kleingeistig, nichtsdestotrotz war sie eine Demonstration allumfassenden Machtanspruches. Die Waffenbatterie sollte bei Anlass in trockenen Regionen Regenwolken erzeugen oder solche im Bereich der Sportstätten auflösen. Praktiziert wurde glücklicherweise nicht.
Macht … Bill Gates bald auch das Wetter? Eine auf ihn und weitere Investoren lautende Patentanmeldung (8) vom 9. Juli 2009 beschreibt das verblüffend naheliegende Verfahren, sich entwickelnde Hurricanes durch Hochpumpen von Kaltwasser schon über dem Ozean zu eliminieren. „Wetter auf Bestellung“ bietet eine russische Firma um 200 Dollar für einen Bereich von 200 Quadratmeilen an, berichtete jedenfalls das Wall Street Journal am 2. Oktober 1992. Weniger auf sprachliche denn auf praktische Qualitäten setzte noch im Jahr 2011 eine in Kärnten ansässige Firma und warb für ihre Dienstleistung: „Wenn Sie uns rechtzeitig Bestellen können wir Ihnen helfen den Ablauf Ihrer Veranstaltung, die durch starken Nebel in Gefahr ist, zu retten! [sic.]“ (9)

Künstler machen Wetter
Wenn künstlich erzeugtes Klima, Anlagen-Klima, nach Stan Cox das Sozialverhalten der Menschen beeinflusst, erscheint diese Erkenntnis wie das Eintreffen fiktiver Eröffnungsszenarios in Romanen von Bernhard Hüttenegger (10) oder Peter Weber (11).  Wetter, Klima, Wolken werden zu Synonymen für das Befinden von Individuen und ihren Beziehungskalamitäten. Hütteneggers Protagonist Kainer erhält vom Institut für Soziometeorologie den Auftrag, das Wetter zwischen den Menschen zu beobachten. Dagegen sitzt Webers Wettermacher im Keller und erschreibt nicht allein Wetter, sondern mit durchaus gottgleichem Anspruch eine utopische Welt mit historischen Anklängen.
Kolportiert wurde, dass Besucher von Olafur Eliassons The Weather Project (2003/04 Tate Modern) vor dieser Installation mit künstlicher Sonne und leichtem Nebel aus einem Gemisch von Zucker und Wasser zur Ruhe kamen und einschliefen – dem Klima geschuldet. In mehrfacher Hinsicht arbeitete Walter De Maria 1977 mit atmosphärischer Spannung. Nach striktem Konzept konnten Besucher gegenüber dem Areal von einer Quadratmeile für jeweils 24 Stunden in der Wüste New Mexicos provozierte Blitzentladungen beobachten.
Glücklicherweise vergebens versuchte Timm Ulrichs in einer Performance den Blitz auf sich zu lenken (Timm Ulrichs den Blitz auf sich lenkend, 1977/79). Nackt und mit einer fünf Meter hohen Antenne auf den Rücken geschnallt, überquerte er, vor Publikum und unter wolkenverhangenem Himmel, mehrmals ein Fußballfeld.
Roni Horn wird immer wieder als die „große Poetin des Wassers und des Wetters“ bezeichnet. Oft metaphorisch, dann wieder synonym ist Wetter eines der großen Motive ihres Werks zwischen Individuum und Umwelt. „Weather ist the key paradox of our time. Weather that is nice is often weather that is wrong. The nice is occurring in the immediate and individual, and the wrong is occurring systemwide“, wurde Horn 2010, anlässlich ihrer Ausstellung im Kunsthaus Bregenz, zitiert. In einer Fotoserie aus dem Jahr 1995 ist das sich minimal verändernde Gesicht einer jungen Frau zu sehen, die ein Bad in einer heißen isländischen Quelle nimmt: You Are The Weather (1995) lautet der Titel.

HACKING KULMLAND
Mit Umsetzung nun schon etlicher Module verfolgt Klaus Schafler sein Projekt 2050, in dem er verschiedenste Problematiken der Globalisierung thematisiert, speziell soziale und geopolitische Ereignisse und deren Auswirkungen. Die einzelnen Module resultieren dabei aus von ihm angestellter Recherche oder Feldforschung und werden von Fall zu Fall in Zusammenarbeit mit Wissenschaftern verschiedener Disziplinen, Künstlerkollegen oder Architekten realisiert. Künstlerische Techniken und Praktiken variieren dabei entsprechend jeweiliger Intention und Anforderung. Schafler reflektierte im Steirischen Herbst 2005 in der Zukunftsvision einer Tankstadt 2050 das Systemische eines real existierenden Netzwerkes, dessen Knotenpunkte Tankstellen sind, gleichsam (zukünftige) Zentren im (sub)urbanen Raum. Im Sinn von Nicht-Orten oder Übergangsräumen sind sie dennoch vorrangig mit der Pragmatik mobiler Gesellschaften verbunden – und sie erfüllen darüber hinaus die Funktion sozialer Zentren, wenn nicht von Brennpunkten. Tankstellen sind in mehrfacher Hinsicht Kulminationsorte der Kommunikation. In einem weiteren Zusammenhang allerdings, und ganz im Sinn Michel Foucaults Heterotopien, sind Tankstellen Repräsentanten der weltweiten Petroindustrie und aller mit ihr wirtschaftlich, politisch also gesellschaftlich und – wie auch immer es hier verstanden werden kann – klimatisch konnotierten Umstände.
Was Stan Cox 2010 in seiner Publikation thematisiert, hatte Klaus Schafler schon 2009 mit einer Installation unter dem Titel Schubumkehr /Thrust Reversal im Grazer Kulturzentrum bei den Minoriten ins Auge gefasst. „Endlich keine Luft mehr“ stand an der Wand eines Raumes zu lesen, daneben eine ganze Batterie von Klimaanlagen, deren Ansicht schon bedrohlich genug wirkte. Sie mussten gar nicht erst in Betrieb genommen werden. Raumklima, das angenehm ist, könnte man in Anlehnung an Roni Horn diese Installation paraphrasieren, hat die Beinträchtigung des Umgebungsklimas zu Folge. Gegenüber dieser Darstellung als Pars pro toto wird allein die Vorstellung des Energieaufwands und der Umweltschäden durch weltweite Verwendung von Klimaanlagen zum Schreckensbild. Dem begegnete Schafler wiederum mit beißender Ironie und zeigte in Verbindung mit der Installation die Fotografie eines Mannes, dessen Kopf im Ausgang eines Entlüftungsrohres steckt.

Auf einer 2009 in London stattgefundenen Nobelpreisträgertagung regte der US-amerikanische Energieminister Steven Chu an, Hausdächer in Amerika, und möglichst auf der ganzen Welt, weiß zu streichen. So würden bis zu vier Fünftel der Sonneneinstrahlung reflektiert und vor allem in Städten müssten Gebäude weniger stark klimatisiert werden. Es käme zu einer Verminderung von Kohlendioxid-Ausstoß, entsprechend der Menge, die durch Autos weltweit in elf Jahren verursacht wird. Im Vordergrund einer dahingehenden Studie, die ein Wissenschafter-Team des National Center for Atmospheric Research um Keith Oleson anstellte, steht das Stadtklima. Der in Städten auftretende Hitzeeffekt, vermutet Oleson bestärkt durch Computersimulationen, könnte allein durch weiße Dächer um durchschnittlich 0,4 Grad gesenkt werden (12). Während eines Sommertages im Großraum New York City entspricht dies 1,1 Grad Temperaturabsenkung. Den sogenannten Albedo-Effekt (13) wollen die New Yorker Bürgerinitiativen Cool Roofs und White Roof Project (14) nutzen und rufen zum gemeinsamen Weißen auf.

Klaus Schaflers davon angeregtes Modul im Rahmen 2050 nannte er HACKING KULMLAND (15). Unter Beteiligung der Einwohner der oststeirischen Gemeinde Pischelsdorf wurde die 1.400 Quadratmeter große Bodenfläche des Hauptplatzes mit weißer Leimfarbe gestrichen. Vorrangiges Ziel dieser Kunstaktion im öffentlichen Raum war der Nachweis des – tatsächlich eingetretenen – Albedo-Effekts. Das Institut für Meteorologie und Geophysik der Universität Wien richtete dafür eine Wetter-Messstation ein, mittels welcher Veränderungen des Mikroklimas im Bereich des Hauptplatzes erfasst wurden. Professor Reinhold Steinacker verzeichnete bei strahlendem Sonnenschein an seiner Messstation eine Absenkung der Temperatur um knapp zwei Grad Celsius gegenüber dem zu erwartenden Temperaturanstieg um die Mittagszeit. Wie geplant entfernte die Pischelsdorfer Feuerwehr nach zwei Tagen die Leimfarbe mittels Löschgerät.

Fußnoten

1  Stan Cox: Losing Our Cool. New York 2010.
2 Vgl. Florian Rötzer auf www.heise.de/tp/blogs/2/147951
3  Ebda.
4  Vgl. Helfried Valentinitsch, Ileane Schwarzkogler (Hg.): Hexen und Zauberer. Bd. 2, Graz 1987, S. 179.
5  Vgl. Carlo Ginzburg: Hexensabatt. Frankfurt a. M. 1993, S. 165f.
6  Vgl. Frank Thadeusz: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-77222656.html
7  Ruedi Haenni: Wetter nach Wunsch? www.meteoradar.ch/tests/Wetter.pdf
http://appft1.uspto.gov/netacgi/nph-Parser?Sect1=PTO1&Sect2=HITOFF&d=PG01&p=1&u=/netahtml/PTO/srchnum.html&r=1&f=G&l=50&s1=%2220090173386%22.PGNR.&OS=DN/20090173386&RS=DN/20090173386
http://www.radenthein.at/nebel.htm
10  Bernard Hüttenegger: Die sanften Wölfe. Reinbeck bei Hamburg 1982.
11  Peter Weber: Der Wettermacher. Frankfurt a. M. 1993.
12 Vgl. Renate Bader: Gegen die Hitze der Stadt. http://www.wissenschaft-online.de/artikel/1031003&_z=859070"www.wissenschaft-online.de/artikel/1031003&_z=859070
13  Die Albedo (lateinisch albedo = „Weißheit“; v. lat. albus = „weiß“) ist ein Maß für das Rückstrahlvermögen von diffus reflektierenden, also nicht selbst leuchtenden Oberflächen. Die Albedo ist vor allem in der Meteorologie von Bedeutung, wo sie Aussagen darüber ermöglicht, wie stark sich Luft über verschiedenen Oberflächen erwärmt. Die Eis-Albedo-Rückkopplung ist in der Klimatologie ein wesentlicher, den Strahlungsantrieb und damit die Strahlungsbilanz der Erde beeinflussender Faktor, welche relevant für den Erhalt des Weltklimas ist.
14  https://www1.nyc.gov/nycbusiness/article/nyc-coolroofs
15  http://www.youtube.com/watch?v=e88yBLY6Pg4"www.youtube.com/watch?v=e88yBLY6Pg4

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