13/08/2019

Wolkenschaufler_25

Äpfel, Birnen, Bäume und Beton

Die Kolumne Wolkenschaufler von Wenzel Mraček zu Lebensraum, Kunst und Kultur(-politik) erscheint jeden 2. Dienstag im Monat auf GAT.

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13/08/2019

Hot Spot Joanneumsviertel Graz. Alle Fotos: Wenzel Mraček

Firmen- und Produktwerbung ...

... auf dem Grazer Hauptplatz

Kahle Murufer und kein Fließen zwischen Seifenfabrik und Kraftwerk Puntigam

Da geht – passt was dazwischen; zwischen Conrad-von-Hötzendorf- und Münzgrabenstraße

„greencity“ in Graz-Straßgang

Rieshang: Vormals Streuobstwiese, jetzt „Ausblick Rieshang“

„Amalfi“, Graz-Sankt Peter

Auch schön warm: Rasenopfer an der Grazer Oper (temporär während Umgestaltung Kaiser-Josef-Platz)

Anstelle der Hainbuchen in der Conrad-von-Hötzendorf-Straße: Heckenpflanzungen

Äpfel, Birnen, Bäume und Beton

Herr Bürgermeister der Stadt Graz! Einer der wahrscheinlich heißesten Orte der Stadt, ein wirklicher Hot Spot, ist das Joanneumsviertel. Meinen Versuch Ende Juni, bei strahlendem Schönwetter im Gastgarten des hier gelegenen Restaurants einen Kaffee zu trinken, habe ich aufgrund direkter Sonneneinstrahlung und kaum erträglicher Hitze nach wenigen Minuten abgebrochen. Da halfen auch die paar Sonnenschirme nicht, weil das gesamte Areal von einer Betonplatte bedeckt ist, unterbrochen durch die Eingangstrichter zum Ausstellungsgebäude und kleinen, dekorativen Rasenkreisen. Der 2013 im westlichen Bereich angebrachte Ruderalgarten Wild Cage, ein Kunstwerk von Lois Weinberger, weist gerade noch Spuren von Grün auf und wirkt inzwischen wie ein Mahnmal gegenüber einem „urbane[n] Lifestyle“ mit dem das Joanneum diesen Ort auf seiner Website verbindet.
Die Zeiten schreiten, könnte man Bob Dylan paraphrasieren, und es ändert sich der urbane Lifestyle, der sich für diesen Teil der Innenstadt spätestens schon 1905 geändert hatte, als der Grazer Historiker Franz Ilwof den zwanzig Jahre zuvor aufgelösten Joanneumgarten beklagte: „Wo sind diese Zeiten? Die herrlichen Bäume, die Pflanzenbeete, die Glashäuser des Joanneumgartens sind verschwunden und bald werden sich nur mehr einige alte Grazer dieser reizenden Oase inmitten der Stadt erinnern.“ Tempi passati vor 114 Jahren schon, als die bis zum Jakominiplatz reichende Gartenanlage dem Umbau der Innenstadt weichen musste.

Um meiner Kernkompetenz, dem Wolkenschaufeln, gerecht zu werden, nur ein Vorschlag für nur einen von vielen Orten in Graz: Könnte man die Betonplatte an einigen Stellen ein bisschen aufbohren, um ein paar Schatten spendende, die Umgebung kühlende Hainbuchen zu pflanzen? Quasi For Forest, wie der Schweizer Klaus Littmann seine Bewaldung des Klagenfurter Fußballstadions nennt? Oder besteht die Gefahr, dass die Wurzeln der – sagen wir, es seien – Hainbuchen durch die Decke des darunter befindlichen Foyers des Museums Joanneum wachsen?
Sollten Sie, Herr Bürgermeister, das nun hanebüchen finden, mag man meine Idee mit einer Maßnahme der Stadt Graz vergleichen: Citymanager, Stadtrat und Firmeninhaber präsentieren auf der Website der Stadt Graz „Abkühlung aus Sprühdüsen“. „Der Sprühnebel am Hauptplatz“, heißt es hier, „kühlt heiße Köpfe vor dem Rathaus“. Vor Ort kühlte diese von der Stadt betriebene Produktwerbung für ein Privatunternehmen den Hitzkopf des Wolkenschauflers keineswegs, das gelang nämlich daraufhin im besten Eisgeschäft der Stadt, Il Gelato Di Gianola am Bischofplatz. Angesichts des Sprühnebels entstand mir dagegen der Eindruck, es handelt sich hier um die Demonstration einer Anlage, die an Gastgärten oder Wohnungsterrassen einigermaßen ihren Zweck erfüllen könnte – sofern man sich das Ding leisten kann. Am Rand des Hauptplatzes entspricht der Effekt einem – verzeihen Sie – Puh im Weltall. Was halten Sie, Herr Bürgermeister, von dem per Fotomontage publizierten Vorschlag des Grazer Künstlers Paul Mangold, Bäume auf dem Hauptplatz zu pflanzen?
Glauben Sie wirklich, Herr Bürgermeister, der Kahlschlag entlang der Murufer infolge des Kraftwerkbaus, habe keine Auswirkungen auf das Klima in der Stadt? Zudem findet sich das „Restrauschen“ des Flusses, wie es der Künstler E.d Gfrerer genannt hat, derzeit noch nördlich der Bertha-von-Suttner-Brücke. Südlich davon ist der vormalige Fluss inzwischen zum stehenden Gewässer mutiert. Der bisherige Effekt einer Durchlüftung, den ein „Fluss“ eben mit sich bringt, wird demnächst auf Erinnerung reduziert sein.

Nach Traiskirchen, mehreren Gemeinden in Oberösterreich, Hartberg und Innsbruck hat auch das Land Vorarlberg den Klimanotstand ausgerufen. Eine entsprechende Frage an Sie, Herr Bürgermeister, haben Sie damit gekontert, dass für Graz solche Not nicht bestünde. In diesem Zusammenhang haben Sie den Veggie Day genannt, in dessen Folge Graz bis 2021 die gesündeste Stadt Europas werden soll. Freilich, würde der Entschluss zum Klimanotstand getroffen werden, müssten dementsprechend Raumordnung und Verkehrsplanung adaptiert werden. Künftige Baugenehmigungen, Herr Bürgermeister, wären verbunden mit ökologischen Ausgleichsmaßnahmen, mit Grünraumanteilen beziehungsweise Baumpflanzungen. Das bedeutete jedenfalls erschwerte Bedingungen für Investoren und Bauunternehmen, das bedeutete wohl Verminderung des Versiegelungsanteils in der Stadt wie im Umraum.

Man mag mir den Vergleich von Äpfeln mit Birnen vorwerfen. Aber ich vermute immerhin, auch im übertragenen Sinn hängt die Klimasituation (auch Luftqualität) mit dem Bauwesen in der Stadt zusammen. Sie, Herr Bürgermeister, haben im Gespräch mit GAT (s. unten) sinngemäß gesagt, hinsichtlich des Zuzuges nach Graz sei es unabdinglich, neuen Wohnraum zu schaffen. Weil so viele Objekte errichtet werden, könnten auch durchschnittliche Wohnkosten im Vergleich zu anderen österreichischen Städten in Graz moderat gehalten werden. Das erfolgt zunächst durch Verdichtung im Stadtraum, wie ein Beispiel auf nebenstehendem Foto zeigt. Da war, zwischen Münzgraben- und Conrad-von-Hötzendorfstraße neuerdings noch Platz für einen Riegel. Wohn- und Lebensqualität, Belichtung et cetera spielen gegenüber den schon zuvor bestehenden Objekten offensichtlich keine Rolle. Ich frage mich – oder sollte ich Sie fragen? –, wer hat sich ehemals gedacht, dass zwischen den beiden älteren Blocks ein bestimmter Abstand vonnöten ist, und wer hat sich jüngst gedacht, ein dritter Block hat hier gerade noch Platz?

Problematisch erachte ich zudem das Faktum, dass in Graz eine Vielzahl von Objekten entsteht, die von Immobilienunternehmen als Investments für Anleger beworben werden. Drei Beispiele auf den Fotos zeigen greencity in Straßgang, AUSBLICK RIES am Rieshang und Amalfi an der Sankt-Peter-Hauptstraße. Selbstredend kann man in diesen Anlagen auch wohnen, sofern man die Mittel dazu aufbringt. Meine Allerweltsweisheit lässt mich dagegen vermuten, dass es hier nicht in erster Linie um Wohnraum, vielmehr um gebauten Raum als Kapitalanlage geht. Hier ent- und besteht Anlegerraum, an dem unter dem Titel Wohnbau Kapital betoniert wird, wenn schon die Banken keine Sparzinsen leisten wollen. Baugrund ist hier zum überwiegenden Teil für Jahrzehnte etwaigen Maßnahmen zur Kompensation tatsächlichen Wohnbedarfs entzogen. Ähnliche Beispiele gibt es in Graz zuhauf, und ich stelle mir vor, dass Sie, Herr Bürgermeister, wie im Gespräch mit GAT angedeutet, nicht wirklich wissen wollen, wie das Ergebnis einer Leerstanderhebung für Graz ausfallen würde.

Tschavgova

Wir erwarten uns Antworten auf die konkreten Fragen an Bürgermeister Nagl - hier in diesem Forum. Außerdem lade ich Bm. Nagl ein, gemeinsam mit einigen Experten und Expertinnen für Grünraum und Landschaftsgestaltung, mit Biologen, Soziologen und Psychologen über das Resultat des Murwerkbaues und seine Auswirkungen auf uns Stadtbewohner und Stadtbewohnerinnen, auf das Kleinklima und auf den Stadtraum insgesamt zu diskutieren. Per Fahrrad an den Ort des Geschehens natürlich. Ich weiß, dass es meine einzige weitere Radtour entlang der Mur bis Puntigam bleiben wird, ich vermute, auch die einzige des Herrn Bürgermeisters.
Karin Tschavgova-Wondra und Heinz Wondra, Stadtbewohner

Di. 13/08/2019 12:52 Permalink
Michaela wambacher_www

Die Politik muss endlich Anreizsysteme schaffen, damit Grünflächen mit Bäumen und Flächdächer bepflanzt sowie Solarenergie und Regenwasser genutzt werden. Ohne das und aus reiner Vernunft wird das nicht geschehen. Die Technologien dafür sind längst vorhanden. Wozu Flusskraftwerke, wenn die Sonne kostenlos Energie liefert und in der Stadt und auf dem Land mehr Dachflächen vorhanden sind, als uns lieb ist, liebe Bürgermeisterinnen und Bürgermeister?
In der Nähe von Bahnhöfen werden für Server, Amazon und Co tagtäglich Hallen mit Flachdächern errichtet, die jeweils dem Vielfachen von Fußballfeldern entsprechen! Gerade für diese Projekte müssten von den zuständigen politischen Stellen in Zusammenarbeit mit ExpertfInnen endlich Konzepte erstellt werden, die verhindern, dass tagtäglich unzählige Hektar Grünraum und landwirtschaftliche Flächen vernichten werden. Ich befürchte, das schnelle Geld für die Gemeindekassen zählt mehr als nachhaltige Lösungen, welche der Bevölkerung die Nahrungsmittelversorgung, sauberes Wasser und gute Luft sowie saubere Energie für die Zukunft garantieren. Die Hände werden wahrscheinlich erst dann wieder über dem Kopf zusammengeschlagen, wenn bereits Feuer am Dach ist.

So. 18/08/2019 10:14 Permalink
Laukhardt

Die Kritik von Wenzel Mraček ist in jedem Detail berechtigt. Einfach in der Jauerburggasse 15 ein eingeschossige Werk- oder Lagergebäude durch einen sechsgeschossigen Wohnblock zu ersetzen, kann wohl nicht als erwünschte Stadtentwicklung bezeichnet werden. Aber: alles, was jetzt - angesichts der überhitzten Stadt - immer stärker als Fehlleistungen der Stadtregierung aufgelistet wird, hat sich schon vor Jahren deutlich abgezeichnet. Als ich gegen die ohne irgendeinen Ausgleich erfolgte Versiegelung des Joanneum-Parks protestierte, wo blieb da die Unterstützung? Als der Wahnsinn der Schlägerung tausender Bäume für das Murkraftwerk mit mächtigen Demonstrationen kritisiert wurde, was geschah bei der anschließenden Gemeinderats-Wahl? Die Betonierer-Parteien wurden von den Grazer mehrheitlich bestätigt. Und am Tag danach erfolgte der Todesstoß für den natürlichen Grünraum. Kürzlich hat eine Sprecherin des ORF Steiermark sogar von einer Badebucht beim neuen Augarten gesprochen. Will man einfach nicht wahrhaben, dass das Baden in der Mur wegen der Keimbelastung überhaupt verboten ist? Und nicht zu vergessen den eloquenten UH mit seinem Gaukler-Spruch: "Wo jetzt ein Baum steht, werden künftig drei stehen." Es wäre zum Lachen, wäre es nicht so traurig.
Also: wieso nur den Bürgermeister allein anprangern? Es ist leider ein unbelehrbarer Teil der Grazer, die sich alles mögliche vorgaukeln lässt und damit genau diese Politik verschuldet, die den Grazern ihre Zukunft stiehlt!

Di. 13/08/2019 9:16 Permalink
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
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