12/05/2020

Wolkenschaufler_34

Das Ende der Superblocks

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Die Kolumne Wolkenschaufler von Wenzel Mraček zu Lebensraum, Kunst und Kultur(-politik) erscheint jeden 2. Dienstag im Monat auf GAT.

12/05/2020

Vele di Scampia (Wiki Commons, Foto: Federica Zappalà) https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c3/Vele_di_Scampia_Di_…

©: Wikimedia Commons

Il Quadrilatero', Triest, Foto: W. Mraček, 2009

©: Wenzel Mraček

Il Quadrilatero', Triest, Foto: W. Mraček, 2009

©: Wenzel Mraček

Das Ende der Superblocks

Ihren Superblock im Stadtteil Rozzol Melara nennen die Triestiner Ater (etwa: traurig, düster) oder auch Alcatraz. Der deutlich an Le Corbusiers Wohnmaschine orientierte Komplex Il Quadrilatero wurde von einer Ingenieursgruppe entworfen und zwischen 1969 und 1983 unter Leitung des Architekten Carlo Celli ausgeführt. Mit 468 Wohnungen für rund 2500 Bewohner errichtete man auf einer Karst-Anhöhe eine Siedlung, in der alle städtische Infrastruktur – Geschäfte, Schulen, Bibliotheken etc. – implementiert sind. Meine bislang einzige Erfahrung solcher Architektur, während einer Exkursion mit GAT im Jahr 2009, hinterließ immerhin das Gefühl, mich in den Kulissen eines utopischen Films zu bewegen. Merkwürdig auch, dass wir während unserer Begehung über etwa eine Stunde keine Bewohner sahen. Ein paar eingeschlagene Glastüren und herumliegender Müll vermittelten leichtes Unbehagen. Auf der Suche nach Zeitungsartikeln finde ich gegenwärtig nicht mehr als den Hinweis, dass 2002 ein Wettbewerb zur Sanierung ausgeschrieben worden war und der Komplex auch immer wieder Schauplatz von Kriminalität gewesen sein soll.
Etwa um die Zeit der Errichtung des Quadrilatero – und in der großen Zeit des Sichtbetons, Brutalismus von béton brut – entstanden in Italien weitere Superblocks wie der Corviale (1975 - 1982) in Rom. Dort wohnen wollte man allerdings erst um 1980, als Bewohner des Zentrums ihre Mieten nicht mehr bezahlen konnten. Seit 2004 wird diskutiert, ob der Corviale abgerissen oder saniert werden soll. Letzteres, fordert der Architekt und Hochschullehrer Giorgio Muratore, hinsichtlich des Denkmalcharakters des Baus. Es müsse aber ein umfassender Entwurf erstellt werden, der Ausgleich für ein Sammelbecken sozialer Probleme bietet.
Deutlich pragmatischer geht man nun mit den Vele di Scampia im Norden Neapels um, dem Schauplatz (Buch wie Film) von Roberto Savianos Gomorrha. Nach Plänen des Architekten, Baumeisters, Städteplaners und Theoretikers Franz Di Salvo wurden die Vele (Segel) zwischen 1962 und 1975 errichtet. Aus gewisser Perspektive erinnerten die ursprünglich sieben, sich nach oben hin verjüngenden Gebäude an Segel. Auch hier stand Le Corbusiers Unité d'Habitation Pate, zudem städtebauliche Richtlinien der CIAM. Geplant für 40.000 bis 70.000 Menschen, sollten dem Komplex Parks und Infrastruktur wie Geschäfte, Kinos, Sozialeinrichtungen eingegliedert werden. Spekulation wird vermutet, jedenfalls kam es dazu nie. Nach einem Erdbeben 1980 waren Teile von Neapels Zentrum unbewohnbar und Obdachlose kamen in Scampia unter. Unter dem Einfluss der Camorra entwickelten sich die Vele zu einem Zentrum des Drogenhandels bis es 2004 zur von Saviano beschriebenen Fehde etlicher Capi kam.
Zu Ende der 1990er Jahre wurde damit begonnen, Bewohner in andere Sozialwohnungen umzusiedeln. 1997 bis 2003 wurden die ersten drei Vele abgerissen, drei weitere Gebäude folgten ab 2019. In einem Artikel der aktuellen Ausgabe des Kunstmagazins Art (Mai 2020), wird Neapels Bürgermeister Luigi de Magistris zitiert, nach dem der Abriss der Vele „ein Symbol“ sei, um Kriminalität und sozialen Missständen entgegenzuhalten. Dem Appell Renzo Pianos – „Wir müssen umbauen, nicht abreißen“ – und weiterer 130 Architekten in Neapel wurde seitens des Bürgermeisters nicht stattgegeben. Von den Vele die Scampia bleibt damit das Gebäude B erhalten. Nach Sanierung soll es von der Stadtverwaltung genutzt werden.

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