13/10/2020

Wolkenschaufler_39

Die Kolumne Wolkenschaufler von Wenzel Mraček zu Lebensraum, Kunst und Kultur(-politik) erscheint jeden 2. Dienstag im Monat auf GAT.

Diesmal geht es um Kunst im öffentlichen Raum anlässlich des Buchs uncurated. Unbefugte Interventionen im Grazer Stadtraum.
Herausgegeben von Elisabeth Fiedler, Joachim Hainzl und Alexandra Riewe

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13/10/2020

Cover des Buchs "uncurated. Unbefugte Interventionen im Grazer Stadtraum" von Elisabeth Fiedler, Joachim Hainzl und Alexandra Riewe, 2020 im Verlag Bibliothek der Provinz

©: Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark - KIÖR

Selbstermächtigte Eingriffe

Zwar ist die Frage längst zum Klischee geworden. Dennoch: Bei jedem unbedarften Gang durch die Stadt sieht man sich allenthalben vor die semihumorige Frage gestellt: Ist das Kunst oder kann das weg?

Angesichts diverser Graffiti an Fassaden, die nichts weiter sein können als Zeugnis der Anwesenheit einer Person – Text etwa in Form eines Kürzels, eins Tags (englisch) oder eines Pseudonyms wie Grabbelfaz –, ist das Werk wohl klar als Sachbeschädigung zu bezeichnen. Zumal wenn der eruierte Künstler zu Protokoll gibt, er wisse eigentlich nicht, weshalb er sich in solcher Form in den Stadtraum eingetragen habe. Hätte er sein Anliegen doch subtiler formuliert, sich nämlich in den Stadtraum eintragen zu wollen. Das könnte dann eventuell – und es bleibt bei Sachbeschädigung – den Charakter eines künstlerischen Konzepts annehmen.
Eingangs der eben erschienen Anthologie uncurated. Unbefugte Interventionen im Grazer Stadtraum fragt Elisabeth Fiedler (Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark) was es mit solchen Interventionen in der Öffentlichkeit auf sich hat. Die nämlich „gibt es seit Menschengedenken“ in Form von Ritzungen, Zeichnungen oder Einschreibungen in die Landschaft als „Basis für jede Form kulturellen Lebens“. Die heutzutage durch Institutionen respektive Kuratorinnen und Kuratoren organisierte Kunst im öffentlichen Raum eröffnet zugleich mit der Einsetzung künstlerischer Interventionen eine Reihe gesellschaftlich relevanter Fragen wie „Was ist öffentlicher, was privater Raum? Wer legt ihn und seine Regeln fest? Von wem wird er in welcher Weise ge- und benutzt? Wem gehört er? Wie wird er verhandelt?“ – ad infinitum.
Nicht zuletzt führte eine weitere Verhandlung dieser Fragen in einen Bereich, den Gabu Heindl in ihrem ebenfalls gerade erschienen Buch Stadtkonflikte unter dem Begriff „radikale Demokratie“ für Architektur und Stadtplanung propagiert (eine Besprechung der Stadtkonflikte folgt zeitnah auf GAT). Radikale Demokratie in einem Sinn, „die das administrative Tagesgeschäft der Politik, auch der Planungspolitik, notwendig stört, in Unruhe hält“, wie Heindl schreibt.

Spezifische Äußerungen durch/von Kunst im öffentlichen Raum können Störmaßnahmen solcher Art sein, nachgerade der Finger auf der Wunde von Stadtentwicklung – wenn nicht -abwicklung – und Raumplanung oder Einwürfe zur Eröffnung der Diskussion um urbane (Infra-)Strukturen und gesellschaftliche Belange.
Mit ihrer Bestandaufnahme uncurated spüren die Herausgeber Elisabeth Fiedler, der Sozialhistoriker Joachim Hainzl und die Kunsthistorikerin Alexandra Riewe in erster Linie jenen „unbeauftragten“ Interventionen im Grazer Stadtraum nach. Diese werden im Band allerdings immer wieder und ausführlich den durch Institutionen beauftragten Eingriffen und Aktionen gegenübergestellt, seien es in einem ersten Teil die Erfassung diverser anonymer Graffiti (Riewe: Kampf um die Wand) gegenüber etwa Gustav Trogers an Werbeformen erinnernde Gestaltung der Fassade an der Andrä-Kirche. Auf diese wiederum wurde an der Fassade mit dem Schriftzug (inklusive Anarcho-Zeichen) No Gods, no masters! anonym erwidert. Von einer „Wechselwirkung“ zwischen Graffiti und öffentlichem Raum handelt ein Essay von Kurt Pöschl. Darin die Überlegung, dass sich Phänomen und Anfänge in Graz auf die 1980er Jahre zurückführen lassen, als die Graffiti-Szene der USA die internationale Diskussion um Kunst oder Schmiererei eröffnete. Damals waren in Graz, so Pöschl, nur drei Pseudonyme nach ihrem Duktus wiedererkennbar. Der Artikel reicht bis in die riesigen Mureals an den ehemaligen Taggerwerken, die im Zuge eines Festivals von internationalen Künstlern – damit beauftragt – angelegt worden waren.
Alexandra Riewe wiederum dokumentiert sogenannte Adaptive Action, Beigaben vielleicht (Schals, Verhüllungen, Gummihandschuhe), die anonym an den vormaligen Rathausskulpturen vorgenommen wurden, die sich im Stadtpark und Burggarten befinden. Riewe zieht schließlich einen Vergleich zur Verhüllung der Mur-Allegorie, 1985 von Fedo Ertl. Ertls Ansinnen war es, auf die Verschmutzung der Mur zu replizieren. Das temporär genehmigte Kunstwerk führte aber zu massiven Einwänden der Behörden, nachdem Ertl darauf beharrte, seine Verhüllung bis zu einer deutlichen Verbesserung der Wasserqualität bestehen zu lassen. Hinsichtlich kommunikativer (künstlerischer?) Form von Kritik respektive Verschandelung behandelt der Autor Emil Gruber die immer wieder unbefugt erfolgten Bemalungen des Hackher-Löwen auf dem Schloßberg.
Im Schlussteil von uncurated geht es dezidiert um die im Grunde immer eigenermächtigte Verhandlung des Stadtraums an Beispielen von Hausbesetzungen, Fragen um Klimatisierung urbanen Raums (Markus Jeschaunigs Oase no. 8), die (temporäre) Aneignung von „Gstettn“ beziehungsweise Urban versus Guerrilla Gardening.
Mit uncurated. Unbefugte Interventionen im Grazer Stadtraum besteht nun ein Kompendium, das am Beispiel Graz von Willkür und wirklichem Anliegen im gesellschaftlich städtischen Gefüge erzählt, von Kunstwerken im öffentlichen Raum, die bestehen und den Umständen, denen andere weichen mussten.

Elisabeth Fiedler, Joachim Hainzl, Alexandra Riewe (Hg.):
uncurated. Unbefugte Interventionen im Grazer Stadtraum.
Weitra 2020 (Verlag Bibliothek der Provinz)
292 Seiten. € 25,00
ISBN: 978-3-99028-911-2

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