14/06/2022

Wolkenschaufler_59

Kürzere Artikel, bitte

Die Kolumne Wolkenschaufler von Wenzel Mraček zu Lebensraum, Kunst und Kultur(-politik) erscheint jeden 2. Dienstag im Monat auf GAT.

14/06/2022

Indisches Manuskript auf Hanfpapier (Wikimedia Commons:
Von Moefuzz, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=50888029)

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Im Frühjahr monierten die deutschen Krankenkassen, eine Impfpflicht sei aufgrund Papiermangels nicht umsetzbar, dafür notwendige Briefe könnten nicht ausgestellt werden. Die Ö1-Radiosendung Punkt 1 titelte am 8. Juni „Bitte nicht so lange Artikel schreiben“. Österreichische Printjournalist:innen, hieß es in der Anmoderation, seien gebeten, kürzere Artikel zu schreiben, um Seiten zu sparen. Das Börsenblatt des Deutschen Buchhandels vermeldet im März, dass 72 Prozent der Branchenbetriebe – „betroffen von einer bislang ungekannten Papierknappheit“ – Aufträge ablehnen mussten.

Vor kurzem wollte ich ein von Freunden empfohlenes Buch bestellen. Nicht online, sondern in der präferierten Grazer Buchhandlung. Zuvor aber online schnell nachgesehen, worum es sich dabei handelt. Edward Brooke-Hitchings Der Atlas des Teufels wird, nach vergriffener erster Auflage, wohl zu einem weiteren Bestseller des Autors werden. Keine Sorge, ich bin nicht Satanist, sondern Kunsthistoriker und daran interessiert, wie sich Kulturen der Welt Himmel und Hölle in Bild und Schrift vorstellen. Allein, auf der Website des Verlages ist die auch nicht uninteressante Formulierung zu lesen: „Fehlt kurzfristig am Lager, wieder lieferbar ab 17.06.2022“. Wäre ich ein Verlagsleiter, wäre ich entsprechend der Nachfrage zugange, so viele Exemplare wie nur möglich in kürzester Zeit auszuliefern, rechtzeitig neue Auflagen in Druck zu geben undsoweiter. Weshalb also zurzeit nicht lieferbar?

Womit wir vor Jahren noch nicht gerechnet hatten: Erderwärmung und Klimakatastrophen (werden durch technische Neuerungen kompensiert), eine Pandemie (trifft nicht ein, wird pharmakologisch am potentiellen Ausbruchsort eliminiert), Russland führt einen Krieg gegen Europa (eine Dystopie, für die es keinen plausiblen Anlass geben kann), Inflation von derzeit acht Prozent (kein Rohstoffmangel, keine Finanzspekulation nach Erfahrungen von 2008, keine Probleme im internationalen Warenverkehr, die Wirtschaft boomt), Energiekrise (keine Lieferprobleme, Öl und Gas werden sukzessive durch erneuerbare Energieträger ersetzt, wenn nicht South Stream, dann weiterhin North Stream, kein Krieg in Europa), Papiermangel (die Holzwirtschaft boomt, keine Probleme mit Lieferketten).

Nun also eine bislang ungekannte Papierknappheit. Vorrangiges Problem seien die Lieferketten, die nicht mehr so funktionieren wie vor den Krisen, die wir gerade erleben, sagt Leo Arpa, Forschungsleiter des Papierproduzenten Mondi Group, im Radio. Wolfgang Bauer, Professor am Institut für Biobasierte Produkte und Papiertechnik an der TU Graz, führt an, dass die wichtigste Rohstoffquelle Altpapier ist, wovon es derzeit zu wenig gäbe.

Neben Holz für die Zellstoffproduktion war von alternativen Rohstoffen während dieser Sendung kaum die Rede. Auf der Website der Austropapier (Vereinigung der österreichischen Papierindustrie) ist zu lesen, dass die Importquote für Holz, sinkend seit 2013, 2021 noch etwa 26 Prozent betrug.

Papier ist freilich nicht Papier und wird für verschiedene Produkte in diversen Verfahren hergestellt. Bleiben wir bei Spezialpapier für den Buchdruck. Im November des Vorjahres erschien im Standard ein Artikel unter dem Titel „Papierknappheit trifft die Buchbranche“. Weil während der Pandemie dünnere Zeitungen aufgelegt und weniger Werbeprospekte versendet worden seien, sei weniger zu recycelndes Altpapier angefallen. Zellstoff sei infolge der Pandemie auf dem Weltmarkt rar, weshalb Papierfabriken von grafischem Papier auf Verpackungs- und Hygienematerial umgestellt hätten. Gas und Strom sind teurer geworden und deshalb seien schon die Energiekosten bei der Papierherstellung dreimal so hoch wie noch 2020. Im Zsolnay-Verlag, so der Autor Michael Wurmitzer, waren im November 2021 zwei Spitzentitel ausverkauft, 20.000 Nachdrucke standen damit in der Warteschleife. Was zuvor noch sieben Tage gedauert hatte, dauert nun mindestens doppelt so lange. Die Druckerei könne dem Verleger keine Termine zusagen.

Die Kosten und die Logistik also und nicht der Mangel an Holz sind offenbar die Gründe für meine Wartezeit auf den Atlas des Teufels. Da fällt mir Hanf ein. Ich drehe meine Zigaretten in Hanfpapier. Wenngleich nahezu chemiefrei, ist die Produktion von Hanfpapier technisch allerdings ziemlich aufwändig und teurer als die von Holzpapier. Dagegen ist Hanf, sagt mir das Hanf-Magazin, ökologisch dem Holz überlegen. Aus derselben Fläche ließe sich fünfmal so viel Papier produzieren als aus einer Waldfläche. Aber Hanfpapier ist eben teuer und niemand in Österreich produziert es. Zu kaufen gibt es handgeschöpften Künstlerbedarf, aber kein Grafikpapier. Die Neusiedler AG entwickelte und produzierte hemptec-Papier ab 1997. Trotz „beste(r) Einsatzmöglichkeiten in der Kopie, Laser- und Tintenstrahlerdruck sowie im Druck“ (sic.) war der Absatz zu gering und hemptec wurde 2000 eingestellt. Neusiedler übrigens ist heute eine Tochter der Mondi Group.

Der einzige, von mir gefundene Produzent von Grafik-Hanfpapier ist die Hahnemühle im niedersächsischen Dassel. Mit der Fotografin und Umweltaktivistin Maren Krings entwickelte die Papiermanufaktur ein Hybrid-Hanfpapier für den Offset- und High-Speed-Inkjet-Druck sowie die Anlagen für dessen Produktion. „Es ist ein spannendes, neues Papier für die Verlagsbranche“, wirbt Hahnemühle, „in Zeiten, in denen Druckpapier knapp und teuer ist“.

Gedruckt auf diesem Papier hat Maren Krings ein Buch zum Thema Industriehanf, seiner Geschichte und Verwendung veröffentlicht. H is for Hemp kostet jetzt aber in Deutschland schneidige € 149,80, plus shipping & handling. 

Peter Laukhardt

Köstliche Abhandlung, sollte auf Wirtschafts-Universitäten vorgetragen werden. Ich, obwohl ferial seinerzeit in der Papier-Fabrikation bewandert, dachte immer, Klopapier sei knapp (wegen der Panik-Käufe). Das bereitete mir aber keine Sorge, denn ich habe noch Opas lange Schere, mit welcher er die Tageszeitung für ihre wahre Bestimmung zurechtschnitt.

Di. 14/06/2022 17:03 Permalink
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